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       # taz.de -- Die zweite Pride Parade in Stettin: Hier wird jeder gebraucht
       
       > 6.000 Demonstranten gehen bei der Pride Parade in Stettin für Gleichheit
       > und Akzeptanz auf die Straße und werden dabei von 2.000 Polizisten
       > beschützt.
       
   IMG Bild: Eine Dragqueen sorgt für Stimmung auf der zweiten Pride Parde in Stettin
       
       Stettin taz | Der Block aus Aktivisten und Feiernden ist abgeschirmt. Wie
       eine durchlässige Doppellipidschicht haben sich die 2.000 Polizisten um die
       6.000 Demonstranten gelegt. Man hört Kriegstrommeln, dann setzt sich der
       Zug von Demonstranten in Bewegung. Sie tragen Transparente mit sich. Auf
       einem steht „KOCHAM TAK SAMO“: Ich liebe auf dieselbe Weise. Und überall
       blitzt die Regenbogenfahne auf.
       
       Es ist das zweite Mal, dass eine Pride Parade in Stettin stattfindet. Sie
       ist eine von 26 weiteren queeren Demos dieses Jahr in Polen. Letztes Jahr
       waren es noch dreizehn. Wie sehr das Thema sexuelle Orientierung und
       geschlechtliche Identität dieses Land spaltet, zeigte sich bereits vor zwei
       Monaten bei einer Pride in Białystok. In der Stadt im äußersten Nordosten
       Polens kam es zu 25 Festnahmen von Hooligans und Rechten. Es wurden Steine
       und Böller auf die Demonstranten geworfen.
       
       Ganz anders sieht es im Zug von Berlin nach Stettin aus. Unter den etwa 150
       Berlinern herrscht ausgelassene Stimmung. Sie sind unterwegs, um die Demo
       in Stettin zu unterstützen. Organisiert wurde die gemeinsame Fahrt von der
       Gruppe Voices4Berlin. Sie folgen dem Aufruf von Lambda Szczecin, den
       Organisatoren der Pride. Die Stimmung wird ernster, als eine Station vor
       dem Hauptbahnhof in Stettin Polizisten am Bahnhof stehen.
       
       Am Hauptbahnhof selbst werden die Demonstranten von rund 60 Polizisten
       erwartet. Darunter auch viele schwer bewaffnet. Marta Szuster, die
       Regionalbeauftragte für deutsch-polnische Nachbarschaft, ist komplett rosa
       gekleidet. Sie stellt sich auf eine Bank und spricht zu den
       Neuankömmlingen. „Wir werden jetzt erst mal alle gemeinsam unter dem Schutz
       der Polizei zum Festivalplatz gehen.“
       
       Der fünfzehn Minuten entfernte Platz ist bunt gestaltet, aber abgezäunt. Es
       gibt Essen und Trinken, an vielen Ständen werden Schilder und Transparente
       angefertigt. Außerdem gibt es eine Bühne, Bar und Hüpfburg. Vor allem junge
       Leute sitzen auf dem Rasen, und es wird zumeist Englisch gesprochen. Musik
       läuft, langsam macht sich trotz Polizeipräsenz eine lockere Stimmung breit.
       
       „Hier wird jeder gebraucht“ steht auf dem Schild einer jungen polnischen
       Studentin auf dem Platz. Der taz sagt sie, dass sie sich sehr über die
       Unterstützung aus dem Ausland freut. Es gebe ihr „Selbstbewusstsein“. Ob
       sie sich Sorgen macht, dass sie jemand bei der Demo erkennt? „Nein. Ich
       habe keine Angst, dass ich jetzt schräg angeguckt werde. Wie soll ich das
       sagen: Mein Umfeld in der Universität mit mehr Bildung hat eben mehr
       Verständnis.“
       
       Eine Frau mit Regenbogenkleid und langen lila Haaren betritt die Bühne. Es
       ist Monika Tichy. Sie ist das Gesicht der Bewegung in Stettin und im
       Vorstand von Lambda Szczecin. „Nicht weit von hier sammeln sich bereits
       unsere Gegner“, sagt sie auf Englisch. „Lasst euch nicht von ihnen
       provozieren. Zeigt ihnen, dass der Hass bei ihnen und die Liebe auf unsere
       Seite ist.“ Alle klatschen und pfeifen.
       
       Kurz darauf sammelt sich die Masse am Plac Żołnierza Polskiego im Herzen
       der Stadt. Auf den Paradewagen wird Musik aufgelegt. Eine Dragqueen mit
       schwarzweiß gestreiftem Kleid sorgt für Stimmung, tanzt und schreit Parolen
       über Liebe und Gleichheit. Allmählich löst sich die Anspannung auf.
       
       Nach 800 Metern trifft die Demo das erste Mal auf leichten Gegenwind. Mit
       großen Bannern haben sich die Gegner am Straßenrand positioniert. Zu lesen
       sind beispielsweise Pädophilie-Vorwürfe, weil sich die LGBTIQ Community in
       Polen dafür einsetzt, dass man schon jüngere Kinder darin unterstützen
       sollte, ein natürliches Verhältnis zur Sexualität zu entwickeln.
       
       Es kommt an diesem Tag jedoch nicht dazu, dass Steine oder Böller
       geschmissen werden. Ein Polizist sagt der taz, das sei dem Polizeiaufgebot
       zu verdanken.
       
       Am Plac Mickiewicza, wo die Demo ihr Ende findet, macht Monika Tichy die
       Ziele der LGBTIQ Community in Polen noch einmal deutlich. „Es ist endlich
       Zeit dafür, dass alle heiraten dürfen, es ist endlich Zeit für gerechte
       Aufklärung.“ Das Blut derer, die immer weder verprügelt werden, und derer,
       die sich wegen des gesellschaftlichen Drucks umbringen, klebe an den Händen
       der Partei und der Kirche.
       
       Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der nationalkonservativen Partei PiS
       erwähne immer wieder, dass die queere Bewegung eine Gefährdung für sein
       Land darstelle. Die erzkatholische Kirche des Landes bezeichnet
       Homosexualität als „Regenbogen-Seuche“.
       
       15 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lucas Liskowski
       
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       des Präsidenten.