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       # taz.de -- Klimaschutz-Bewegung in USA: Make America Greta again
       
       > Die USA sind das Land mit der höchsten Konzentration an Klimaleugnern.
       > Doch dank New Yorker Teenagerinnen wächst die
       > Fridays-for-Future-Bewegung.
       
   IMG Bild: Der lange Marsch der Aufgeweckten: Greta Thunberg bei Schulstreik vor dem Weißen Haus
       
       NEW YORK taz | Als das Jahrtausend begann, waren Alexandria Villaseñor und
       Xiye Bastida-Patrick noch nicht geboren. An diesem Freitag werden sie von
       New York aus zusammen mit der 16-jährigen Greta Thunberg den [1][„globalen
       Klimastreik“] anführen. Ihre Bewegung ist jung und neu und weiblich. Sie
       sind Pionierinnen des Klimaaktivismus in dem Land mit der höchsten
       Konzentration von Klimaleugnern.
       
       Bislang ignoriert Präsident Trump sie, und die Fernsehsender und Zeitungen
       beginnen erst allmählich damit, über sie zu berichten. Aber aus den
       sozialen Medien wissen jetzt Millionen von Jugendlichen in den USA, dass es
       eine Klimakatastrophe gibt. Und dass sie selbst etwas tun können, um das
       Schlimmste zu verhindern.
       
       „Wenn ich warte, bis ich wählen darf, ist es zu spät“, sagt die 14-jährige
       Alexandria mit einer mädchenhaften Stimme. Anfang November vergangenen
       Jahres hat sie bei einem Besuch in ihrem Geburtsort Davis in Kalifornien
       den schwersten Waldbrand der Geschichte des Bundesstaats erlebt. Er
       zerstörte den Nachbarort Ort Paradise und tötete 85 Menschen. Im anderthalb
       Autostunden weiter südlich gelegenen Davis lösten die Rauchwolken eine
       Asthmakrise bei der 13-jährigen Alexandria aus.
       
       Als sie nach New York zurückkehrt, wird Alexandria aktiv. Sie tritt in die
       Fußstapfen von Greta Thunberg. Doch während die Schwedin ihren Schulstreik
       vor dem nationalen Parlament ihres Landes begonnen hat, geht die junge
       US-Amerikanerin vor die Tore der größten internationalen Organisation. Ab
       Mitte Dezember sitzt sie jeden Freitag auf einer metallenen Bank bei den
       Fahnenmasten vor dem Hauptsitz der Vereinten Nationen an der First Avenue
       in New York. Die meiste Zeit bleibt sie allein mit ihrem Schild
       „Schulstreik“. Erst nach Monaten der Einsamkeit stoßen weitere Teenager zu
       ihr. Zusammen skandieren sie, dass sie „unaufhaltsam sind, wie der
       steigende Meeresspiegel“, dass sie „Klimagerechtigkeit“ verlangen und
       „alles stilllegen“ werden, wenn sie die nicht kriegen, und neuerdings rufen
       sie auch: „Wir streiken für uns und für euch“.
       
       Auch Xiye will keine Zeit verlieren. „Wir müssen jetzt aktiv werden“,
       begründet sie, „sonst werden wir Opfer der Klimakatastrophe.“ Ihre
       Schlüsselerlebnisse liegen schon recht lange zurück. An ihrem Geburtsort
       San Pedro Tultepec im Zentrum Mexikos hat sie eine mehrjährige
       Dürrekatastrophe, gefolgt von einer schweren Flutwelle, erlebt.
       
       ## Patienten mit „Klimaangst“
       
       Als die Familie anschließend nach New York übersiedelte, spürte Xiye dort
       die Folgen von Hurrikan „Sandy“, der 2012 in der Stadt gewütet hat. In der
       Klimabewegung in New York beruft sich Xiye auf ihre indigenen Wurzeln. Sie
       betont, dass sie eine Otomi ist, wie ihr Vater – und dass sie als solche
       die Verpflichtung hat, den Planeten zu verteidigen.
       
