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       # taz.de -- Wilderei in Bayern: Der Luchshasser ging in die Falle
       
       > Seit Jahren verschwinden Luchse im Bayerischen Wald spurlos. Der
       > Verdacht: Wilderer stellen ihnen nach. Jetzt wurde erstmals einer
       > verurteilt.
       
   IMG Bild: Der Luchs ist nach Bär und Wolf der größte Beutegreifer Europas. Dieser hier jagt in Tschechien
       
       Cham taz | Der Luchs hatte keine Chance, er war in die Falle gegangen.
       Umschlossen von vier stabilen Metallgittern blieb der Raubkatze nur noch,
       dem Fallensteller die Zähne zu zeigen, wenige Augenblicke bevor ihn dieser
       erschoss. Mit diesem Detail, dem Zähnefletschen, habe der Jäger und
       Landwirt aus dem Lamer Winkl noch geprahlt, berichtete der Zeuge, der den
       Angeklagten schwer belastete. Die Falle habe ihm der Landwirt ebenfalls
       gezeigt, stolz Mechanismus und Funktion vorgeführt. Zudem habe er
       zugegeben, das Tier mit einer in Deutschland verbotenen Waffe erschossen zu
       haben. Auch von den Tötungen anderer Luchse und Wildtiere habe der
       Angeklagte gesprochen, darunter von Wolf und Fischotter.
       
       Im fast voll besetzten Saal 1 des Amtsgerichts Cham lauschten Richter,
       Staatsanwalt und Zuschauer am vergangenen Donnerstag diesem Zeugen. Dabei
       entstand das Bild von einem Täter, der sich als Jäger für etwas ganz
       Besonderes hält und daraus das Recht ableitet, sich in seinem Revier
       aufzuführen wie der Herr über Leben und Tod. Nach knapp drei Stunden war
       Andreas Lecker, Richter am Amtsgericht Cham, vom illegalen Waffenbesitz und
       dem Nachstellen und Töten von mindestens einem Luchs überzeugt und sprach
       den 53-Jährigen schuldig.
       
       Lange haben Umweltverbände und Naturschützer auf diesen Prozess gewartet.
       Seit Jahren werden im Bayerischen Wald, dem Bayerwald, Luchse tot
       aufgefunden. Keine dieser illegalen Tötungen konnte bisher geklärt werden.
       Die Aufklärungsrate von Wilderei ist in Deutschland generell gering. Zum
       einen, weil die Natur selbst die Spuren rasch verwischt. „Vor allem aber
       wurde Wilderei bislang weder im politischen noch gesellschaftlichen Diskurs
       als Delikt wirklich ernst genommen“, sagt Diana Pretzell vom World Wide
       Fund for Nature (WWF), die zum Prozess aus Berlin anreiste. „Zudem ist die
       Datenlage schlecht, es gibt bisher keine bundesweite Datenbank, die alle
       Fälle dokumentiert.“
       
       Doch vor dem Hintergrund des Artensterbens steigt das Bewusstsein auch für
       Naturschutzkriminalität. „Und somit steigt der Druck auf Politik und
       Ermittlungsbehörden“, ist sich Andreas von Lindeiner sicher, der als
       Luchsbeauftragter für den Landesbund für Vogelschutz e.V zum Verfahren
       gekommen ist. Neben zahlreichen Vertretern von Naturschutzverbänden und
       interessierten BürgerInnen verfolgt auch ein dunkelgrün gekleidetes
       Grüppchen Jäger des örtlichen Jagdverbandes den Prozess. Mit der Presse zu
       sprechen weigern sie sich.
       
