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       # taz.de -- Verdi-Bundeskongress in Leipzig: Frank geht, Frank kommt
       
       > Eine Ära ist zu Ende: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wird jetzt
       > von Frank Werneke angeführt. Gründungschef Frank Bsirske geht in den
       > Ruhestand.
       
   IMG Bild: Wechsel an der Verdi-Spitze: Der neue Frank ist der mit den Blumen
       
       Leipzig taz | Eine gehörige Portion Wehmut mischte sich unter den Beifall
       für den Neuen. Am Dienstag um 16.24 Uhr war die historische Wachablösung
       vollzogen. Mit 825 Ja- gegen 65 Nein-Stimmen bei 22 Enthaltungen wählten
       die Delegierten des Verdi-Bundeskongresses in Leipzig Frank Werneke zum
       Nachfolger von [1][Frank Bsirske]. Damit ist erstmals seit der Gründung von
       Deutschlands zweitgrößter Gewerkschaft der neue Vorsitzende nicht mehr der
       alte.
       
       Zu den Stellvertreterinnen Wernekes wurden Andrea Kocsis und Christine
       Behle gewählt. Kocsis ist bereits seit 2007 Verdi-Vize, Behle gehört seit
       2011 dem Bundesvorstand an. Wie Werneke erhielten auch sie jeweils mehr als
       90 Prozent der Delegiertenstimmen.
       
       In seiner Wahlrede gab sich Werneke kämpferisch: „Wir wollen Profitgier
       durch Gemeinwohl ersetzen.“ Mit gemeinsamen Kämpfen könne die „Arroganz der
       Macht gebrochen werden“. Er sei Gewerkschafter, „weil ich Unrecht
       überwinden will“.
       
       Mit dem 52-jährigen bisherigen Stellvertreter Bsirskes übernimmt nun ein
       ganz anderer Typ Gewerkschaftsfunktionär das Verdi-Ruder, mehr Manager denn
       Arbeiterführer. An diesem Mittwoch wird der Sozialdemokrat vor den knapp
       1.000 Delegierten sein erstes Grundsatzreferat als neuer Verdi-Chef halten.
       Dann wird er endgültig seinen Vorgänger aus dem Scheinwerferlicht verdrängt
       haben.
       
       ## Fast neunzehn Jahre Gewerkschaftsführer
       
       Die vergangenen Tage standen hingegen noch ganz im Zeichen des Abschieds
       von Frank Bsirske. Achtzehneinhalb Jahre stand der Mann mit dem Schnauzbart
       an der Spitze. Hinzu kommen vier Monate als Chef der ÖTV, der größten der
       fünf Einzelgewerkschaften, die sich im Jahr 2001 zu Verdi
       zusammengeschlossen hatten. Dass er in dieser langen Zeit stets die
       unumschränkte Nummer eins war, ist durchaus erstaunlich für einen Grünen in
       einer auf der Funktionärsebene immer noch stark sozialdemokratisch
       geprägten Organisation
       
       „Frank Bsirske war Verdi, und Verdi war Frank Bsirske“, sagte
       Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf der Eröffnungsveranstaltung am
       Sonntag geradezu melancholisch. Er habe sich „um Deutschland verdient
       gemacht“ und übergebe „ein sturmerprobtes und hochseetaugliches Schiff“.
       Und sichtlich ergriffen fügte Steinmeier hinzu: „Wie gut, dass es Frank
       Bsirske gibt.“
       
       Noch pathetischer wurde Stephen Cotton: „Millionen von Menschen in
       Deutschland, Europa und der Welt werden ihn schmerzlich vermissen“, dankte
       der Generalsekretär der Internationalen Transportarbeiter-Föderation in
       seinem Grußwort am Montag überschwänglich Bsirske.
       
       ## Lange Rede zum Abschluss einer langen Amtszeit
       
       Ebenfalls am Montag hielt der so Gepriesene seine letzte große Rede als
       Verdi-Chef. Und sie war lang. Rund zwei Stunden dauerte Bsirskes
       Rechenschaftsbericht. Es war ein Parforceritt durch alle Bereiche, mit
       denen sich Deutschlands zweitgrößte Gewerkschaft so beschäftigt.
       
       Und das sind viele – von den Risiken und Chancen der Digitalisierung der
       Arbeitswelt über die Steuer- und Rentenpolitik der Bundesregierung sowie
       die Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro bis zum Kampf gegen die
       AfD, die versuche, „sozialen Protest nach rechts zu wenden“. Da seien
       GewerkschafterInnen gefordert, sich „gegen Hass, Hetze und
       Menschenverachtung zu stellen und klare Kante zu zeigen“.
       
