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       # taz.de -- Uneinigkeiten im Klimakabinett: Warten auf den großen Wurf
       
       > Während auf der Straße gestreikt wird, berät im Kanzleramt das
       > Klimakabinett. Vor allem beim CO2-Preis fällt eine Einigung schwer.
       
   IMG Bild: Ein ziviles Klimakabinett vor dem Bundeskanzleramt: Aktivisten fordern radikalere Maßnahmen
       
       UPDATE 20.09.: Am Freitagmorgen dauerten die Verhandlungen noch an. 
       
       Berlin taz | Die Erwartungen könnten höher nicht sein: Seit Monaten
       beantwortet die Bundesregierung alle Fragen zum Klimaschutz mit dem Verweis
       auf den 20. September. An diesem Freitag will das sogenannte Klimakabinett
       [1][einen umfassenden Plan verabschieden], wie Deutschland sein Klimaziel
       für das Jahr 2030 erreichen kann. In der Nacht zuvor soll der
       Koalitionsausschuss die Ergebnisse dafür festzurren.
       
       Aus Sicht der SchülerInnen von Fridays for Future, die parallel zur Sitzung
       des Klimakabinetts [2][deutschlandweit zum Klimastreik aufgerufen haben],
       ist der Anspruch klar: „Das Klimakabinett muss Verantwortung übernehmen und
       statt einem Flickenteppich von Einzelmaßnahmen ein Konzept präsentieren,
       das die großen CO2-Quellen im Blick hat“, erklärt die 17-jährige Pauline
       Brünger am Mittwochabend in Berlin. Auch Grünen-Fraktionsvize Oliver
       Krischer meint: „Statt noch mehr Pillepalle brauchen wir endlich einen
       großen Wurf.“
       
       Dass diese hohen Erwartungen erfüllt werden, scheint wenige Stunden vor den
       entscheidenden Sitzungen unwahrscheinlich. Aussagen aus SPD- und
       Unionskreisen zeigen ebenso wie ein Entwurf des Klimaschutzprogramms vom
       Montagabend: Einigkeit gibt es bisher nur über Einzelmaßnahmen. Dass
       Bahnfahrkarten durch eine Senkung der Mehrwertsteuer billiger, Flugreisen
       durch eine Erhöhung der Ticketabgabe dagegen teurer werden, [3][darf als
       gesichert gelten]. Der Zuschuss zum Kauf eines Elektroautos wird steigen,
       die Lade-Infrastruktur ausgebaut. Der umstrittene Deckel für die
       Fotovoltaik, der den Ausbau der Solarenergie im nächsten Jahr zum Erliegen
       bringen würde, dürfte gestrichen werden. Die energetische Sanierung von
       Gebäuden [4][wird ziemlich sicher steuerlich stärker gefördert]. Die
       Bundeszuschüsse für den ÖPNV und die Bahn werden deutlich steigen.
       
       Bei den großen, übergreifenden Fragen gab es am Donnerstag aber noch keine
       Einigung. Das gilt vor allem für den geplanten CO2-Preis, mit dem der
       Ausstoß des klimaschädlichen Gases künftig auch in den Bereichen Verkehr
       und Wohnen verteuert werden soll, um den Umstieg auf klimafreundlichere
       Alternativen zu beschleunigen. Im Entwurf des Klimaschutzprogramms fehlt
       dieser Teil noch komplett. Denn bisher ist weder geklärt, wie der
       CO2-Ausstoß verteuert werden soll, noch wie hoch der Preis sein wird.
       
       ## Emissionshandel funktioniert wie eine Steuer
       
       Die SPD bevorzugt zur Umsetzung eine Steuer; diese hätte den Vorteil, dass
       sie kurzfristig eingeführt werden könnte. Zudem ließe sich der Preis genau
       festlegen, was die Planungssicherheit für Industrie und KonsumentInnen
       erhöht. Die Union setzt dagegen auf einen neuen, nationalen
       Emissionshandel. Dabei müssten Raffinerien und Erdgasunternehmen für
       Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas Zertifikate kaufen, um diese an
       Verbraucher liefern zu dürfen.
       
       In der Theorie lässt sich damit der CO2-Ausstoß über die Menge der
       ausgegebenen Zertifikate genau steuern. Der Preis kann hingegen stark
       schwanken: Solange es genug Zertifikate gibt, bleibt er niedrig – was den
       Anreiz zum Wechsel von Heizung oder Auto verringert. Wenn die Zertifikate
       dagegen knapp werden, kann der Preis unbegrenzt steigen – was zu
       plötzlichen hohen Mehrbelastungen führen würde. Um das zu verhindern, will
       die Union einen Mindest- und einen Höchstpreis festlegen – was wiederum
       dazu führt, dass die CO2-Menge doch nicht begrenzt ist.
       
