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       # taz.de -- Basketballgespräch mit Thomas Pletzinger: „Wie wir, nur viel, viel besser“
       
       > Thomas Pletzinger hat Dirk Nowitzki jahrelang begleitet und jetzt ein
       > Buch über ihn geschrieben. Wir haben den Autor auf dem Freiplatz
       > getroffen.
       
   IMG Bild: Thomas Pletzinger (Mitte) mit den taz-Redakteuren Jan Pfaff (links) und Felix Zimmermann
       
       Er hat gerade noch auf der Toilette vom Starbucks seine Sportsachen
       angezogen, erzählt Thomas Pletzinger. Wir haben uns auf einem Freiplatz in
       der Nähe des taz-Gebäudes verabredet, weil wir alle eins gemeinsam haben.
       Als Teenager haben wir viel Zeit damit verbracht, orangefarbene Bälle durch
       Ringe in 3,05 Meter Höhe zu werfen. Thomas Pletzinger spielte bei Brandt
       Hagen, taz-Redakteur Felix Zimmermann beim Oldenburger Turnerbund,
       taz-Redakteur Jan Pfaff in den Jugendmannschaften beim
       Universitäts-Sportclub Freiburg. 
       
       Thomas Pletzinger hat gerade ein Buch über Dirk Nowitzki veröffentlicht,
       [1][der im April nach 21 Jahren NBA seine Karriere beendet hat]. Es ist
       keine klassische Sportlerbiografie, sondern nähert sich dem größten
       deutschen Basketballer auf verschiedenen Ebenen mit literarischem Anspruch.
       Pletzinger reflektiert auch darüber, was Nowitzkis Karriere für jemanden
       bedeutet, der selbst einmal Basketball gespielt hat. Darüber wollen wir
       sprechen – und darüber, was der Sport uns bedeutet, als Fans und
       Freizeitsportler. 
       
       Zunächst werfen wir noch ein paar Körbe. Pletzinger hat einen eleganten
       Wurf, aus dem Korb mit dem dicken Ring hüpfen – wie bei uns auch – trotzdem
       einige Bälle wieder heraus. Zum Gespräch setzen wir uns unter den Korb. Auf
       dem Platz siezt sich keiner, weshalb wir auch in der Schriftfassung darauf
       verzichten. 
       
       taz am wochenende: Thomas, du hast Dirk Nowitzki sieben Jahre immer wieder
       getroffen, ihn bei den Spielen, beim Training und in privaten Situationen
       beobachtet. Die Frage, die du sicher oft hörst, die uns aber auch
       interessiert: Wie ist er denn so? 
       
       Thomas Pletzinger: Er ist ein freundlicher Mensch. Das wirkt nicht nur von
       außen so, das ist so. Dazu kommen diese unglaubliche Akribie und
       Genauigkeit, dieses endlose Arbeiten an seinen Fähigkeiten. Er kann
       gnadenlos alles wegblenden, was nicht wichtig ist, und sich auf das
       konzentrieren, was in dem Moment zählt.
       
       Spitzensport auf diesem Niveau verlangt eine unglaubliche Disziplin. Du
       beschreibst, wie er einmal ein Stück Pizza isst – das ist etwas ganz
       Besonderes, weil er während der Saison sonst strikt Diät hält. 
       
       Er hat nur sehr wenige Ausnahmen bei seiner Ernährung gemacht. Da werden
       ein Stück Pizza oder ein Keks gleich zu Symbolen.
       
       Ein Keks? 
       
       Seine Leute machen Witze über diese Sachen: „Hey, das ist Exzess!“, haben
       sie gesagt, als er eine Maiscremesuppe gegessen hat. Als er im April seine
       Karriere beendet hat, hat er im Scherz gesagt, dass er jetzt Eis zum
       Frühstück essen wolle. Zum letzten Spiel hat ihm dann ein Freund für jede
       Saison, die er gespielt hat, einen riesigen Topf Eiscreme geschenkt. Einen
       ganzen Kühlschrank voll, zig verschiedene Sorten, und Dirk behauptet, er
       hätte alles aufgegessen.
       
       Die Geschichte von Dirk Nowitzki ist sehr oft erzählt worden – von den
       Anfängen in fränkischen Schulturnhallen zu einem der erfolgreichsten
       Spieler in der härtesten Profiliga der Welt, mit astronomischen Gehältern
       und extremer Medienaufmerksamkeit. Was kann man da Neues erzählen? 
       
