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       # taz.de -- Ein Ersatz, der keiner ist
       
       > Der Vegetarismus hat Konjunktur, die Nachfrage nach
       > Fleisch-Ersatzprodukten steigt seit Jahren. Gleichzeitig nimmt der
       > Fleischkonsum aber nicht ab. Wie passt das zusammen?
       
   IMG Bild: Besucherinnen auf der VeggieWorld in Dortmund. Die nächste Messe für einen pflanzlichen Lebensstil gibt es Anfang Oktober in Barcelona
       
       Von Tobias Schmidt
       
       Alle Welt lebt vegetarisch. Wer die steigende Präsenz veganer Burger in
       Discounter-Regalen beobachtet, wer Tausende für weniger Fleischkonsum
       protestierende SchülerInnen medial begleitet und den Hype um eine
       fleischlose Bulette mit dem Namen „Beyond Meat“ mitverfolgt, kann
       schwerlich einen anderen Eindruck bekommen. Das Konzept „Veggy“ scheint zu
       boomen, während tierische Produkte augenscheinlich immer mehr aus der Mode
       kommen. Aber stimmt dieser Eindruck?
       
       Fest steht: Selten war es so einfach, vegetarisch zu leben, wie heute.
       Fleischlose Gastronomien schießen wie Riesenbambus aus dem Boden, die
       Zuwachsraten veganer und vegetarischer Restaurants in großen und
       mittelgroßen Städten erreichten zeitweise astronomische 94 Prozent
       innerhalb eines Jahres. Selbstverständlich bieten auch McDonald’s und
       Burger King inzwischen vegane Burger an. Zudem gehen zwei von drei Köchen
       in Großküchen davon aus, dass Vegetarismus in ihrem Betrieb sogar noch an
       Bedeutung gewinnen wird. Und spätestens die „Veggy-World“-Messe in
       Dortmund, bei der an diesem Wochenende 80 Aussteller und Tausende Besucher
       erwartet werden, lässt kaum noch Zweifel: Die Welt schien selten so
       nachhaltig zu essen wie heute.
       
       Demgegenüber steht nun ein Phänomen, das sich nicht so recht mit einem
       „Veggy-Hype“ vereinbaren lassen will: Der Fleischkonsum sinkt nicht – trotz
       der Fülle an Alternativprodukten, die auf den Markt fluten. 60 Kilogramm
       Fleisch pro Person pro Jahr, dieser Wert bleibt seit den 1990er Jahren
       stabil. Zwar konsumieren die Deutschen immer weniger Schweinefleisch, dafür
       jedoch umso mehr Hühnchen, Kalb und Rind. Laut ersten Hochrechnungen stieg
       der Fleischkonsum im Jahr 2018 sogar wieder an, von 60 auf 60,2 Kilogramm
       pro Kopf. Wie passt das zusammen?
       
       „Mich wundert es ehrlich gesagt auch, dass der Fleischkonsum in den
       vergangenen Jahren nicht gesunken ist“, sagt Harald Seitz, Ökotrophologe
       beim Bundeszentrum für Ernährung (BzfE). Mit Blick auf die vielen
       Veggy-Produkte, die inzwischen abgesetzt würden, sei dies geradezu
       erstaunlich. So steigt der Umsatz mit Fake-Fleisch und pflanzlichen
       Brotaufstrichen seit Jahren, berichtet das Marktforschungsunternehmen
       Nielsen. Nimmt man alle anderen vegetarischen Produkte wie Gemüse und
       Grillkäse hinzu, so hat sich der Umsatz mit vegetarischen und veganen
       Produkten im Lebensmitteleinzelhandel zwischen 2015 und 2018 auf 1,2
       Milliarden Euro sogar fast verdoppelt. Dass das der Beliebtheit von
       tierischen Produkten nichts anzuhaben scheint, lässt nur einen Schluss zu:
       Die Deutschen kaufen massig Fleisch-Ersatzprodukte – nur eben nicht, um
       damit Fleischprodukte zu ersetzen.
       
       Seitz bestätigt den Eindruck: „Ich glaube, dass keine wirkliche
       Kompensation stattfindet.“ Viel wahrscheinlicher sei, dass Fake-Fleisch die
       KonsumentInnen neugierig mache und dadurch der Absatz dieser Produkte
       steige. Das vermutet auch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).
       „Viele Produkte sind Probierprodukte“, heißt es dort – und die
       VerbraucherInnen beließen es häufig bei einem Versuch. So täuschen die
       vielen Ersatzprodukte, die ganzen „Wonder Burger“ und „Soja-Bolognesen“ in
       den Regalen darüber hinweg, dass sich eigentlich wenig tut im Kampf gegen
       den übermäßigen Fleischkonsum der Deutschen.
       
       Dabei belastet die übermäßige Tierhaltung in einigen Regionen Deutschlands
       das Grundwasser, trägt zum Klimawandel bei und verstößt in vielen Fällen
       gegen den Tierschutz. Laut Bundesumweltministerium entstehen bei der
       Produktion von einem Kilo Schweinefleisch, dem noch immer beliebtesten
       Fleisch der Deutschen, rund 3,2 Kilogramm Treibhausgase. Rindfleisch bringt
       sogar 13,3 Kilo auf die CO2-Waage. Bei Gemüse sind es wenige hundert Gramm.
       Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten
       Nationen, beziffert den Anteil der Nutztierhaltung an den vom Menschen
       verursachten Treibhausgasemissionen auf 16 Prozent. Ein baldiges Absinken
       des Fleischkonsums scheint indes nicht in Sicht. Die Hoffnung, man brauche
       allein Gemüsebuletten und Sojawürstchen ins Supermarkregal zu legen und die
       VerbraucherInnen würden von selbst ihren Konsum ändern, hat sich –
       zumindest bislang – nicht erfüllt. Wie ausgeprägt die deutsche Trägheit im
       Fleischkonsum ist, zeigt eine Studie des Markt- und
       Meinungsforschungsinstitut YouGov. Ihr zufolge sind 70 Prozent nach eigener
       Auskunft „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ dazu bereit, künftig von
       Fleisch auf Ersatzprodukte umzusteigen.
       
       Es sind Zahlen, die angesichts des augenscheinlichen „Veggy-Booms“ stutzig
       machen. Harald Seitz zeigt sich dennoch optimistisch, dass es bei dieser
       starren Nachfrage nicht bleibt: „Ich glaube, dass das eine
       Generationenfrage ist“. Denn auch das gehöre zur Wahrheit: In Schulen werde
       das Thema Ernährung, etwa mit einem „Ernährungsführerschein“, immer
       wichtiger. Die vornehmlich jugendlich geprägte Fridays-For-Future-Bewegung
       deutet einen ähnlichen Trend an. Zudem ist in der jungen Bevölkerung unter
       30 der Anteil der VegetarierInnen überdurchschnittlich hoch – ein Indiz
       dafür, dass die KundInnen von morgen an der verkrusteten 60-Kilo-Grenze
       etwas ändern könnten. Davon zumindest ist Harald Seitz überzeugt: „Die
       Leute, die mit vegetarischen Alternativen aufgewachsen sind, die gerade in
       den Zwanzigern sind, werden in Zukunft den Unterschied machen.“
       
       16 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schmidt
       
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