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       # taz.de -- Buch über den automobilen Wahnsinn: Ein Autor im Metapherntaumel
       
       > Klaus Gietinger rechnet in seinem neuen Buch mit dem Auto ab. Aber selbst
       > das hat einen besseren Kritiker verdient.
       
   IMG Bild: Gründe, den Automobilverkehr zu kritisieren gibt es genug, trotzdem muss die Kritik gut gemacht sein
       
       Im Prinzip gibt es zwei Formen von Zombie-Technologien. Die Anwendung der
       ersten bewirkt langfristig nicht korrigierbare Schäden und unberechenbare
       Folgekosten. Zu dieser Sorte Technologien gehören die Nutzung der
       [1][Atomkraft] ebenso wie der [2][Kohlebergbau] und der Abbau einiger
       Metalle und s[3][eltener Erden].
       
       Die zweite Art von Zombie-Technologie stellt sich schon vor der Anwendung
       im großen Stil als Bumerang heraus. Das ist der Fall bei der individuellen
       Motorisierung, die in Staus kollabiert, bevor sich alle in Autos bewegen.
       Langfristig zeitigt diese Technologie dasselbe Resultat wie die erste Art.
       Ihre Schäden und Risiken für die Gesundheit von Anwendern wie
       Nichtanwendern sowie die Folgen für das Klima werden irreversibel und
       unberechenbar teuer.
       
       Insofern ist es höchste Zeit für ein Buch mit dem Titel „Vollbremsung.
       Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen“. Bereits
       lange vor der Vollmotorisierung der Welt mit Autos haben die Schäden
       [4][eine schreckliche Dimension angenommen]. Weltweit sterben täglich 3.700
       Menschen im Straßenverkehr. Momentan verkehren weltweit aber „nur“ 1,5
       Milliarden Pkws. Für den Zeitraum seit der Erfindung des Automobils vor gut
       100 Jahren rechnet man mit 70 Millionen Toten, drei Milliarden Verletzten
       und 200 Millionen Behinderten durch Unfälle. Zieht man die Folgeschäden
       ein, das heißt die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch autobedingte
       Luftverschmutzung, kommt man weltweit auf 200 Millionen Tote.
       
       „Keine Technik hat je mehr Opfer gefordert“, bilanziert der Autor Klaus
       Gietinger die Lage. Gietingers Befunde sind alarmierend, ohne auf
       statistische Unebenheiten und Widersprüche – an einer Stelle ist von
       „Milliarden“ von „Opfern des Kfz“ die Rede – oder sprachliche Schlampereien
       einzugehen – natürlich wird niemand Opfer eines „Kfz“, sondern allenfalls
       des Kfz-Verkehrs.
       
       Aber Alarmstimmung ist für einen Autor nicht die beste Voraussetzung.
       Gietinger bedient sich, wo es um die argumentative Durchdringung und
       Erklärung seiner Befunde ginge, ausgesprochen simpler Psychologismen: „Das
       Kapital ist maßlos, das Auto auch. (…) Das von den Faschisten gepuschte
       Auto“ hat „uns bewegungssüchtig gemacht“. So sind „wir Junkies“ geworden
       und werden vom „Drogenkartell der Autokonzerne“, den „Drogendealern“ in der
       Regierung, die mit den Konzernen eine „kriminelle Vereinigung“ bildet, in
       Abhängigkeit gezwungen.
       
       Gietinger steigert sich in einen furiosen Metapherntaumel, den Marx einmal
       als „intellektuellen Grobianismus“ bezeichnet hat. Dazu zählen sinnfreie
       Sätze wie „Geld muss (…) dem Kfz genommen werden“ oder Kapital soll
       „basisdemokratisch“ gebremst werden. Starke Worte ersetzen dem Taumelnden
       Argumente, etwa wenn er dem Bundesverfassungsgericht unterstellt, es habe
       das staatliche Gewaltmonopol an „die Gesamtheit der Autofahrer“ übergeben.
       Der automobile Wahnsinn hat einen besseren Kritiker verdient.
       
       16 Sep 2019
       
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