       Als ich die Arbeit an dem Buch begann, war mir klar: Nowitzkis Karriere ist
       eigentlich schon überdokumentiert. Aber das meiste, was man liest, ist der
       Teil seiner Arbeit, der im Rampenlicht spielt – das macht aber nur
       vielleicht fünf Prozent eines Sportlerlebens aus. 95 Prozent spielen sich
       dort ab, wo keiner hinguckt. Und diesen Teil wollte ich auch zeigen.
       
       Hast du ein Beispiel? 
       
       Ich habe ihn zu einem Werbedreh nach Slowenien begleitet und konnte da
       sehen, wie er durch Rituale eine Strategie entwickelt hat, um sich von dem
       Stress um ihn herum frei zu machen. An diesem Tag lastete großer Druck auf
       ihm. Da ist ein teures Filmteam vor Ort, achtzig Leute warten auf ihn. Der
       Sponsor setzt große Hoffnung in diese Sache, und von der Kampagne wird sein
       Image in Deutschland für die nächsten zwei Jahre geprägt. Aber er geht
       mittags in die Halle und wirft so lange, bis er frei von diesem Druck ist.
       Bis er wieder im Takt ist. Die Halle ist der Raum, der ihm ermöglicht hat,
       frei zu sein.
       
       Ein anderes Mal bittet er dich, für ihn zu tanken – damit er an der
       deutschen Tankstelle unerkannt im Auto sitzen bleiben kann. 
       
       Die Szene sagt vermutlich einiges über sein Leben aus. Einfach mal schnell
       tanken geht für Dirk Nowitzki nicht. Ich musste einen Zug bekommen, deshalb
       wollte er an der Tankstelle nicht smalltalken und Autogramme geben. Zu
       seinem Alltag gehört es, ständig darüber nachzudenken, zu welcher Uhrzeit
       er was am besten macht, um unbeobachtet zu bleiben. Aber er hat sich nie
       darüber beschwert, für ihn ist das einfach die Realität des Jobs.
       
       Hut und Sonnenbrille aufsetzen bringen da auch nichts, mit 2,13 Metern kann
       man sich nicht verstecken. 
       
       Hut und Sonnenbrille sind nur für 1,80 Meter große Fußballspieler eine
       Option. Da sagen die Leute: „War das gerade Marco Reus, oder sah der nur so
       aus?“ Bei Nowitzki ist es so, dass er für die meisten, selbst wenn sie ihn
       nicht erkennen, immer noch der größte Mensch ist, den sie jemals gesehen
       haben.
       
       Was das Buch sehr deutlich macht: [2][Nowitzki ist eine riesige
       Projektionsfläche für unterschiedliche Leute, die ganz unterschiedliche
       Sachen in ihm sehen.] Du schreibst sehr subjektiv aus der Perspektive
       desjenigen, der selber Basketball gespielt hat. Was ist Nowitzki da – also
       für uns, die wir in Jugendmannschaften gespielt haben? 
       
       Wir, die wir irgendwann aufgehört haben, Basketball zu spielen, finden
       diese Basketballwelt ja weiter gut. Dirk Nowitzki ist jemand, der aus
       dieser Welt kommt. Aus unserer Welt. Es gibt diese Theorie, dass jeder
       jeden Menschen dieser Welt über sechs Ecken kennt. Im deutschen Basketball
       sind das bei Dirk Nowitzki maximal zwei. Egal, wen man trifft: alle kennen
       jemanden, der irgendwann mal mit ihm zusammengespielt hat.
       
       Jan Pfaff: Also ich kenne keinen. 
       
       Du hast beim Vorgespräch erzählt, dass du in Freiburg zum Beispiel mit
       Robert Maras zusammengespielt hast.
       
       Ja … 
       
       Und Robert Maras war Center in Nowitzkis Nationalmannschaften. Die sind
       beide Jahrgang 1978 und haben jahrelang zusammengespielt. Wenn du jetzt mit
       Maras noch befreundet wärst, wäre es vermutlich ein Leichtes, Nowitzki zu
       kontaktieren. Weil er eventuell seine Nummer hat.
       
       Felix Zimmermann: Ich kenne einen, der war Trainer einer Jugendmannschaft
       bei München, die hat damals gegen die Jugendmannschaft von Dirk Nowitzki
       gewonnen. Er hat also praktisch Nowitzki besiegt. 
       
       Genau das meine ich. Wahrscheinlich erzählt er diese Geschichte immer
       wieder gern. Wir alle identifizieren uns mit Nowitzki, weil er ein Kind des
       Sportvereins ist und ein Kind unserer Jahrgänge – deswegen ist er für uns
       eine Art Stellvertreter.
       
       Und man denkt: Der ist immer noch so wie wir. 
       
