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       # taz.de -- Ein Miteinander in der Musik: Auf Montage
       
       > Neue Musik und Nahöstliches, am Tag der Deutschen Einheit: das Match Cut
       > Festival in der Volksbühne mit Zafraan Ensemble und Babylon Orchestra.
       
   IMG Bild: Die Ohren offen in alle Richtungen: das Zafraan Ensemble
       
       Ein Match Cut meint im Film eine Montagetechnik: ein Schnitt, der zwei
       prinzipiell unabhängige Bildmotive durch geschicktes Überblenden für die
       Zuschauenden in einen Zusammenhang bindet. Ob die deutsche Einheit wohl so
       ein Match Cut ist? Zumindest legen Volksbühne und das Zafraan Ensemble
       ausgerechnet auf den Nationalfeiertag ein Programm, das jeden Gedanken an
       eine zu neuer Größe gefundene deutsche Leitkultur ad absurdum führt.
       
       „Natürlich ist das auch ein Statement“, sagt Sebastian Solte, Manager vom
       Zafraan Ensemble. Das veranstaltende Ensemble für zeitgenössische Musik
       setzt sich selbst aus zehn Menschen aus fünf Nationen zusammen, die ihren
       Kreis regelmäßig in alle Richtungen öffnen. Nächste Woche am Donnerstag
       laden sie beim Match Cut Festival in der Volksbühne Musiker*innen für
       urbane Oriental-Klänge und elektroakustische Experimente ein, gemeinsam an
       neuen Soundbildern zu arbeiten.
       
       Erstmals fand das Festival vor zwei Jahren noch unter dem Namen Match Cut
       Music Convention statt: das Miteinander von verschiedenen Musiker*innen und
       Szenen. Damals spielte das Zafraan Ensemble mit dem unkonventionell Neue
       Musik, Jazz und Pop verbindenden Andromeda Mega Express Orchestra und der
       Prog-Band Squintaloo. Projekte, mit denen es jeweils auch personelle
       Überschneidungen gab, und die abbildeten, wie divers die musikalischen
       Hintergründe und Welten sind, in denen sich die Mitglieder des Ensembles
       bewegen.
       
       Ein sauberer Match Cut: Wo fängt was an, wo hört was auf? Auch diesmal sind
       es persönliche Verbindungen, die die drei beteiligten Projekte
       zusammenschnüren: Zafraan-Schlagwerker Daniel Eichholz hat schon öfter mit
       dem DJ und Klangkünstler Philipp Sollmann alias Efdemin, und dem
       Multiinstrumentalisten John Gürtler gearbeitet, Zafraan-Saxofonist Martin
       Posegga ist auch Mitglied des Babylon Orchestras. Von beiden Gastgruppen
       wird es sowohl Stücke alleine geben als auch in Kombination mit dem Zafraan
       Ensemble.
       
       ## Das Spiel mit den Sounds
       
       Dabei scheint es so, als sei die Kombination mit dem Duo Sollmann/Gürtler
       ein sicheres Spiel. Elektroakustik und zeitgenössische Musik, das sind
       schließlich natürliche Verbündete: Elektronische Musik mit analogem
       Instrumentarium und steten Transformationen von Rhythmen und Flächen, das
       gab es in Berlin schon oft genug zu hören.
       
       Das Spiel mit Sounds, die aus dem Nahen Osten stammen und im Berliner
       Setting eine neue Umgebung finden, ist dagegen in der Szene noch immer
       recht experimentell, trotz Veranstaltungen wie den Arab Music Days im
       Pierre-Boulez-Saal und Ensembles wie der Berlin Oriental Group. „Es gibt
       eine Menge Komponisten, speziell in Berlin, die aus dem Nahen Osten kommen
       und hier arbeiten und diese Brücke schlagen. Wir sind nicht die ersten, die
       das machen, aber es ist noch immer sehr spannend, wie das aufeinanderprallt
       und andockt“, sagt Sebastian Solte.
       
       Für Mischa Tangian ist es genau umgekehrt: Er leitet das Babylon Orchestra
       mit Musiker*innen aus Ländern wie Syrien, Iran, Deutschland, Italien oder
       der Türkei, das sich 2016 in Berlin gegründet hat, um den Austausch
       zwischen Klangwelten aus Mitteleuropa und den Ländern des Nahen und
       Mittleren Ostens zu fördern. Für Tangian ist es eher so, dass das Interesse
       der Szene an grenzüberschreitenden Klängen nachlässt. „In den letzten
       Jahren wurde vor allem arabische Musik stärker rezipiert. Aber seit in den
       Medien weniger über den Krieg in Syrien oder Jemen berichtet wird und auch
       Geflüchtete weniger im Zentrum stehen, ist das Interesse an der Kultur
       verschwunden.“
       
       Tangian, klassisch ausgebildeter Violinist und Komponist, kommt aus Moskau,
       erkundet aber gerade musikalisch seine familiären Wurzeln in Armenien. Das
       wird auch seine Komposition reflektieren, die beim Match Cut Festival mit
       dem Zafraan Ensemble und dem Babylon Orchestra die Uraufführung erleben
       wird. „Ich schreibe für das Festival nicht wirklich zeitgenössische Musik.
       Wir schauen, wie wir die Ensembles zusammenkriegen. Ich wollte vor allem
       schöne Musik schreiben“, sagt Tangian, und dass das Zafraan Ensemble ihm
       als Komponisten mehr Möglichkeiten gebe. Hier finden sich andere
       Perkussionsinstrumente und auch eine Harfe. Und: „Ich habe mir viel Musik
       der Duduk angehört, ein armenisches Blasinstrument, das wird eine große
       Rolle spielen, um meine persönliche Geschichte einzubringen.“
       
       Wie die Zafraan-Mitglieder mit Klängen und Tonarten umgehen, die in der
       europäischen Musiktradition rar sind? „Die sind sehr neugierig, das ist
       nicht typisch für ein Ensemble in der Neuen Musik“, sagt Tangian und freut
       sich auf die ersten Proben. Wie es ausgeht, zeigt sich am Tag der Deutschen
       Einheit in der Volksbühne.
       
       28 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steffen Greiner
       
       ## TAGS
       
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