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       # taz.de -- Verlage und Leistungsschutzrecht: Verschluckt euch nicht!
       
       > Europäische Verlage wollen von Google für Textschnipsel in den
       > Suchergebnissen bezahlt werden. Der Konzern zeigt ihnen den Mittelfinger.
       
   IMG Bild: Essen oder aufheben, das ist hier die Frage
       
       Es erinnert an ein englisches Sprichwort. You can’t have your cake and eat
       it – man kann den Kuchen nicht zugleich aufessen und aufsparen. Die
       europäischen Verlage wollen von Google zwei Stück Kuchen auf einmal – sie
       möchten von der Suchmaschine maximale Reichweite für ihre Inhalte und dafür
       obendrein von ihr bezahlt werden. Das sorgt für Streit.
       
       Google zeigt meist eine Vorschau von zehn bis zwanzig Wörtern aus dem Text
       einer Seite an. Dafür sollen der Konzern und andere Suchmaschinen zahlen.
       [1][Google wehrt sich dagegen in Frankreich], wo die entsprechende
       EU-Richtlinie zuerst umgesetzt wird. Man bezahle „Verlage nicht dafür, wenn
       Leute auf ihre Links in Suchergebnissen klicken“, sagt Google-News-Chef
       Richard Gingras. Lieber streicht Google Kurztexte und Vorschaubilder aus
       den Ergebnissen für französische Nachrichtenseiten. Übrig bleiben bloß
       Titel und Link. In Frankreich sorgt das für ein coup de gueule, für einen
       Aufschrei. „Eine Art von Erpressung“ nennt es Bertrand Gié von der
       Verlagsgruppe Groupe Figaro.
       
       Die Verlage hätten das wissen müssen. 2013 beschloss in Deutschland die
       schwarz-gelbe Koalition ein Leistungsschutzrecht, auf Drängen von Axel
       Springer und der großen Verlage. Google entfernte daraufhin Textanrisse
       einiger Verlagsseiten aus seinen Ergebnissen. Zugriffe auf die Seiten
       sanken. Die Verlage knickten rasch ein und erlauben Google seither die
       Gratisverwendung der Schnipsel. Der Europäische Gerichtshof erklärte
       inzwischen das deutsche Leistungsschutzrecht wegen eines Formfehlers für
       unwirksam. Die deutsche Farce wird nun in Europa neu inszeniert.
       
       Natürlich ist es unschön, wenn sich ein Konzern einfach über die Absicht
       der europäischen Gesetzgeber hinwegsetzt. Doch beim Leistungsschutzrecht
       erfährt Google Unterstützung von Seiten, die den Konzern sonst kritisieren.
       Warum? Schon die Idee, dass einzelne Sätze abgegolten werden sollten, ist
       läppisch. Ein Satz ist kein eigenständiges Werk, sondern ein Zitat. Und das
       Prinzip des freien Zitatrechts ist für den demokratischen Diskurs von hoher
       Bedeutung. Dieses Prinzip wird aber nun auf den Kopf gestellt.
       
       ## Ungesunde Abhängigkeit
       
       Die Verlage argumentierten, dass das Leistungsschutzrecht die Dominanz von
       Google einschränke und dem Journalismus helfe. Das Geld nütze allen. „Jeder
       Blogger ist ein potenzieller Großverleger der Zukunft“, sagt Springer-Chef
       Mathias Döpfner, nebenbei Präsident des Bundesverbandes Deutscher
       Zeitungsverleger. Das Leistungsschutzrecht der EU-Richtlinie nimmt Blogs
       aber explizit aus. Döpfner wünscht sich zwar, Blogger in der deutschen
       Umsetzung des EU-Gesetz zu berücksichtigen. Doch das Leistungsschutzrecht
       bleibt auf Großverleger zugeschnitten. Laut einer [2][Berechnung der
       Branchenseite Golem.de], die in Verlagskreisen niemand ernsthaft
       bestreitet, gingen allein zwei Drittel aller deutschen Einnahmen an Axel
       Springer.
       
       Die Verlagsbranche lebt derweil in ungesunder Abhängigkeit von Google.
       Medien in Deutschland verdienen Millionen mit Anzeigen über Googles
       Werbenetzwerk und Werbung auf YouTube. Nachrichtenseiten wie Zeit Online
       nutzen Google Analytics, um BesucherInnenströme zu analysieren. Im Gegenzug
       liefern sie Daten ihrer LeserInnen an Google. Der Konzern bindet die Medien
       in sein Ökosystem ein, in dem sie seine Gratisprodukte nutzen – und immer
       mehr Daten von NutzerInnen preisgeben. Der Pakt hat auch eine politische
       Dimension. Während die Verleger in der Urheberrechtsreform gegen Google
       lobbyierten, schlagen sie sich beim Datenschutz auf die Seite der
       Internetkonzerne.
       
       Seit Jahren arbeitet eine unheilige Allianz aus Internetkonzernen und
       Verlagsbranche in Brüssel gegen die ePrivacy-Reform, die Privatsphäre im
       Netz zur Standardeinstellung machen könnte. Google strebt danach, jeden
       Aspekt des Nachrichtenökosystems zu kontrollieren – sei es das Finden und
       Verbreiten von Nachrichten, die Monetarisierung von Inhalten über Werbung
       und das Messen von LeserInnenströmen.
       
       ## Pächter auf fremdem Grundbesitz
       
       Die Verleger könnten die Ausbreitung Googles freilich stoppen: Härterer
       Datenschutz träfe Googles Geschäft mit personalisierter Werbung ins Mark.
       Ihr eigenes Geschäft würde vorübergehend leiden, längerfristig böte das
       aber klare Vorteile für die gesamte Verlagsbranche.
       
       Axel Springer und Co. könnten ihren immensen politischen Einfluss
       vielleicht besser nutzen, um nicht gegen, sondern für stärkeren Datenschutz
       zu lobbyieren. Doch die Verleger glauben offenbar immer noch, beim großen
       Datenbusiness mit dem Silicon Valley mitspielen zu können. Eine Illusion,
       die sie sich wohl bewahren, bis Europas Pressverlage endgültig bloße
       Pächtern auf dem digitalen Großgrundbesitz der Digitalkonzerne sind.
       
       4 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Leistungsschutzrecht-in-der-EU/!5630343
   DIR [2] https://www.golem.de/news/leistungsschutzrecht-so-viel-geld-wuerden-die-verlage-von-google-bekommen-1809-136436.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Fanta
       
       ## TAGS
       
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