       Das Buch endet mit dem Satz: „Dirk Nowitzki ist wie wir, nur viel, viel
       besser.“ Diesen Satz halte ich für wahr: Nowitzki hat zwar sehr, sehr viel
       besser Basketball gespielt als wir, aber grundsätzlich ist er einer von
       uns.
       
       Wenn man dein Buch liest, erinnert man sich schnell an seine eigenen
       Basketballerfahrungen. Und dann fragt man sich zwangsläufig: Was wäre
       gewesen, wenn …? Wenn ich damals den richtigen Trainer gehabt hätte, wenn
       ich nicht andere Sachen irgendwann wichtiger gefunden hätte? 
       
       Was wäre gewesen, wenn ich 2,13 Meter groß gewesen wäre und …
       
       … da hört’s schon wieder auf …
       
       … wenn ich Nerven aus Stahl gehabt hätte. Es gibt viele Dinge, die man
       nicht ändern kann. Da kann man reden, so viel man will: Wir sind einfach
       kein Profibasketballer-Material.
       
       Nein, sind wir nicht. Und doch war es oft so, wenn man Nowitzki spielen
       sah, vor allem als er 2011 den NBA-Titel holte, dass man dachte: Das sind
       auch wir. Er gewinnt dieses Spiel für uns. 
       
       Deswegen liebt man ja seine Sportler oder Musiker oder Künstler so sehr –
       weil die etwas tun, was man sich selbst hätte vorstellen können.
       
       Und man schätzt es umso mehr, wenn man weiß, wie schwierig das ist. 
       
       Die wenigsten wissen das. Mir war vorher auch nicht klar, was für
       unfassbare Kraft Dirk Nowitzki investieren musste, um so lange so gut zu
       bleiben. Ich dachte, dass er einfach perfekte Voraussetzungen hat und
       mental stark ist. Aber ich wusste nicht, was das konkret im Alltag heißt
       und wie lange man das durchziehen muss, um zu erreichen, was er erreicht
       hat. Ich habe für dieses Buch einen Selbstversuch gemacht, um mal zu
       gucken, was es braucht, um mit 40 richtig fit zu werden. Eigentlich geht
       das nicht. Du kannst nicht mehr annäherungsweise so leistungsfähig werden
       wie früher. Es geht einfach nicht.
       
       Du beschreibst auch einen kulturellen Unterschied, in Deutschland können
       viele mit Basketball nicht so richtig viel anfangen. In den USA kann man
       sich in der Bar mit dem Sitznachbarn über die 1972er Meisterschaft der New
       York Knicks unterhalten oder über die wichtigsten Punkte von Nowitzki. 
       
       Nowitzki ist in Deutschland auch deswegen berühmt, weil er berühmt ist. In
       den USA können die Leute etwas besser einschätzen, was er auf dem Feld
       geleistet hat.
       
       Eigentlich schade, diese deutsche Fußball-Fixierung. Dabei ist Basketball
       doch viel spannender. 
       
       Mich reizt es jedenfalls mehr. Ich halte Basketball für intellektuell
       anspruchsvoller, aber nicht, weil die anderen Sportarten dumm wären,
       sondern weil im Basketball der Körper, die Taktik und Theorie rational
       begreifbarer sind. Beim Fußball spielt der Zufall eine viel größere Rolle,
       was auch faszinierend ist.
       
       Pep Guardiola würde das mit dem Zufall anders sehen, der versucht, ihn auch
       im Fußball zu eliminieren. 
       
       Im Fußball bleibt immer noch die Möglichkeit, dass ein Drittligist an einem
       guten Tag einen Erstligisten schlägt. Im Basketball – wenn du 60, 70
       systematische Angriffe pro Spiel hast – ist es sehr viel
       unwahrscheinlicher, dass eine schlechtere Basketballmannschaft gegen eine
       gute gewinnt. Schon gar nicht in einer Playoff-Serie.
       
       Beim Basketball ist ständig was los. 
       
       Aber ein Lucky Punch ist selten.
       
       Na ja, in der Crunchtime, bei Gleichstand kurz vor Spielende, hat es schon
       mit Glück zu tun, ob der weite Wurf jetzt reingeht oder nicht. 
       
       Aber es ist nicht so, dass sich einer die ganze Zeit hinten reinstellen
       kann und mauern und einen Konter laufen und gewinnen. Du musst vorher schon
       gut spielen, damit du am Schluss den einen entscheidenden Wurf nehmen
       kannst. Du musst dich in die Position bringen, um gewinnen zu können. Wenn
       du einfach nur destruktiv bist, reicht das in den meisten Fällen nicht.
       
