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       # taz.de -- Oberkante Unterlippe
       
       > So ein gewöhnliches Hochwasser bringt auf Hallig Hooge niemanden aus der
       > Ruhe. Dennoch bedeutet jedes Landunter für die BewohnerInnen Mühe und
       > Gefahr. Und die Sturmfluten rollen immer häufiger heran
       
   IMG Bild: Schwappt rüber: Hochwasser auf Hallig Hooge
       
       Von Hallig Hooge Sven-Michael Veit
       
       Abwechselnd schaufeln die beiden großen grünen Bagger die Kleie den Hang
       hinauf. Röhrend verteilt eine Planierraupe den Modder auf dem Hügel neben
       den Reetdachhäusern. Das Dröhnen der schweren Maschinen liegt über der
       Hallig Hooge, die CO2-Bilanz dieser Arbeiten dürfte desaströs sein. Aber
       der Zweck heiligt auch hier die Mittel, und er lautet, die Hallig zu
       retten.
       
       „Zumindest für die nächsten 100 Jahre“, sagt Michael Klisch, Leiter der
       Schutzstation Wattenmeer auf der Hallig. „Viel länger wird das wohl nicht
       gutgehen“, befürchtet der 53-jährige Geograph. Denn wenn der Meeresspiegel
       der Nordsee steigt, gehören die flachen, ungeschützten Halligen vor der
       nordfriesischen Westküste zu den ersten Opfern des Klimawandels. „Das
       Wattenmeer wird ertrinken“, hatte vor vier Jahren der damalige grüne
       Umweltminister Robert Habeck prophezeit – sofern keine Gegenmaßnahmen
       ergriffen werden.
       
       Um mindestens 26 Zentimeter, vielleicht sogar um 82 Zentimeter, könnten die
       Pegel an Nord- und Ostsee bis zum Ende des Jahrhunderts noch ansteigen,
       hatte der Weltklimarat 2013 in seinem Bericht vorgerechnet. Der Kieler
       Klimaforscher Mojib Latif hält das noch für zu optimistisch. Er geht von
       einem Meter Anstieg aus.
       
       Und deshalb kämpft das Land Schleswig-Holstein mit dem Programm „Hallig
       2050“ gegen die drohenden Fluten. Die Hanswarft, die größte der neun
       bewohnten Wohnhügel auf Hallig Hooge, wird verstärkt und auf 5,80 Meter
       erhöht. Sie ist die am dichtesten besiedelte Warft, 30 Häuser von 23
       Eigentümern stehen hier, rund 500 Touristen kommen Tag für Tag. Hier
       befinden sich das Gemeinde- und Tourismusbüro, das Sturmflutkino, das
       Souvenirgeschäft, das Naturkundehaus der Schutzstation Wattenmeer mit
       Aquarium, Ausstellung und Seminarräumen. Und seit Anfang Juli gibt es hier
       einen neuen Supermarkt mit Schutzraum für Katastrophenfälle, einem an die
       Telemedizin angekoppelten Krankenpflegeraum und drei Wohnungen im
       Obergeschoss.
       
       „Die Halligen sind für uns wichtig, gerade beim Küstenschutz spielen sie
       eine große Rolle“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der zur
       Eröffnung eigens angereist war, um sich über die Warfterhöhungen zu
       informieren. Denn an den Halligen und den vorgelagerten Sänden
       Süderoogsand, Norderoogsand und Japsand wird die Energie der Sturmfluten so
       abgeschwächt, dass die Menschen an der Festland-Küste besser geschützt
       sind. Darum sei der Erhalt der Halligen im Interesse aller
       Schleswig-Holsteiner, sagte Günther und kündigte weitere Investitionen an:
       „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen.“ Sehr zur Freude von
       Bürgermeisterin Katja Just, für die die Hallig Natur- und Kulturerbe
       zugleich ist: „Die Frage stellt sich nicht, ob es sich lohnt, hier zu
       investieren“, sagt die 45-Jährige. „Sonst könnten wir gleich allesamt die
       Koffer packen.“
       
