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       # taz.de -- Beliebtheit von ÖVP und FPÖ: Eine schrecklich nette Familie
       
       > Trotz aller Skandale ist die Beliebtheit von ÖVP und FPÖ ungebrochen. Mit
       > Fakten kann man das nicht erklären, nur mit Religion und Emotion.
       
   IMG Bild: Rechtspopulismus scheint in Österreich nicht zu stoppen, trotz Ibiza- und Schreddergate
       
       Wien taz | „Wir sind eine große Familie, wir gehören zusammen, hier ist
       keiner allein“, singt die John-Otti-Band, früher gerne als Heinz-Christian
       Straches Tanzbären bezeichnet, ins Mikrofon. Nun sind sie die Einpeitscher
       des neuen FPÖ-Chefs Norbert Hofer. „Und jetzt alle!“, brüllt der Leadsinger
       der Menge zu, und schon schunkeln sie herum auf ihren Heurigenbänken.
       Skandale hin oder her – nach der Wahl am Sonntag wird es in Österreich wohl
       wieder eine rechte Mehrheit geben.
       
       Dabei hätte man zuletzt viele Gründe nennen können, wieso die FPÖ von den
       Wählerinnen und Wählern abgestraft werden sollte. Aber auch viele Gründe,
       wieso ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der die FPÖ in die Regierung geholt hatte
       und bis vor Kurzem das Land regierte, einen Dämpfer verdient hätte.
       
       Ibizagate. Schreddergate. ÖVP-Leaks. Strachegate. Seit Mai hat die
       politische Skandalgeschichte der Alpenrepublik viele neue Schlagwörter
       dazubekommen. Da war zuerst vergangenen Mai jenes heimlich gefilmte Video,
       auf dem der damalige FPÖ-Parteichef Strache auf der Partyinsel Ibiza zu
       sehen war, wie er einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte
       Staatsaufträge verspricht.
       
       Sie sollte dafür Anteile der Kronen Zeitung, der auflagenstärksten
       Boulevardzeitung, kaufen, unliebsame Journalisten zack, zack, zack gegen
       FPÖ-Parteigänger austauschen und Straches FPÖ so zur stärksten politischen
       Kraft im Land hochschreiben.
       
       ## An Kurz perlt alles ab
       
       Am Tag nach der Veröffentlichung des Videos [1][trat Strache zurück]. Seine
       Fans nahmen ihm die Ibiza-Affäre kaum übel, ganz im Gegenteil. Obwohl er
       nur weit hinten auf dem Wahlzettel stand, wurde Strache bei der EU-Wahl
       eine Woche später mit 40.000 Vorzugsstimmen belohnt.
       
       Genauso wenig nahmen die Sebastian-Kurz-Anhänger es ihrem konservativen
       Parteichef krumm, dass dessen Leute heimlich in einer
       Nacht-und-Nebel-Aktion [2][im Bundeskanzleramt Festplatten ausbauten und
       zerstörten].
       
       Der Social-Media-Beauftragte von Kurz trug die fünf Festplatten persönlich
       zu einem professionellen Aktenvernichtungsunternehmen, gab dort einen
       falschen Namen an, bestand darauf, die Festplatten selbst in die
       Schreddermaschine zu werfen, und trug die Elektrokrümel in einem Karton
       davon. Weil er allerdings die Rechnung nicht überwies, kam die Geschichte
       an die Öffentlichkeit.
       
       Aber auch das perlte an Sebastian Kurz ab. Wie auch Recherchen der
       Wochenzeitung Falter, wonach die ÖVP in ihrer internen Buchhaltung zwei
       Listen mit Wahlkampfkosten führte. Zum einen eine offizielle, auf der die
       in Österreich gesetzlich vorgeschriebene Grenze von 7 Millionen Euro pro
       Partei eingehalten wird. Und eine zweite inoffizielle Liste, auf der die
       Konservativen mit viel höheren Wahlkampfkosten rechnen als vom Gesetzgeber
       erlaubt.
       
       Das war auch 2017 so. Damals versprach die ÖVP bis zum Schluss, nicht mehr
       als 7 Millionen auszugeben – doch nach der Wahl stellte sich heraus, dass
       es mehr als 13 Millionen waren.
       
       ## 10.000 Euro Spesengeld pro Monat
       
       Und es gab noch viel mehr Skandalträchtiges. Spenden von Milliardären an
       die ÖVP wurden in so kleine Summen gestückelt, dass sie am Rechnungshof
       vorbei in die Parteikasse flossen. Der Ex-Kanzler, der stets betonte, nicht
       abgehoben zu sein und nur Economy zu fliegen, buchte für einen Flug nach
       Rom einen Privatjet – um beim Rückflug Bilder von sich aus der Holzklasse
       in den sozialen Medien zu posten. Seine Frisur kostet die Partei regelmäßig
       600 Euro. All das scheint, sofern die Umfragen für Sonntag stimmen, den
       Erfolg von Kurz nicht zu verhindern.
       