       Warum fasziniert uns Sport eigentlich so? 
       
       Weil es um alles geht. Um große Konflikte, Duelle, um Körper und Geist. Um
       Ästhetik, um Liebe, um Perfektion und Zerstörung.
       
       Und warum erzählen wir uns die großen Sportgeschichten immer wieder –
       Nowitzkis NBA-Titel 2011 oder die deutschen WM-Siege beim Fußball, 1990 in
       Italien etwa? 
       
       Wenn man etwas längere Zeit verfolgt, dann bekommt es einen narrativen
       Bogen – man weiß, dass dieser Spieler oder jene Mannschaft durch diese oder
       jene Krise gegangen ist, um in diesem oder jenem Finale zu stehen.
       Sportereignisse takten das eigene Leben. Man erinnert sich an das
       Giuseppe-Meazza-Stadion, wie es 1990 aussah, als man selbst das Spiel
       geschaut hat. Und natürlich erinnert man sich daran, wie jung man damals
       war. Welche Möglichkeiten einmal vor einem lagen.
       
       Du deutest das bei deinen Erinnerungen an, und das deckt sich mit unseren
       Erfahrungen – Basketball, zumindest früher, war stark ein Spiel der
       Gymnasiasten. Auf der Realschule wurde eher Fußball gespielt. Da gab es
       auch im Sport feine Unterschiede … 
       
       In Hagen, wo ich herkomme, war Basketball im Grunde das einzige Spiel. Das
       Klischee war: Basketball ist eine Studentensportart, aber in Hagen gab es
       gar keine richtige Uni. Basketball hatte aber eine Coolness und
       Weltläufigkeit, die ich als Kind bei anderen Sportarten nicht so
       wahrgenommen habe. Weil es so international geprägt war. Ich habe
       angefangen, Basketball zu spielen, und mich im nächsten Schritt für
       amerikanische Filme interessiert, dann für amerikanische Romane und den
       amerikanischen Kulturraum überhaupt.
       
       Basketball hatte etwas von großer, weiter Welt. Die NBA als das Maß aller
       Dinge, die amerikanischen Stars als Poster in den Jugendzimmern. 
       
       Basketball war immer sehr international. Es gab die Balkan-Basketballer,
       die waren fantastisch. Dazu die Litauer und die Russen, und natürlich die
       Amerikaner. 1992 das Dreamteam in Barcelona war einfach Wahnsinn. Dass da
       Michael Jordan und Magic Johnson …
       
       … und Larry Bird und Charles Barkley …
       
       … in einer Mannschaft spielten. So eine spektakuläre Größe kannte ich aus
       anderen Sportarten nicht.
       
       Was kann man denn, wenn man selbst spielt, auf dem Basketballplatz fürs
       Leben lernen? 
       
       Das klingt jetzt sehr einfach und didaktisch, aber wenn man in einer
       Basketballmannschaft spielt, dann kommt man später vermutlich besser mit
       Leuten klar. Man begreift, dass man allein weniger erreicht.
       
       Man lernt auch mit jenen zusammenzuspielen, die man nicht leiden kann. 
       
       Wenn du eine Mannschaftssportart betreibst, weißt du, dass ein Passgeber
       und ein Passempfänger dazugehören, um einen Korb zu machen. Das gilt
       natürlich nicht nur für Basketball. Du gewinnst nicht, wenn du allein
       spielst.
       
       Bei den Jugendmannschaften verbringt man an den Wochenenden auch viel Zeit
       in alten VW-Bussen, auf der Fahrt zu irgendwelchen Auswärtsspielen. 
       
       Da kommt die Schönheit des Breitensports mit der Leuchtkraft dieses alten
       Traums zusammen: Man träumt, dass man irgendwann nicht mehr nur nach Werne
       oder Herten zum Auswärtsspiel fährt, sondern eines Tages auch nach Chicago.
       Diese absurden Träume, die wir damals hatten, haben mich durch die Jugend
       getragen. So kitschig das klingen mag.
       
       Aber wenn man dann den trifft, der es in so einer überragenden Weise
       geschafft hat, wird einem da nicht schlagartig die Unzulänglichkeit des
       eigenen Daseins bewusst? 
       
       So weit würde ich nicht gehen. Aber man kann, wenn man jemanden wie Dirk
       Nowitzki bei der Arbeit beobachtet, ganz allgemein viel lernen. Jemanden zu
       beobachten, der eine Sache so mit allem Ernst, aller Liebe, aller Akribie
       und aller Kraft auf einem solch hohen Niveau betreibt – das ist groß. Das
       hat nichts mit Ruhm zu tun. Menschen, die ihre Sache wirklich gut können,
       sind sehr selten.
       
