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       # taz.de -- Weg vom Blümchensex: Kuscheln ist Power, aber …
       
       > Blümchensex funktioniert ohne Kneifen, Beißen und Kitzeln. Das ist okay.
       > Es ist auch okay, wenn es einen nach mehr sehnt als nur nach
       > Zärtlichkeit.
       
   IMG Bild: Übliches Sex-Schema: Stecker und Steckdose
       
       Mittlerweile habe ich vergessen, wie das gehen soll mit den Blümchensex.
       Lange hingegen dachte ich, das muss so. Ist ein bisschen wie
       Klimawandelleugnen, wenn man das eigene Begehren leugnet. Funktioniert eine
       Weile, bringt aber nichts, weil die Unausweichlichkeiten
       Unausweichlichkeiten bleiben, egal ob man hin- oder wegsieht.
       
       Blümchensex ist die Art Verkehr, die ohne jedes Spiel mit Gewalt und
       Unterwerfung auskommt, [1][ohne Kneifen, Beißen und Kitzeln und ohne
       Fantasien]. Auf Englisch heißt dieser Sex „Vanilla“, ganz so wie jene
       Geschmacksrichtung, auf die sich alle einigen können, an die man sich aber
       am wenigsten erinnert.
       
       Blümchensex ist die Vorstellung, dass Verkehr freundlich und streichelig
       sein muss, schmerzfrei und süß, voller Weichzeichner und schüchtern
       ausgetauschten Lächeleinheiten. Da ist an und für sich nichts Verwerfliches
       – Kuscheln ist Power. Schade ist bloß, wenn alle, die sich nach mehr sehnen
       als Zärtlichkeit, das Gefühl haben müssen, dass irgendetwas nicht in
       Ordnung ist. Blümchensex baut auf die Annahme auf, dass Nähe durch Reibung
       im Beckenbodenbereich entsteht. Er dreht sich vor allem um Penetration und
       die dadurch entstehende Stimulation von Rektum, Scheidenwand, Klitoris oder
       Prostata.
       
       ## Vom grauenvollen Wort „Vorspiel“
       
       Für alles, was nicht Penetration ist, hat Blümchensex das grauenvolle Wort
       „Vorspiel“ übrig. Ein Konzept so freudlos und inhuman, dass es sämtliche
       erogenen Zonen und das komplette menschliche Vorstellungsvermögen zu einer
       Art Hilfswissenschaft für das Schema „Stecker und Steckdose“ reduziert.
       Nicht, dass an Penetration irgendetwas falsch wäre.
       
       Aber es gibt eben noch Ohrläppchen, Brustwarzen, Lippen, Halsschlagadern
       und Achselhöhlen, und wer die kennt, der kennt auch ihre besten Freunde,
       die Finger, Zungen, Zähne und Nägel. Und wer Stimulation ernsthaft
       ausprobiert, landet schneller als gedacht beim Schmerz. Vielleicht nicht
       beim heftigen, vielleicht gar nicht mal beim echten, sondern beim
       potenziellen, beim angetäuschten, beim vorgestellten. Aber eben beim
       Schmerz. Wer Lust hat, das Spektrum von Reiz-Reaktions-Mustern am eigenen
       und am anderen Körper zu erkunden (wohlgemerkt: mit Konsens!), hat
       Blümchensex schneller verlassen, als er oder sie gedacht hat.
       
       Man muss das nicht lieben. Man kann es lassen oder eben machen. Es gibt
       drei Sorten Leute: [2][diejenigen, die wissen, worauf sie Lust haben und es
       sich holen]; diejenigen, die keine Ahnung haben, was sie wollen, und
       deshalb noch viel entdecken dürfen; und diejenigen, die ihr Begehren kennen
       und es leugnen.
       
       Der Unterschied zum Klimaleugnen besteht übrigens darin, dass der
       Klimawandel eine grauenvolle Realität ist, der wir wohl oder übel ins Auge
       sehen müssen. Dagegen hat die unendliche Realität sexuellen Begehrens
       nichts Grauenvolles. Hier erwartet uns am Ende des Leugnens nur eins:
       Freiheit.
       
       21 Sep 2019
       
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