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       # taz.de -- Anton Hofreiter über das Klimapaket: „Herausholen, was möglich ist“
       
       > Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wirft der Bundesregierung
       > „Politikversagen“ vor. Und er kündigt Verhandlungen im Bundesrat an.
       
   IMG Bild: Mit dem Meeresspiegel kann man nicht diskutieren, sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter
       
       taz: Herr Hofreiter, die Grünen üben scharfe Kritik an dem Klimapaket der
       Bundesregierung. Im Bundesrat können Sie mitreden. Was wollen Sie ändern? 
       
       Anton Hofreiter: Wir sind uns mit den grünen KollegInnen in den
       Bundesländern einig: Das Paket, das die Große Koalition plant, reicht bei
       Weitem nicht aus, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, zu denen
       sich Deutschland verpflichtet hat. Das ist ein Scheitern auf ganzer Linie.
       Die Grünen werden im Bundesrat versuchen, alles fürs Klima herauszuholen,
       was möglich ist.
       
       Das Paket enthält viele Maßnahmen. Welche davon sind in der Länderkammer
       zustimmungspflichtig? 
       
       Das kann man jetzt noch nicht sagen. Viel hängt davon ab, wie die Koalition
       die einzelnen Gesetze formuliert.
       
       Was muss sich an dem Paket ändern, damit die Grünen zustimmen? 
       
       Auch dazu lässt sich noch keine endgültige Aussage machen. Wir wissen ja
       noch nicht, was wie im Bundesrat landet. Manche Einzelmaßnahmen sind
       durchaus sinnvoll, etwa der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos
       oder die Mehrwertsteuersenkung für Bahntickets. Aber unter dem Strich ist
       das Paket der Ausdruck eines dramatischen Politikversagens. Die Koalition
       stößt hunderttausende Menschen vor den Kopf, die am Freitag für mehr
       Klimaschutz auf die Straße gegangen sind.
       
       Politikversagen? Die CDU ringt sich dazu durch, einen CO2-Preis einzuführen
       – aus Sicht der Konservativen ist das ein großer Schritt. 
       
       Maßstab ist doch aber nicht, zu was sich Konservative durchringen, sondern
       was fürs Klima nötig ist. Die Koalition blendet die Ziele des
       völkerrechtlich verbindlichen Paris-Abkommens aus. Es fehlen entschiedene
       Maßnahmen, etwa ein verbindlich schnellerer Kohleausstieg oder ein
       beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien. Und ein CO2-Preis von
       anfangs 10 Euro pro Tonne Kohlendioxid ist viel zu wenig. Später soll der
       Preis zwar ansteigen, aber viel zu langsam und dann hat er auch noch eine
       Obergrenze. So entfaltet er keine Lenkungswirkung. Im Kern formuliert die
       Groko eine Absage an eine schnelle, wirksame CO2-Bepreisung.
       
       Kanzlerin Angela Merkel argumentiert, man dürfe die Menschen nicht
       überfordern. Schnell steigende Spritpreise wären für viele Normalverdiener
       eine echte Belastung. 
       
       Natürlich ist es entscheidend, für einen gerechten sozialen Ausgleich zu
       sorgen. Aus diesem Grund fordern wir Grüne ja, die Einnahmen aus einer
       CO2-Steuer an die BürgerInnen komplett auszuschütten. Nicht mal das machen
       SPD und Union! Es ist eine Frechheit, wenn sie behaupten, sie würden durch
       die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Familien entlasten. Die
       EEG-Umlage sinkt gerade mal um 0,25 Cent pro Kilowattstunde. Bei einer
       vierköpfigen Familie mit durchschnittlichem Stromverbrauch macht das 70
       Cent im Monat. Und was die Große Koalition mit der Erhöhung der
       Pendlerpauschale macht, ist faktisch Umverteilung von unten nach oben.
       Davon werden vor allem gut verdienende Fernpendler profitieren, die ihr
       großes Auto sogar günstiger nutzen können. Das ist unsozial.
       
       Was würden Sie anders machen? 
       
       Wir fordern einen Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne CO2. Er würde gemäß
       wissenschaftlicher Empfehlungen ansteigen, je nachdem, wie schnell der
       CO2-Ausstoß sinkt. Ein solcher Preis müsste mit Anreizen und Reformen
       kombiniert werden. Die Einnahmen wollen wir eins zu eins an die BürgerInnen
       zurückgeben: Jede Person erhält 100 Euro. Und der Strom wird auch billiger.
       Besonders wichtig ist auch der Verkehr. Wir müssen Elektroautos fördern und
       die Nutzung des fossilen Verbrennungsmotor 2030 beenden. Und wir müssen
       gleichzeitig das Bahnnetz deutlich ausbauen und den öffentlichen Nahverkehr
       fördern und attraktiver machen.
       