       Was kann man da lernen? 
       
       Wie man ein guter Handwerker sein kann oder eine gute Lehrerin oder eine
       exzellente Musikerin. Klar sind wir alle irgendwie fehlerhaft, und das ist
       Nowitzki auch. Nur geht er mit dieser Fehlerhaftigkeit etwas anders um.
       
       Von Nowitzki besser scheitern lernen? 
       
       Auch das. Er ist ja ständig gescheitert in seiner Karriere. Wenn du 1.600
       Spiele spielst, dann wirfst du halt in jedem Spiel zehnmal daneben. Oder
       verlierst Meisterschaftsserien. Oder fliegst in der ersten Runde der
       Playoffs raus.
       
       Man lernt: trotzdem weitermachen? 
       
       Man lernt, die Sache als Prozess zu begreifen. Sehr wahrscheinlich gewinne
       ich irgendwann, wenn ich diese Sache so genau und akribisch weitermache.
       Ein Lehrer hört auch nicht auf zu unterrichten, wenn er einen schlechten
       Tag gehabt hat, sondern er denkt darüber nach: Wie kann ich denn die
       nächste Einheit besser gestalten, sodass die Schüler nicht aus dem Ruder
       laufen?
       
       Du beschreibst auch, wie sich die Sehgewohnheiten beim Basketball geändert
       haben. Früher schaute man sich ein ganzes Spiel an – in der Halle oder am
       Fernseher. Heute sieht man sich im Netz vor allem kurze Clips an. 
       
       Die Verclipisierung sorgt für eine völlig andere Wahrnehmung des Spiels.
       Ich erinnere mich, wie wir als Teenager VHS-Kassetten mit einzelnen
       NBA-Spielen tauschten, weil die im deutschen Fernsehen nicht übertragen
       wurden. Unser D-Jugend-Trainer hatte eine Kassette von seinem Bruder aus
       den USA. Boston gegen Los Angeles. Wir haben immer wieder dieses Spiel
       geguckt, einfach um diese Atmosphäre zu begreifen. Das war fantastisch.
       
       In den Clips kommen die Dinge, die nicht geklappt haben, nicht vor. 
       
       Nein, all die Konflikte mit Mannschaftskameraden und Gegnern, die Kämpfe
       mit dem eigenen Körper und das Scheitern – das ist kein Clip-Material,
       gehört zum Sport aber zwingend dazu. Wer sich nur Clips anschaut, versteht
       das Spiel deshalb nicht richtig.
       
       Wir haben bei der taz dieses Jahr wieder angefangen, mit ein paar Leuten
       Basketball zu spielen. Nur so freizeitmäßig. Aber es macht irre Spaß, nach
       einem Tag im Büro für eine Stunde richtig wild Basketball zu zocken. 
       
       Und plötzlich mal wieder Körper zu sein – statt nur Kopf?
       
       Es ist auch krass, wie der Körper sich erinnert – an Bewegungen, die man
       seit Jahren nicht mehr gemacht hatte. 
       
       Die vergisst man nie. Wenn mir langweilig ist, wenn ich in der Bahn oder
       auf dem Amt sitze und warten muss, erwische ich mich manchmal dabei, wie
       ich mir vorstelle, einen Korbleger zu machen, tak-tadamm. Dieses
       Rechts-links-hoch, das ist total eingebrannt.
       
       Was macht das dann mit dir? 
       
       Das ist für mich so ein Fluchtort in Gedanken. Obwohl das Jahrzehnte her
       ist, dass ich diese Bewegung regelmäßig gemacht habe. Ich würde mir auch
       gern vorstellen, wie ich einen Dunking mache, aber dafür reicht dann selbst
       meine Vorstellungskraft nicht mehr.
       
       Und wenn selbst Nowitzki aufhören muss, weil es nicht mehr geht … 
       
       Es ist natürlich ein völlig übertriebener Gedanke, aber mit Dirk Nowitzkis
       Karriere endet endgültig auch die Möglichkeit, dass wir selbst noch einmal
       Profisportler werden. Jetzt ist es wirklich vorbei. Er hat das lang
       ausgereizt, er hat unserer Generation die Tür zu diesen Träumen sehr lang
       aufgehalten.
       
       Die Erkenntnis des Älterwerdens hat er für uns hinausgeschoben. 
       
       Ja, würde ich sagen. Jetzt ist diese Möglichkeit endgültig vorbei. Das
       Schöne: Wir sitzen jetzt trotzdem hier auf dem Freiplatz und spielen
       weiter.
       
       16 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
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