       Am Nikolaustag 2013 hatte der Orkan „Xaver“ an der Nordseeküste mit einer
       schweren Sturmflut von 4,50 Metern über Normalnull gewütet. Alle Halligen,
       auch Hooge, wurden überschwemmt, bei etlichen Warften schwappten die Wellen
       an die Haustüren, das Wasser stand Oberkante Unterlippe. Anderthalb Jahre
       später beschloss die rot-grüne Landesregierung die „Wattenmeer-Strategie
       2100“ und damit ein Programm zur Verstärkung und Erhöhung von Warften auf
       den Halligen und Deichen auf den Inseln und an den Festland-Küsten.
       
       Nicht nur auf Hooge, auch auf Langeness und Nordstrandischmoor wird je eine
       Warft erhöht, für Gröde wird das noch geplant. Über die nächsten Jahre
       sollen 17 bewohnte Warften auf den Halligen, die als zu niedrig gelten,
       gesichert werden, 85 Millionen Euro sind dafür im Landeshaushalt
       vorgesehen.
       
       Auf Hooge begannen die Arbeiten am 22. April, am 27. September sollen sie
       beendet sein. An die vier Millionen Euro kostet die Aufschüttung des 7.000
       Quadratmeter großen „Plateaus“, wie Klisch es nennt, im Nordwesten der
       Hanswarft. 95 Prozent zahlt das Land, den Rest die Gemeinde. 22.000
       Kubikmeter Sand, aufgespült aus der Nordsee vor Sylt, und Kleieboden von
       der Hallig selbst werden dafür gebraucht. Was dann passiert, ist indes noch
       unklar.
       
       Auf dem Plateau will die Gemeinde zwei Häuser errichten, „unsere
       Wohnjoker“, sagt Bürgermeisterin Just. Dort könnten WarftbewohnerInnen
       vorübergehend unterkommen, die ihre alten Häuser sturmflutsicher machen
       wollen. Offen ist die Methode. Eine Möglichkeit wäre, das alte Haus Stein
       für Stein abzubauen, das Grundstück aufzuschütten und das Haus
       originalgetreu wieder zu errichten. Eine andere Option könnte sein, das
       Haus um ein Stockwerk zu erhöhen und das bisherige Erdgeschoss zum Keller
       zu machen.
       
       Bei mehreren Häusern an der Südwestflanke, wo die Warftkante ebenfalls
       erhöht wurde, ist vom Erdgeschoss nur noch die Oberkante der Fenster zu
       erkennen, der schwarze Kleiehang davor verdeckt die Sicht. „Wie der Rand
       einer Suppenschlüssel“, sagt Klisch. Ungeklärt ist vor allem, wer bei der
       Erhöhung von Privatgrundstücken die Kosten trägt. Die Aufschüttung, der
       Neubau, der Verdienstausfall für Pensionen und Restaurants – da müsste das
       Land sich zumindest beteiligen, findet Just. Und für das Heimatmuseum und
       den denkmalgeschützten Königspesel, eine Friesenstube mit der Wohnkultur
       des 18. Jahrhunderts, sei ohnehin das Land „finanziell in der Pflicht“,
       sagt die Bürgermeisterin.
       
       Einen weiteren Vorschlag für den Halligschutz machte voriges Jahr die
       Umweltstiftung WWF. Die Halligen sollten wieder mehr und häufiger
       überflutet werden, schlug Jannes Fröhlich vom WWF-Wattenmeerbüro in Husum
       vor. „Und zwar gerade weil der Meeresspiegel steigt.“ Denn nur durch die
       Ablagerungen von Sedimenten bei Landunter könnten sie in die Höhe wachsen
       und salzig bleiben. Auf Hooge und Langeness mit ihren relativ hohen
       Sommerdeichen seien die charakteristischen und ökologisch bedeutsamen
       Salzwiesen bereits heute stark ausgesüßt und lägen zu niedrig, sagt der
       WWF-Experte für Wattenmeerschutz.
       
