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       # taz.de -- 250 Jahre Alexander von Humboldt: Wegbegleiter im Halbdunkeln
       
       > Naturforscher Aimé Bonpland begleitete Alexander von Humboldt nach
       > Lateinamerika – und mutierte dort zum frühen Hippie.
       
   IMG Bild: Humboldt hat das Naturverständnis nachfolgender Generationen wie kein anderer geprägt
       
       Der 250. Geburtstag Alexander von Humboldts wird mit vielen Veranstaltungen
       begangen. Von seinem Freund und Wegbegleiter, dem französischen
       Naturforscher, Arzt und Botaniker Aimé Bonpland, wird dabei zumeist wenig
       die Rede sein. Bonplands Leben verlief und verläuft im Hintergrund, im
       Halbdunkeln. Als „Traband des glänzenden Humboldtgestirns“ bezeichnet ihn
       der Lübecker Arzt Robert Avé-Lallemant – weit entfernt von den Zentren der
       Wissenschaft, wo nur der bleibt, der schreibt.
       
       Doch Bonpland war eher ein Mann der Tat. Schreiben tat er nicht gern. Sein
       Leben lang botanisierte, pflanzte und experimentierte er. Eigentlich hieß
       er Aimé-Jaques Alexandre Goujaud, geboren am 29. August 1773 im
       französischen La Rochelle. Als Arzt und Botaniker lernte er 1795 in der
       Consiergerie seines Pariser Apartmenthauses den jungen Baron von Humboldt
       kennen. Dieser wird auf den vier Jahre jüngeren Franzosen mit der
       Botanisierungstrommel aufmerksam.
       
       Sie beschließen, gemeinsam neue Welten zu entdecken. Mit diplomatischem
       Geschick erwirkt Humboldt den privilegierten Forscher-Pass für die
       spanischen Kolonien. Bonpland wird als sein „Sekretär“ vermerkt.
       
       Die „Reise in die Aequinoctial-Gegenden des Neuen Continents“ von 1799 bis
       1804 wurde für beide zum Abenteuer, Basis andauernder Freundschaft. „Wir
       leben zusammen wie zwei Freunde, wie zwei Brüder“, schreibt Bonpland 1804.
       „Die große Harmonie, die wir die ganze Zeit bewahrt haben, hat uns die
       zahllosen Schwierigkeiten vergessen lassen, denen wir unter den Wilden des
       Orinoko, des Rio Negro, des Amazonas und auf den schneebedeckten Gipfeln
       der großen Cordillere der Anden ausgesetzt waren.“
       
       In ihren wissenschaftlichen Ambitionen kommen sie sich nicht ins Gehege.
       Humboldt hält den Blick stärker auf die physikalische Geografie gerichtet,
       sucht nach „beständigen und gleichförmigen Gesetzen“. Bonplands Interesse
       konzentriert sich auf die unbekannten Pflanzen und deren Einordnung. Zurück
       im napoleonischen Frankreich überlassen die Wissenschaftler einen Teil
       ihres Herbariums dem Jardin des Plantes in Paris.
       
       Auf Humboldts Betreiben wird Bonpland für seine wissenschaftlichen
       Verdienste eine jährliche Pension von 3.000 Francs zuerkannt. Bonpland kann
       sich so an die Klassifizierung der 60.000 gesammelten Pflanzen machen, von
       denen sich über 2.000 als bislang unbekannt erweisen sollten. 1805
       erscheinen sein berühmter „Essay sur la géographie des plantes“ und der
       erste Band der „Plantes Équinoxiales“.
       
       ## Abschied von Europa
       
       Doch als Aimé Bonpland 1808 zum Intendanten der kaiserlichen Gärten von
       Malmaison ernannt wird, des Privatsitzes Napoleons, flaut sein Arbeitseifer
       ab. Die „Rosenkaiserin“ Joséphine hat eine Vorliebe für Pflanzen – und
       offenbar auch für ihren Gärtner. Abgelenkt von der Liebschaft bringt
       Bonpland die botanischen Ergebnisse der Reise nicht zu Papier.
       