       Das Umweltbundesamt sagt, eine Tonne CO2 müsse 180 Euro kosten, weil der
       von ihr verursachte Schaden so hoch ist. Sind die Grünen radikal genug? 
       
       Ein so schneller Sprung würde die Menschen in der Tat überfordern. Unser
       Pfad ist eine gute Mischung aus entschiedenem Klimaschutz und sozialer
       Verträglichkeit. Die 40 Euro hätten bereits eine Lenkungswirkung – und
       gäben den Menschen Zeit, ihr Verhalten umzustellen.
       
       Auch die Grünen bleiben also mit Ihren Forderungen weit unter dem, was
       Experten empfehlen. 
       
       Nein. Auch viele Experten wie der Klimaökonom Ottmar Edenhofer schlagen
       einen Einstiegspreis in dieser Höhe vor, der dann ansteigt.
       
       Entscheidend ist auch die Frage, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien
       weitergeht. Wie finden Sie hier die Vorschläge der Koalition? 
       
       Der wichtige Ausbau der erneuerbaren Energien wird durch dieses Paket
       gestoppt. Windräder sollen zum Beispiel nur noch mit einem Abstand von
       1.000 Metern vor Siedlungen errichtet werden. In dicht besiedelten
       Regionen, etwa in Nordrhein-Westfalen, wird der Ausbau dadurch zum Erliegen
       kommen.
       
       Viele Menschen wehren sich gegen Windräder vor der Haustür. Ist das nicht
       verständlich? 
       
       Manchmal ja, es gibt aber auch zunehmend eine Instrumentalisierung des
       Protests. Um die Akzeptanz zu steigern, wollen wir die Leute vor Ort und
       die Kommunen stärker an den Einnahmen beteiligen. Die Bundesregierung hat
       das Planungsrecht so verkorkst, dass wir im Moment schon einen Rückbau der
       Windenergie beobachten. Richtig wäre, den Kommunen mehr Flexibilität zu
       geben, damit sie eigene Planungen mit hoher Bürgerbeteiligung entwickeln
       können.
       
       Da, wo die Grünen regieren, geht es auch nur langsam voran. Das von
       Winfried Kretschmann regierte Baden-Württemberg hat laut SWR bisher nur 12
       Prozent der selbst gesteckten Klimaschutzziele erreicht. Woran liegt das? 
       
       Den Ländern werden von der Bundesregierung immer wieder Knüppel zwischen
       die Beine geworfen. Viele LänderkollegInnen haben das Gefühl, dass die
       Bundesebene sie hängen lässt. Sie wünschen sich eine wirksame Bepreisung
       von CO2, um klimafreundliche Energienutzung zu steuern. Mit dem
       lächerlichen CO2-Preis torpediert die Bundesregierung die Klimaschutzziele
       der Länder.
       
       Die Grünen betonen stets, dass der Kompromiss die Essenz der Demokratie
       sei. Aber wenn die Große Koalition einen Kompromiss schließt, ist es auch
       wieder nicht recht, oder? 
       
       Es gibt gute und schlechte Kompromisse. Das Klimapaket gehört zur letzten
       Sorte. Es wird dazu führen, dass die Koalition ihre selbst gesteckten Ziele
       verfehlt. Beim Klimaschutz geht es um Naturgesetze, um Physik. Sie können
       mit dem steigenden Meeresspiegel nicht diskutieren, ob er vielleicht ein
       bisschen weniger schnell ansteigen könnte. Man kann gerne über die
       Instrumente reden, mit denen die Pariser Klimaschutzziele eingehalten
       werden – und auch Kompromisse schließen. Aber die Ziele an sich sind nicht
       verhandelbar.
       
       Am Dienstag wählt die Grünen-Bundestagsfraktion ihre neuen Vorsitzenden.
       Sie haben durch Kirsten Kappert-Gonther und Cem Özdemir überraschend
       Konkurrenz bekommen. Haben Sie Angst, dass Sie in einer Woche nicht mehr
       Fraktionschef sind? 
       
       Ach, schauen Sie: Wir leben in einer Demokratie. In einer solchen ist es
       das Normalste von der Welt, dass mehrere Menschen für einen Posten
       kandidieren. Da von „Angst“ zu sprechen, halte ich für unangebracht.
       
       23 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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