       Von einer New Yorker Psychologin erfährt sie, dass neuerdings Patienten mit
       „Klimaangst“ in deren Praxis kommen. Xiye hat immer noch Albträume von
       Hurrikanen und in diesem Sommer hat sie geweint, als sie Bilder von dem
       brennenden Amazonaswald sah. „Egal, wo ich hingehe“, sagt die inzwischen
       17-Jährige: „die Klimakatastrophe ist schon da.“
       
       Aber in den zurückliegenden Wochen erleben die beiden Pionierinnen
       Glücksmomente. Der Mittwoch, an dem Greta Thunberg nach ihrer
       Atlantiküberquerung im Segelboot an Land geht, ist einer davon. Alexandria
       und Xiye halten die Begrüßungsreden für die Schwedin. Anschließend lassen
       sie sich von ihr das Segelboot „Malizia II“ zeigen. Sie hoffen, dass das
       Mädchen aus Schweden ihnen aus ihrer Isolation heraushilft.
       
       Seither sind die drei Teenager in New York und Washington in Sachen Klima
       unzertrennlich. Sie halten Vorträge, geben Interviews; bei den Protesten
       vor der UN halten Alexandria und Xiye und andere nordamerikanische Teenager
       kurze Reden nach dem Pop-up-Prinzip.
       
       Dabei steht eine Person auf, sagt ein paar Sätze über die
       Klimawandelauswirkungen, setzt sich wieder. Dann kommt die nächste Person
       dran. Greta Thunberg sitzt meist schweigend im Zentrum und sagt nur dann
       etwas, wenn sie direkt angesprochen wird. „Sie will uns den Vortritt
       lassen“, sagt Alexandria. In der nächsten Woche sind alle drei Gäste des
       UN-Klimagipfels. Zumindest Greta Thunberg wird dort eine Rede halten.
       
       ## „Wow – das ist riesig“
       
       Nach Thunbergs Landung werden die „Fridays for Future“-Proteste in New York
       größer. An den zwei folgenden Freitagen kommen mehrere Dutzend Jugendliche
       vor die UN. Am dritten Freitag, als Thunberg in Washington vor dem Weißen
       Haus ist, schrumpft das Häuflein rund um die Metallbank vor der UN wieder.
       Aber in der Hauptstadt versammeln sich mehr als 1.500 Menschen um die junge
       Schwedin. Als die Bilder über ihr Handy flimmern, ruft Xiye erfreut: „Wow –
       das ist riesig.“ Sie gibt gerade ein Interview. Während sie spricht, setzt
       sie mit der linken Hand ein Herz unter ein Foto aus Washington.
       
       Die beiden New Yorkerinnen sind Medienprofis geworden. Sie lassen sich
       nicht von geringen Teilnehmerzahlen beeindrucken, sondern positivieren
       lieber. „Das Wichtigste ist, dass es weitergeht“, sagt Xiye: „wir brauchen
       Beständigkeit“. Alexandria schwärmt von der „Flugscham“, die Thunberg in
       Europa ausgelöst hat. „Bei uns hat sie noch nicht genügend Einfluss“,
       erklärt Alexandria, „aber das wird sich ändern.“
       
       Als Xiye zum ersten Mal von Thunberg hörte, war sie beeindruckt, dass eine
       junge Frau so viel bewegen kann. Dann fiel ihr auf, dass sie selbst nicht
       viel älter ist, und sie begann, an der Beacon High School in New York zu
       organisieren. Am 15. März folgen ihr 600 Mitschüler zu einem Walkout für
       das Klima.
       
       Später an jenem Tag geht Xiye zum Naturkundemuseum, wo sie Alexandria
       begegnet, die zusammen mit anderen Teenagern eine „coole Aktion“ macht. Sie
       tragen Politikermasken ins Museum, darunter sind sowohl Republikaner, wie
       Präsident Trump, als auch Demokraten, wie die Repräsentantenhaussprecherin
       Pelosi und der New Yorker Senator Schumer. „Fossil Fools“ – fossile Narren
       – nennen die Jugendlichen die Politiker, die sie aus dem Verkehr ziehen
       wollen.
       