       1814 ist es mit dem beschaulichen Leben in Malmaison vorbei: Joséphine
       stirbt, Napoleon wird knapp zwei Jahre später gestürzt. Bonpland muss das
       Land verlassen. Simón Bolivar möchte ihn als Ratgeber nach Venezuela holen.
       Bonpland nimmt jedoch lieber die Einladung der La-Plata-Staaten an, um in
       Buenos Aires einen botanischen Garten anzulegen.
       
       1816 verlässt er mit der 20-jährigen Hofdame Adeline Delahaye und ihrer
       Tochter Le Havre. Im Gepäck: Obstbäume, Medizinalpflanzen, Weinstöcke,
       Gemüsesamen und das gesamte Amerikanische Herbarium und die weitgehend
       unpublizierte Auswertung. Humboldt schäumt. Carl Sigismund Kunth eilt aus
       Paris herbei, um zumindest die Manuskripte zu ergattern, die Pflanzen gehen
       nach Amerika.
       
       Dieser Abschied von Europa wird oft als Ende von Bonplands Karriere
       gesehen, sein weiteres Leben als „tragisches Schicksal“ beschrieben.
       Tatsächlich klingt der Verlauf nun etwas romanhaft. Doch lässt man die
       „[1][eurozentritische Perspektive]“ (Stephen Bell) auf die mehr als vierzig
       Lebensjahre Bonplands im Süden Amerikas fallen, so tritt eine faszinierende
       Geschichte voller Überraschungen zutage.
       
       Als Bonpland Buenos Aires erreicht, befindet sich Argentinien in einer
       schweren politischen Krise mit seinen Nachbarländern Paraguay und Uruguay.
       Der Auftrag für den botanischen Garten löst sich in Luft auf, auch die
       Pensionszahlungen aus Frankreich bleiben aus. Bonpland wird 1818 zwar zum
       Professor für Naturkunde ernannt, aber einen Lohn erhält er nicht. Er muss
       als Arzt praktizieren.
       
       1820 kehrt Adeline nach Europa zurück, während Bonpland der Kultivierung
       des Matestrauchs auf der Spur ist. Am Ufer des Paranás baut er eine
       verlassene Jesuitenreduktion wieder auf. Er botanisiert und experimentiert,
       um die besten Pflanzensorten zu identifizieren. Bald hat er 850 Arten
       gesammelt.
       
       Die Mate-Experimente missfallen dem paraguayischen Diktator Gaspar
       Rodríguez de Francia, der das Mate-Monopol beansprucht. Am 8. Dezember 1821
       lässt er ein Blutbad unter den indianischen ArbeiterInnen anrichten und die
       Siedlung niederbrennen. Bonpland wird nach Paraguay verschleppt. Der
       Diktator beschuldigt den Franzosen des Hochverrats. Er weist ihm ein
       Fleckchen Land zu, das er bei Todesandrohung nicht verlassen darf. Bonpland
       lebt dort zunächst in bitterster Armut, barfuß, nur mit einem wallenden
       Hemd bekleidet. Wieder behilft er sich mit seinen medizinischen und
       pharmazeutischen Kenntnissen.
       
       ## Heimkehr des fast Verschollenen
       
       Er pflanzt Zitruspflanzen und Matestäucher. Er stellt Medizin, Liköre und
       Honig her, eröffnet eine Krankenstation und eine Schule für Geburtshilfe.
       Seine Kenntnisse mischt er mit indigenem Wissen. Auch tröstet er sich mit
       Maréi, der Tochter eines Kaziken, über den Verlust seiner Hofdame hinweg.
       Zwei Kinder gehen aus dieser Verbindung hervor.
       