       ## Als der Zeuge spricht, wird der Jäger nervös
       
       In der Verhandlung gibt sich der Angeklagte betont gelassen, doch seine
       Körpersprache straft ihn Lügen. Als die Staatsanwältin die Anklage
       verliest, steigt ihm die Röte ins Gesicht. Und als der Hauptbelastungszeuge
       spricht, rutscht er auf seinem Stuhl hin und her, wischt sich die
       Handflächen an den Hosenbeinen ab. Dem Jäger wird nach Paragraf 71 des
       Bundesnaturschutzgesetzes das „vorsätzliche Nachstellen und Zerstören eines
       wild lebenden Tiers einer streng geschützten Art“ vorgeworfen, was mit bis
       zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann.
       
       Schon lange war die Polizei auf den Mann aufmerksam geworden. 2015 hatte
       ein Unbekannter demonstrativ vier abgetrennte Luchspfoten in der Nähe einer
       Fotofalle des bayerischen Luchsmonitorings abgelegt. Es waren die
       Vorderläufe von Leo und Leonie, einem jungen Luchspärchen aus dem Lamer
       Winkl. Mehrere Umweltverbände und der Bayerische Jagdverband erstatteten
       Anzeige gegen unbekannt. Lange tappte die Polizei im Dunkeln. Dann 2016,
       nach einem Tipp des späteren Zeugen, durchsuchte die Polizei Haus und Hof
       des Landwirts, wo sie sowohl Luchsohren als auch Luchskrallen entdeckte.
       
       Es lief die aufwendigste Untersuchung an, die die bayerische Justiz in
       Sachen Artenschutzdelikt bisher unternommen hatte. Sie sind auch der Grund,
       warum der Fall erst jetzt mit dem Prozess zum Abschluss kam. Die DNA wurde
       verglichen, dazu mit der tschechischen Luchs-Datenbank abgeglichen.
       Außerdem gab es ein ballistisches Gutachten zu Geschosspartikeln, die
       teilweise in den Pfoten gesteckt hatten. Dem damals Verdächtigen konnte die
       Tötung der beiden Tiere zwar nicht nachgewiesen werden, doch er blieb im
       Visier.
       
       ## Ein Nachtsichtgerät, die Falle, viele Waffen
       
       Denn die Ermittler entdeckten bei ihm diverse verbotene Waffen, darunter
       ein Nachtsichtgerät mit Zielfernrohr. Und sie stießen im Wald auf die vom
       Zeugen geschilderte Falle, rund zweieinhalb Meter lang und jeweils einen
       knappen Meter breit und hoch, eine Einzelanfertigung. Schmauchspuren daran
       stimmten mit den unerlaubten Waffen des Jägers überein. In der Falle lagen
       Rehknochen und Rehhaare – nach Überzeugung von Richter Andreas Lecker die
       Köder.
       
       Grotesk waren die Ausflüchte des Angeklagten, der bis zum Schluss alles
       bestritt. Die Falle, so behauptete er vor Gericht, habe sein Vater
       anfertigen lassen und allein betrieben, und zwar als Fuchsfalle. Der Vater
       konnte dazu nichts mehr sagen, weil er unlängst verstorben war. Allerdings
       saß dieser Vater zu den Tatzeiten in den Jahren 2014 bis 2016 nachweislich
       beinamputiert im Rollstuhl. Dass der im Wald eine „Fuchsfalle“ betrieben
       haben soll, fand Richter Lecker dann doch unglaubwürdig.
       
       Hinzu kommt: Fuchsfallen sind etwa nur dreimal größer als ein Schuhkarton
       und werden serienmäßig hergestellt. „So etwas kann man längst übers
       Internet kaufen“, sagte Richter Lecker. Auffällig einmütig waren auch die
       Aussagen der als Zeugen geladenen Familienmitglieder, die meisten selbst
       Jäger. Sie alle wollen entweder von dieser überdimensionierten „Fuchsfalle“
       überzeugt gewesen sein oder nie etwas davon gewusst zu haben. Die meisten
       Zuschauer dürfte der Gedanke beschlichen haben, dass im Zeugenstand kräftig
       gelogen wurde.
       