       Wohlwollende Worte fand Bsirske hingegen für die Jugendbewegung der Fridays
       for Future, die zu Recht darauf dränge, „dass mehr gegen den Klimawandel
       unternommen wird“. Allerdings fügte er hinzu, dass „man nicht jede
       Forderung, die dort im Schwange ist, teilen kann“. Das gelte insbesondere
       mit Blick auf den Ausstieg aus der Kohleverstromung, „bei dem wir
       Differenzen haben zu dem, was da bei Fridays for Future diskutiert wird“.
       
       ## Irgendwo wird immer gestreikt
       
       Im Mittelpunkt seiner Rede stand allerdings das ureigenste Feld
       gewerkschaftlichen Engagements: der Kampf um und für bessere Tarifverträge.
       Als hervorgehobenes Beispiel benannte Bsirske den Arbeitskampf bei dem
       Billigflieger Ryanair: „Was in diesem militant gewerkschaftsfeindlich
       geführten Unternehmen ablief, war offener Klassenkampf.“ Obwohl der
       Ryanair-Boss Michael O’Leary, ein irischer Milliardär, immer getönt habe,
       niemals einen Tarifvertrag abzuschließen, habe Verdi ihn nach zähen
       Verhandlungen und wiederholten Arbeitsniederlegungen letztlich trotzdem
       dazu zwingen können.
       
       Bei Amazon ist das bislang nicht gelungen. Seit rund sechs Jahren versucht
       Verdi nun bereits, mit temporären Streiks tarifvertraglich geschützte
       Einkommens- und Arbeitsbedingungen bei dem Internetversandhändler
       durchzusetzen. „Der Kampf der Amazon-Beschäftigten für tarifvertraglichen
       Schutz geht weiter“, versprach Bsirske.
       
       Verdi ist immer noch eine sehr kampfbereite Gewerkschaft. Im vergangenen
       Jahr fasste der Bundesvorstand 129 neue Streikbeschlüsse. Was in etwa zwei
       Dritteln der Fälle dann auch tatsächlich zu Arbeitskampfmaßnahmen führte.
       Die letzte Woche, in der nicht irgendwo im großen
       Verdi-Organisationsbereich gestreikt worden sei, hätte es Ende 2015 Streik
       gegeben, sagte Bsirske mit hörbarem Stolz. „Das waren die Tage zwischen
       Weihnachten und Neujahr.“
       
       Das hohe Streikaufkommen resultiert nicht zuletzt daraus, das Angehörige
       von mehr als tausend Berufen aus 70 Branchen in Verdi organisiert sind –
       von der Straßenbahnfahrerin über den Bankangestellten und den
       Friedhofsgärtner bis zur Druckerin.
       
       ## Viele Eintritte, noch mehr Austritte
       
       Arbeitskämpfe sind für Gewerkschaften das beste Mittel zur
       Mitgliedergewinnung. Doch obwohl Verdi so viel und so oft wie keine andere
       Gewerkschaft streikt, machen ihr nach wie vor sinkende Mitgliederzahlen zu
       schaffen. Bei ihrer Gründung zählte sie noch mehr als 2,8 Millionen
       Mitglieder und galt damit als die größte Gewerkschaft Europas. Heute sind
       es nur noch um die 1,9 Millionen, fast ein Drittel weniger.
       
       Dabei ist es keineswegs so, dass Verdi keine Mitglieder gewinnen kann, im
       Gegenteil. Das Problem ist vielmehr die hohe Fluktuation. Vielen Zugängen
       stehen noch mehr Abgänge gegenüber. So traten im vergangenen Jahr 122.000
       Menschen neu ein. Aber dem stehen auf der anderen Seite auch 141.000
       Austritte gegenüber. „Eine Größenordnung, die 2019 voraussichtlich noch
       leicht übertroffen werden dürfte“, musste Bsirske einräumen. Bleibt unter
       dem Strich Jahr für Jahr ein Minus.
       
       Doch woran liegt das? Einer der Gründe sei, „dass wir zu viele
       Neumitglieder während der ersten fünf Jahre der Mitgliedschaft wieder
       verlieren“, sagte Bsirske. Das hatte er auch bereits auf dem Bundeskongress
       vor vier Jahren beklagt. Offenkundig hat sich die Bindekraft der
       Gewerkschaft seitdem nicht erhöht. Die Mitgliederentwicklung sei „die
       politischste Aufgabe in der Organisation“, sagte Bsirske. Alles
       Organisationshandeln müsse sich am Ende daran messen lassen. Das gilt auch
       für seinen Nachfolger.
       
       24 Sep 2019
       
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   DIR Pascal Beucker
       
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