       Seither sind die Aufgaben von Alexandria und Xiye komplexer geworden. Die
       beiden haben Auszeichnungen für ihr Engagement bekommen – Xiye von der UN,
       Alexandria von verschiedenen Umweltorganisationen. Sie haben Dutzende von
       Interviews gegeben, Vorträge gehalten und Lobbying gemacht. Um das alles zu
       bewältigen, hat Alexandria jetzt einen ehrenamtlichen Pressesprecher.
       
       ## Familiärer Beistand
       
       Genau wie Greta Thunberg werden auch die beiden New Yorkerinnen von ihren
       Eltern unterstützt. Alexandria nennt sie: „unsere besten Alliierten“. In
       ihrer Familie sind die Mutter und die ältere Schwester
       Umweltwissenschaftlerinnen. Wenn Alexandria vor der UN schulstreikt, ist
       ihre Mutter in der Nähe. Auch Xiyes Mutter, eine aus Chile stammende
       Ethnologin, ist in Rufweite. Die Mütter halten sich meist zurück. Nur wenn
       es um Aufenthaltspapiere geht, versucht Xiyes Mutter zu bremsen. Xiye hat
       die mexikanische und die chilenische, nicht aber die amerikanische
       Staatsangehörigkeit. Aber wenn ihre Mutter sie mahnt: „sei vorsichtig“,
       lacht die Tochter.
       
       Die beiden Teenager an der Spitze glauben, dass Reisen ihren Blick
       geschärft haben. Während wohl die meisten Erwachsenen in den USA nicht über
       ihren Tellerrand hinaussehen, können sie vergleichen. Alexandria kennt
       sowohl die Ost- als auch die Westküste der USA, Xiye sowohl New York als
       auch Mexiko.
       
       Für die ungewöhnlich starke Präsenz von Frauen in der Bewegung haben die
       Aktivistinnen unterschiedliche Erklärungen. Eine lautet, dass Frauen
       aufmerksamer auf Klimaveränderungen reagieren, eine andere, dass Mädchen im
       Teenageralter früher erwachsen werden. Ayisha Siddiqa hat eine dritte:
       „Umweltpolitik und Umweltthemen sind zweitrangig in den USA, weil sie nicht
       für Geld und Erfolg stehen.“
       
       Ayisha ist eine der wenigen Teilnehmerinnen der Fridays-for-Future-Proteste
       in New York, die nicht aus einer Mittelschichtfamilie stammt. Ihre Familie
       ist aus einem Dorf in Pakistan gekommen, als sie fünf war. Bis heute sind
       ihre Eltern im „Überlebensmodus von Immigranten – darauf konzentriert:
       Essen auf den Tisch zu bringen“, so Ayisha.
       
       Mit 20 ist sie eine der älteren Klimaaktivistinnen. Und eine der wenigen,
       die ein Kopftuch trägt. Bei den Freitagen vor der UN hält sie oft
       selbstbewusste kurze Reden. Sagt: „Jede Revolution beginnt mit jungen
       Leuten.“ Oder klagt die umstehenden Journalisten an, weil sie das Sterben
       an den „Fronten der Klimakatastrophe“ ignorieren. „Das ist Adrenalin“, sagt
       Ayisha, die privat still und schüchtern ist. Und sich Sorgen über ihr
       Alter macht. „Mit den Jahren geht die moralische Autorität verloren“, sagt
       sie, „der Alltag nimmt überhand – Geld, Pflichten und so.“
       
       Nach ihrem Studium von Politikwissenschaft und Linguistik will Ayisha in
       der Umweltpolitik oder im Umweltrecht arbeiten: „Je nachdem, wo die
       menschliche Spezies steht, falls die Klimakrise bis dahin nicht abgemildert
       worden ist.“ Auch andere Pionierinnen der Bewegung streben in diese
       Bereiche. Xiye möchte an der Schnittstelle von Umwelt und internationalen
       Beziehungen arbeiten. Und Alexandria hofft, dass sie in zehn Jahren nicht
       mehr für das Klima streiken muss. Sie möchte „im humanitären Bereich“
       arbeiten. Genaueres weiß sie noch nicht: „Ich bin doch erst 14 und gehe
       noch zur Mittelschule.“
       
       18 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Klimastreik-am-20-September/!5625906
       
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