       ## Der Luchs soll wieder heimisch werden
       
       Um die Emotionen zu verstehen, die dieser Fall auslöst, muss man
       zurückblicken. Vor gut 150 Jahren wurde der Eurasische Luchs im Bayerwald
       und Böhmerwald ausgerottet. Heute streifen hier Nachkommen jener Luchse
       umher, die in Tschechien in den achtziger Jahren ausgewildert wurden und
       nach der Grenzöffnung nach Bayern wechselten. Seit 1992 sind sie dank der
       FFH-Richtlinie streng geschützt, ihre Ausbreitung über die Grenzen des
       Nationalparks Bayerischer Wald hinaus ist von der bayerischen
       Staatsregierung gewünscht und 2008 eigens im „Managementplan Luchs“
       festgelegt.
       
       Studien zeigen, dass es in der Region genug Wald und Wild für rund 100
       Luchse gäbe. Doch im Bayerwald stagniert die Population seit Jahren bei
       knapp 20 Tieren. Mindestens 14 Tiere sind seit 2010 spurlos verschwunden,
       besonders im Arbergebiet, auch „Bermudadreieck für Luchse“ genannt. Nur
       sechs tote Luchse wurden seit 2012 gefunden – erschossen, vergiftet,
       stranguliert.
       
       Am Ende sind es die eigenen Worte des Angeklagten, die ihn überführen.
       „Denn nicht nur ein Geständnis gegenüber der Justiz, sondern auch ein
       solches gegenüber einer anderen Person gilt als Geständnis“, erklärt
       Richter Lecker dem überraschten Mann. Der Luchsfänger war selbst in eine
       Falle getappt.
       
       Denn der Zeuge, der sich drei Jahre zuvor bei ihm als Jagdgast ausgegeben
       hatte, war nicht nur Jäger, sondern auch ein erfahrener Gutachter für
       Beutegreifer. Jemand hatte ihm geflüstert, der Landwirt aus Lohberg könnte
       etwas mit dem Verschwinden der Luchse zu tun haben. Während seines
       Aufenthalts hatte der Wildexperte den Täter dann zum Ausplaudern seiner
       „Heldentaten“ gebracht. Die WWF-Belohnung von 25.000 Euro ist ihm gewiss.
       
       Der Täter wird hingegen zu einer Strafe von 3.000 Euro verurteilt. Zu
       milde, fanden viele Besucher. Sie orientiert sich an der finanziellen Lage
       des verschuldeten Landwirts. Zudem wird dieser die erheblichen
       Verfahrenskosten zahlen, dazu Waffen, Jagdschein und Waffenbesitzkarte
       abgeben. „Das Wichtigste ist, dass es überhaupt zu einer Verurteilung
       gekommen ist“, macht Luchsbeauftragter Andreas von Lindeiner klar. „Es ist
       ein Signal für den Umgang mit Naturschutzkriminalität, das hoffentlich
       potenzielle Täter abschreckt.“
       
       Das allerdings hilft dem geringen Luchsbestand im Bayerwald nicht. „Den
       Luchsen gelingt es nicht, sich vom Bayerischen Wald aus in andere,
       geeignete Regionen auszubreiten“, sagt Uwe Friedel vom Bund Naturschutz.
       Auswilderungen hat bislang der Bayerische Jagdverband verhindert. Zugleich
       hatte er sich stets gegen den Verdacht verwahrt, die Luchswilderer könnten
       aus seinen Reihen stammen.
       
       So ist es durchaus eine Botschaft an die eigenen Mitglieder, dass der
       Verband einen Tag vor dem Prozess zusammen mit bayrischen Nabu und dem WWF
       die „Regensburger Erklärung“ unterschrieben hat. Darin fordern die Verbände
       von der bayerischen Staatsregierung einen Aktionsplan gegen Wilderei und
       Artenschutzkriminalität. „Aber auch die Bevölkerung muss sensibilisiert
       werden“, fügt Diana Pretzell vom WWF hinzu. „Wilderei ist kein
       Kavaliersdelikt.“
       
       17 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Margarete Moulin
       
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