       Aus dem fernen Paris setzt Humboldt alle Hebel in Bewegung, seinen Freund
       zu retten. Und Simón Bolivar droht, Bonpland mit Gewalt zu befreien. Ohne
       Erfolg. Neun Jahre wird die Gefangenschaft dauern. Dann wird sie ebenso
       plötzlich aufgehoben, wie sie begonnen hatte. Am 8. Februar 1831 überquert
       der Franzose den Rio Paraná. Frau und Kinder bleiben zurück.
       
       In Europa erwartet man nun die Heimkehr des fast Verschollenen. Doch
       Bonpland antwortet: „Ich habe mich daran gewöhnt, frei zu leben, im
       Schatten der Jahrhundertbäume Amerikas, dem Gesang der Vögel lauschend […].
       Ich ziehe vor, was mir am meisten Freude bereitet: Meine liebste
       Gesellschaft, meine Pflanzen, die mein Glück und mein Leben sind. Nein,
       nein, hier lebe und hier sterbe ich.“
       
       Noch ist es aber nicht so weit. Und während [2][Humboldt als der „Zweite
       Entdecker Amerikas“] gefeiert wird, beweist sich Don Amado, wie Bonpland im
       südlichen Amerika genannt wird, als Stehauf-Mann. Zweimal hat er sich schon
       eine komplett neue Existenz geschaffen. Nun, mit 62 Jahren, heiratet er die
       Halbindianerin Victoriana Cristaldo aus Corrientes. Sie bekommt von ihm von
       1843 bis 1847 drei Kinder, dann verlässt sie den alten Sonderling.
       
       Mit dem Alter kamen die Ehrungen. Frankreich würdigt Bonpland mit dem Kreuz
       der Ehrenlegion. Die Pariser Akademie zeichnet ihn aus, der preußische
       König verleiht ihm den Roten Adlerorden. Der Gouverneur von Corrientes
       ernennt ihn 1854 zum Direktor des naturhistorischen Kabinetts. Dann wird es
       still um Humboldts Reisegefährten. Besorgt schickt Humboldt 1858 den
       deutschen Arzt Robert Avé-Lallement. Der schildert Bonpland als verwildert
       und verwirrt. Auch habe er sich über das immense Übergewicht Humboldts
       beschwert, der manches als eigene Forschung veröffentlicht hätte, was mehr
       ihm zukäme. Drei Wochen später, am 11.Mai 1858, stirbt Bonpland.
       
       Vom Rosengärtner der Kaiserin Joséphine bis zum Mate-Pflanzer in Paraguay
       verbrachte Bonpland den größten Teil seines Lebens weit südlich des
       Äquators, an der ländlichen Peripherie des wissenschaftlichen Geschehens.
       Eric Corthès sieht in ihm eine Art Post-Jesuit und Prä-Hippie. Er
       hinterließ umfangreiche Manuskripte, doch nichts war zu Ende gebracht.
       Seine Beobachtungen über den Mate-Tee sollten internationale Beachtung
       erreichen. Er sprach Spanisch und Guaraní – aber kaum noch Französisch.
       
       Im südlichen Amerika stand er in Kontakt zu Staatsmännern und
       Intellektuellen, für die er ein wichtiger Ratgeber war. Ebenso
       selbstverständlich bewegte er sich in indigenen Gesellschaften. Der oftmals
       behauptete Gegensatz zwischen dem „zivilisierten“ Forscher und dem
       „naturverbundenen“ Pflanzen- und Menschenfreund ist ein konstruierter.
       Vielmehr kann Bonpland als ein Pionier der nachhaltigen Landwirtschaft
       bezeichnen werden, ein Öko-Visionär, der auch für allgemeine
       Freiheitsrechte warb.
       
       Humboldt lobte die „edle freie Unabhängigkeit seiner Gesinnungen“. Die
       Guaraní-Indianer verehrten ihn als Weisen: Karaí Arandú – der „Mensch, der
       das Licht in seinem Geist trägt“.
       
       14 Sep 2019
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Prinz
       
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