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       # taz.de -- Parlamentswahl in Israel: „Bibi“ oder Blau-Weiß?
       
       > Netanjahu kämpft um seine Zukunft. Rechtspolitikerin Schaked klettert auf
       > einen Bademeisterstand, um Stimmen zu fangen – Eindrücke vom Wahltag.
       
   IMG Bild: Die Wahl läuft. Erste Hochrechnungen werden am Abend erwartet
       
       Jerusalem taz | Gegen neun Uhr am Morgen schon gibt Israels noch
       amtierender Regierungschef seine Stimme ab. Benjamin Netanjahu erreicht in
       Begleitung zahlreicher Leibwächter und seiner ganz in Rosa gekleideten
       Ehefrau Sara die Oberschule Gimmel im Jerusalemer Edelviertel Rechavia, wo
       um diese Zeit noch nicht viel los ist.
       
       Mit übergroßen Porträts der beiden Chefs der Liste Blau-Weiß, Benny Gantz
       und Jair Lapid, sind die Aktivisten von Netanjahus schärfstem Gegner
       vis-à-vis der Schule vertreten. Auch das Demokratische Lager hat einen
       Stand, die Rechtspartei Jamina und ein Aktivist des Likud ist ebenfalls vor
       Ort. (Lesen Sie [1][hier] mehr zu den Chancen der einzelnen Parteien.)
       
       „Warum etwas reparieren, was gar nicht kaputt ist“, begründet ein
       34-jähriger Programmierer, der seinen Namen nicht nennen möchte, die
       Entscheidung für den Likud. „Ich finde, dass die Lage in Israel gut ist.
       Kein Land ist perfekt“, und die Alternative zu Bibi (Netanjahu) sei
       schließlich „auch keine so eine tolle Option“.
       
       Der Programmierer vermutet, dass es den Gantz-Wählern weniger um das
       politische Programm von Blau-Weiß geht, sondern „nur darum, Bibi
       abzulösen“. Auch die Netanjahu drohenden Gerichtsprozesse wegen Betrugs und
       Bestechung halten den 34-Jährigen nicht von der Stimmabgabe für den Likud
       ab. Der Regierungschef sei nicht korrupter als andere Politiker auch.
       
       „Nichts ist in Ordnung“, findet hingegen die 89-jährige Ruth Lapidoth,
       ehemals Dozentin für internationales Recht. „Ich bin sehr enttäuscht von
       der Regierung und von der Knesset.“ Israel bewege sich rückwärts, vor allem
       „in moralischer Sicht“. Lapidoth ist in der Nähe von Köln zur Welt gekommen
       und zwei Monate vor der Pogromnacht mit ihren Eltern nach Palästina
       ausgewandert. „Ich bin sehr pessimistisch“, sagt die Juristin. „Vor den
       Wahlen machen die Politiker tolle Versprechungen, an die sie sich
       anschließend nicht mehr erinnern.“
       
       ## „Ein bisschen rechts, aber auch liberal“
       
       Knapp sechseinhalb Millionen mündige Israelis sind zur Stimmabgabe
       aufgerufen. Eine überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung meldete das
       Zentrale Wahlkomitee bis zum Mittag, was überraschend ist, da es innerhalb
       von knapp sechs Monaten schon die zweite Parlamentswahl ist. Nach der
       letzten Wahl im April [2][schaffte Netanjahu es nicht, eine Koalition zu
       bilden].
       
       Für Netanjahu geht es um alles. Nur wenn er Regierungschef bleibt, kann er
       gesetzliche Immunität für den Ministerpräsidenten durchsetzen. Nur dann
       würden ihm Anklagen und wahrscheinliche Gefängnisstrafe erspart bleiben.
       
       „Bei Gantz ist alles anders“, versucht der 17-jährige Nir Sommer vor der
       Jerusalemer Oberschule die noch Unentschlossenen für Blau-Weiß zu werben.
       „Seine Weltanschauung, sein Bildungsprogramm“, überhaupt stehe Blau-Weiß
       für die richtige Mischung aus „ein bisschen rechts, aber auch liberal“.
       
       Die Kandidatenliste von Blau-Weiß, die zahlreiche hochrangige Militärs
       aufweist, verspreche Sicherheit, sagt der junge Mann, der selbst noch gar
       nicht wählen darf, und dessen politische Überzeugungen noch etwas wackeln.
       „Das Volk Israel mag Sicherheit.“ Einerseits spricht er von Eretz Israel
       (Groß-Israel), andererseits davon, dass es „keinen Unterschied zwischen
       Juden und Arabern gibt“.
       
       Auch am Stand der Rechtspartei Jamina (Nach rechts) steht ein noch
       unmündiger Aktivist und verteilt Informationszettel. Nir Zucker, 16 Jahre
       alt und wohnhaft in einer Siedlung im besetzten Ostjerusalem, steht vor dem
       Plakat der Politiker von Jamina, der früheren Siedlerpartei. Am Morgen war
       Parteichefin Ajelet Schaked auf einen Bademeisterstand am Strand von Tel
       Aviv geklettert, hatte sich das Megafon gegriffen und die Badegäste zur
       Stimmabgabe aufgerufen.
       
       „Schaked ist erfolgreich und hat viel erreicht“, sagt der junge Zucker. Vor
       allem aber hat sie viel vor. Die Rechtspolitikerin und frühere
       Justizministerin will die Macht des obersten Gerichtshofs beschneiden und
       dem Parlament mehr Handlungsfreiraum geben.
       
       Lesen Sie auch unsere [3][Reportage über Israels Linke] sowie Susanne
       Knauls Kommentar über die [4][Wahlbeteiligung der israelischen
       AraberInnen].
       
       17 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
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