       Faktisch wirkt ein Emissionshandel mit Mindest- und Höchstpreis sehr
       ähnlich wie eine Steuer. Aber er heißt eben nicht so – aus Sicht der Union,
       in der höhere Steuern für viele ein Tabu sind, ein entscheidender Vorteil.
       Zentraler Nachteil des Modells ist, dass es weitaus komplizierter ist. Bis
       es umgesetzt werden kann, dürften nach Ansicht von Experten mindestens zwei
       bis drei Jahre vergehen.
       
       Um die Vorstellungen in Einklang zu bringen, standen zuletzt mehrere
       mögliche Kompromisse im Raum: Die SPD würde sich wohl auf einen
       Emissionshandel einlassen, sofern bis zu seiner Einführung übergangsweise
       eine Steuer auf den Ausstoß von Kohlendioxid hinzukäme. So soll
       sichergestellt werden, dass es schon kurzfristig einen Effekt gibt. Die
       Union bietet als Kompromiss an, dass der Emissionshandel zunächst mit einem
       Festpreis starten könnte – was die Einführung ebenfalls beschleunigen soll.
       
       ## Viele Unklarheiten
       
       Ob das wirklich der Fall wäre, das sehen Experten unterschiedlich. Während
       Klimaexperte Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung
       eine solche Lösung für machbar hält, warnt Christoph Podewils vom Thinktank
       Agora Energiewende: „Ein Emissionshandel mit Festpreis hätte erhebliche
       verfassungsrechtliche Risiken.“
       
       Noch wichtiger als die Art des CO2-Preises dürfte am Ende seine Höhe und
       deren weitere Entwicklung sein. Fridays for Future fordert 180 Euro pro
       Tonne, Edenhofer hält einen Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne im Jahr
       2020 und bis 2030 einen jährlichen Anstieg von um 10 Prozent für notwendig.
       Das SPD-geführte Umweltministerium hat in seinen Gutachten dagegen nur mit
       einem Einstiegspreis von 35 Euro gerechnet; in der Union kursieren noch
       geringere Werte.
       
       Ebenfalls noch unklar ist, was mit diesem Geld passiert. Die meisten
       Modelle sind davon ausgegangen, dass es – über eine Pro-Kopf-Prämie und
       eine Strompreissenkung – komplett an die Bevölkerung zurückgegeben wird.
       Davon ist inzwischen nicht mehr die Rede. Zwar sprechen sowohl Union als
       aus SPD weiter von einer Senkung des Strompreises. Zumindest ein Teil der
       Einnahmen soll aber offenbar auch genutzt werden, um andere Teile des
       Klimaprogramms zu finanzieren – etwa die Investitionsanreize für neue
       Heizungen oder Elektroautos.
       
       Ob alle diese Fragen beim Koalitionsgipfel in der Nacht und dem
       Klimakabinett am Vormittag geklärt werden können, war bis zuletzt offen.
       Als wahrscheinlich galt in Berlin, dass die Runde nicht das komplette
       Klimaschutzprogramm verabschiedet, das schon als unvollständiger Entwurf
       138 Seiten umfasste, sondern nur ein deutlich kürzeres Eckpunktepapier. Die
       Langfassung würde dann etwas später im Kabinett beschlossen werden, die
       entsprechenden Gesetzentwürfe bis Jahresende vorgelegt.
       
       In der bisher vorliegenden, noch unvollständigen Form erreicht das
       Klimaschutzprogramm bis 2030 nur einen Rückgang der jährlichen
       CO2-Emissionen um 120 bis 145 Millionen Tonnen. Gerade im
       Zuständigkeitsbereich von CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer fehlten noch
       viele Werte. Notwendig wäre für das deutsche 2030-Ziel eine Reduzierung um
       gut 300 Millionen Tonnen. Doch selbst wenn diese Lücke in der letzten
       Verhandlungslücke noch vollständig geschlossen werden sollte, dürften weder
       die streikenden SchülerInnen zufrieden sein noch die WissenschaftlerInnen,
       auf die sie sich berufen.
       
       Denn das deutsche Klimaziel für 2030 stammt noch aus der Zeit vor dem
       Paris-Abkommen und langt – wenn überhaupt – nur für das 2-Grad-Ziel. Wenn
       die Regierung, wie im Entwurf des Klimaschutzprogramms, ihr Bekenntnis zum
       1,5-Grad-Ziel ernst meint, hätte sie eigentlich deutlich schärfere Vorgaben
       machen müssen. Das ist aber nicht geschehen – zum Ärger des Bamberger
       Fridays-for-Future-Aktivisten Nick Heubeck: Für ihn bedeutet der Entwurf
       „einen Schlag ins Gesicht meiner Generation und der Menschen im Globalen
       Süden“.
       
       19 Sep 2019
       
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