       Fröhlich verweist darauf, dass die Salzwiesen die Brutgebiete von
       mindestens 60.000 Austernfischern und Küstenseeschwalben sind sowie in
       Frühjahr und Herbst Raststätte für Hunderttausende Ringelgänse und andere
       Zugvögel. Und auf Norderoog brüten etwa 3.000 Paare Brandseeschwalben –
       rund 70 Prozent des deutschen Bestandes. Sie alle seien von den Salzwiesen
       abhängig, deshalb müssten diese bewahrt werden.
       
       „Die Ufer müssen auch zukünftig gegen den Abbruch durch Wellen und Strömung
       geschützt werden“, sagt Fröhlich. Doch werden die Halligen seltener als
       bisher überflutet, werde weniger Schlick und Sand aufgespült. In der
       Konsequenz würden sie deutlich langsamer wachsen als der Meeresspiegel
       ansteigt, das würde sie zur leichten Beute des Klimawandels machen. Deshalb
       sollten die Sommerdeiche so umgestaltet werden, dass es häufiger zu
       leichten Überflutungen kommen könne.
       
       Die Nordküste von Hooge wäre dafür gut geeignet. Hier wogt Anfang September
       das Abendhochwasser zwei Tage in Folge mit Nachdruck an den 1,50 Meter
       hohen Steindeich. Bei Windstärke 6, in Böen 8 aus Nordwest drückt die
       Nordsee auf den Damm, einige Wellen schwappen auch rüber in den
       Seglerhafen. So ein gewöhnliches Hochwasser bringt hier niemanden aus der
       Ruhe. Im Westen aber, hinter Japsand, macht das Fernglas die
       weiß-gischtigen Brecher sichtbar, die auf die Sände zuschäumen. Was davon
       hier an der Hallig ankommt, ist vergleichsweise bescheiden.
       
       Jedes Landunter indes beschert den BewohnerInnen auf den Halligen Mühe und
       Gefahr. Sie müssen Kühe, Schafe und Pferde in die Ställe auf den Warften
       bringen, Strandkörbe und Toilettenwagen sichern, und bei den seltenen
       sommerlichen Hochwassern verlieren sie das Heu auf den Wiesen. Langeness
       wird 20 bis 30 Mal pro Jahr überspült, die kleine Hallig Gröde noch
       häufiger, Hooge deutlich seltener. In der Pension „Hus Halligblick“ auf der
       Backenswarft notiert Wirtin Katrin Brogmus jedes Landunter auf einer
       Kreidetafel vor dem Frühstücksraum. Mal drei, mal fünf Überflutungen sind
       in den vergangenen Jahren verzeichnet, im stürmischsten Jahr 2017 waren es
       acht, und da kam der erste Herbstorkan ungewöhnlich früh bereits am 12.
       September. In diesem Jahr stand die Nordsee erst zweimal auf der Hallig, am
       8. Januar und am 4. März. Aber dabei wird es wohl nicht bleiben, die
       Sturmflutsaison beginnt jetzt erst.
       
       Halligen verschwinden und entstehen neu, das ist seit Jahrhunderten der
       Rhythmus an Schleswig-Holsteins Westküste. Die Reste der Hallig Jordsand
       nordöstlich von Sylt, nach der ein Naturschutzverein sich benannte, wurden
       vor 20 Jahren vom Meer verschluckt; im Watt zwischen Amrum und Föhr wächst
       seit Kurzem die Kormoran-Insel, bisher nur eine Sandbank, gespeist von den
       Abbrüchen am Kliff an der Hörnum Odde im Süden Sylts. Nordstrandischmoor
       und Südfall sind ebenso wie die Inseln Pellworm und Nordstrand Reste der
       großen Insel Strand, auf der einst das sagenumwobene Rungholt lag. 1634
       wurde sie von der Nordsee in Stücke gerissen.
       
       „Schwimmende Träume“ hat Nordfrieslands Dichterfürst Theodor Storm die
       Halligen einst genannt. Im Klimawandel drohen sie zu Albträumen zu werden.
       
       20 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven-Michael Veit
       
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