       Über die FPÖ wurde nun wiederum bekannt, dass Ex-Parteichef Strache neben
       19.000 Euro Vizekanzlergehalt von seiner Partei noch 10.000 Euro Spesengeld
       pro Monat zur Verfügung gestellt bekam, dass die FPÖ ihm 2.500 Euro Miete
       für seine Privatwohnung bezahlte und Straches Ehefrau zusätzlich ein
       wohldotiertes Gehalt als „Social-Media-Beauftragte“ ihres Mannes kassierte.
       Vergangenen Donnerstag gab die Staatsanwaltschaft Wien bekannt, dass sie
       wegen Verdachts auf Untreue [3][Ermittlungen gegen Strache] eingeleitet
       hat.
       
       Doch die FPÖ-Anhänger scheinen vieles, wenn nicht alles zu verzeihen. „Wie
       groß muss die Angst vor Ihnen sein. Immer vor den Wahlen wird alles
       aufgedeckt. Was soll ich dazu noch sagen? Nur, jetzt erst recht?“, postete
       eine Facebook-Userin, nachdem die fetten Geldgeschenke der FPÖ an Strache
       öffentlich geworden waren – und schickte dem Ex-FPÖ-Chef ein virtuelles
       Herzerl.
       
       So viel Zuspruch trotz so vieler Skandale lässt sich mit Fakten und Ratio
       nicht erklären. Da muss schon die John-Otti-Band herhalten. „Sing i dieses
       Liad, hob i Tränen in meim Gsicht, es san Tränen voller Stolz und ich schäm
       mich ihrer nicht“, singt die FPÖ-Band in ihrem Patriotenschlager „Immer
       wieder Österreich“.
       
       Es ist ein Lied darüber, wie sich die Menschen für „ihr“ Österreich
       aufopfern, wie ihnen die Tränen kommen, wenn sie an ihr heiliges Land
       denken, wo es keine Rolle spiele, ob man arm ist oder reich, „die Hauptsach
       is, in deinem Herz schlogt unsa Österreich“.
       
       ## Blühender Rechtspopulismus seit Jahrzehnten
       
       Und dann sprühen die Partyfunken und dann schaukelt der ganze Saal mit
       rot-weiß-roten Fahnen, dann ist sie perfekt, die kollektive Polit-Ekstase.
       Hier hat man sich lieb. Hier hält man zusammen, und zwar gegen die da
       draußen, die einem nur Böses wollen. Politik ist in Österreich nicht mehr
       Zahlen, Daten, Fakten, kein Diskurs im Sinne von Rede und Gegenrede, keine
       Auseinandersetzung um das beste Argument.
       
       In einem Land, in dem der Rechtspopulismus bereits seit Jahrzehnten blüht,
       wurde das populistische Wir gegen die Anderen zu etwas Religiösem, fast
       Sektenhaften. Waren es früher vor allem die Rechtspopulisten, die ihre
       Anhänger auf den Messias Strache einschworen, so sind es heute auch die
       Konservativen, die einen richtigen Kult um ihren Parteichef zelebrieren.
       
       ÖVP-Chef Kurz hat – noch – keine Band. Und kein eigenes Lied. Aber auch er
       hat seine ÖVP-Familie aufgebaut. Auch bei den Konservativen heißt es heute:
       „Wir gehören zusammen, hier ist keiner allein.“ Die Partei hat auf YouTube
       Tutorials für die Jungen, wie sie schöne Kurz-Armbänder in der ÖVP-Farbe
       Türkis flechten können.
       
       Als in Wien der Neustädter Kirchtag stattfand, eine Art Jahrmarkt der
       oberen Zehntausend, luden die Konservativen zur
       Dirndl-Verschönerungsaktion. Da rief die Partei ihre Anhänger auf, in
       zünftiger Tracht zu erscheinen und sich auf diese vor Ort von einer
       Modedesignerin „türkise Highlights“ nähen zu lassen. „Pimp up your Tracht“,
       lautete das Motto. Sogar bei einem evangelikalen Großevent in einer der
       größten Veranstaltungshallen von Wien trat Kurz auf, ließ sich auf der
       Bühne von einem US-Prediger segnen und die Menge für ihn beten.
       
       Ist Strache der schlimme Lausbub der Familie, dem die Ohren langgezogen
       werden, bevor er wieder am Familientisch Platz nehmen darf, so brilliert
       Kurz in der Rolle des sympathischen Schwiegersohns der Republik, der die
       Werte des Landes vor den Bösen da draußen rettet.
       
       Wie passend da jenes Zitat von Kurz’ Fraktionschef im Parlament, August
       Wöginger, im Wahlkampf: „Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach
       Wean fahren und als Grüne zurückkommen.“ Die Konservativen retten das Land
       vor dem urbanen Sündenpfuhl Wien, denn, wie Wöginger erklärte: „Wer in
       unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen.“
       
       Dass diese simplen Botschaften funktionieren liegt an einem Wahlkampf, in
       dem Inhalte kaum eine Rolle spielen. Es ist eine durch und durch simple
       Erzählung, die uns in diesem Wahlkampf begleitet: Zwei erfolgreiche
       Parteien, von bösen Mächten durch ein Ibiza-Video auseinandergerissen,
       kämpfen nun darum, das Haus Österreich wieder in Ordnung zu bringen. Denn:
       „Wir sind eine große Familie, wir gehören zusammen, hier ist keiner
       allein.“
       
       28 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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