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       # taz.de -- Innenministerkonferenz in Luxemburg: Aufnahme unter Vorbehalt
       
       > Die EU-Staaten ringen um Lösungen, um Geflüchtete in den Ländern
       > aufzunehmen. Nun soll ein neuer Verteilungsmechanismus helfen.
       
   IMG Bild: Ungewisse Aussichten für gerette Flüchtlinge, hier auf einem Seawatch-Schiff vor Italien
       
       Berlin taz | Unter der Federführung von Deutschland und Frankreich soll
       beim Innenministertreffen am Dienstag in Luxemburg ein Verteilmechanismus
       für Flüchtlinge beschlossen werden, die vor Libyen aus Seenot gerettet
       werden. Diese sollen auf freiwilliger Basis, aber nach einem festen
       Schlüssel unter einer Gruppe von EU-Staaten aufgeteilt werden.
       
       Die Aufnahmeländer sind dann für das Asylverfahren zuständig. Deutschland
       hat zugesagt, ein Viertel dieser Menschen aufzunehmen, wenn genügend andere
       Staaten das auf sechs Monate befristete Modell mittragen. Nachdem Italien
       und danach Malta im vergangenen Jahr ihre Häfen für Flüchtlingsschiffe
       geschlossen hatten, mussten diese teils wochenlang auf eine Erlaubnis zum
       Anlegen warten. Jedes mal hatten zunächst einzelne Staaten Plätze zusagen
       müssen. Malta und Italien fürchteten – nicht zu unrecht – sich ansonsten
       allein um die Flüchtlinge kümmern zu müssen.
       
       Dieses hochgradig ineffiziente Verfahren hatte zu dramatischen Situationen
       auf den Flüchtlingsschiffen geführt. Künftig soll die Weiterreise in den
       Aufnahmestaat innerhalb von vier Wochen garantiert sein. Menschen, die von
       staatlichen Schiffen gerettet werden, sollen direkt in dessen Staat
       gebracht werden.
       
       Die Teilnahme an dem Modell ist ausdrücklich unter Vorbehalt – die
       Aufnahmestaaten können jederzeit aussteigen, wenn es ihnen zuviel wird. Er
       sei “nicht nur zufrieden, sondern auch glücklich“, hatte
       Bundesinnenminister Horst Seehofer Ende September [1][nach dem Treffen in
       Malta] gesagt, wo das Modell mit Malta und Italien ausgehandelt worden war.
       Er hoffe auf insgesamt 12 bis 14 Länder, die mitmachen. Anschließend könnte
       der Mechanismus in Kraft treten. „Ich glaube, das war heute ein wichtiger
       Schritt der europäischen Zusammenarbeit in der Migrationsfrage.“
       
       Auch die Minister Frankreichs, Italiens und Maltas zeigten sich nach den
       Verhandlungen erfreut. Der französische Innenminister Christophe Castaner
       sprach von einem „ausgeglichenen Abkommen“. Die Italienerin Luciana
       Lamorgese sagte: „Wir sind auf dem richtigen Fuß gestartet.“ Und Maltas
       Minister Michael Farrugia sagte: „Wir haben begonnen, Geschichte zu
       schreiben.“ Nun hänge es von der Unterstützung anderer Staaten ab.
       
       ## Viel helfen wird die Regelung in dieser Form nicht
       
       Am Dienstag sollen die teilnahmewilligen EU-Staaten angeben, welchen Anteil
       sie sich vorstellen können. Doch viel helfen, das ist bereits klar, wird
       die Regelung in dieser Form gegen die Dramen im Mittelmeer nicht. Die
       Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte berichtet, dass rund ein Fünftel der
       etwa 8.000 in diesem Jahr in Italien angekommenen Flüchtlinge gar nicht aus
       Seenot gerettet worden waren, sondern es aus eigener Kraft bis nach Italien
       geschafft hatten.
       
       Italien ist mit dem geplanten Mechanismus also nur sehr bedingt geholfen –
       und trotzdem hat sich das Land als Zeichen guten Willens bereit erklärt,
       jeden zehnten der Schiffbrüchigen ein Asylverfahren in Italien zu gewähren.
       Griechenland mit bislang rund 46.000 Ankünften in diesem Jahr, Spanien mit
       23.000, und Zypern mit 800 werden hingehen überhaupt nicht berücksichtigt.
       Sie müssen sich um alle Ankommenden auch künftig weitgehend alleine
       kümmern.
       
       Nur Malta, wo bisher 1.600 Menschen an Land gingen, kann darauf hoffen,
       alle abgenommen zu bekommen. Zudem bleibt die Rettung auch weiterhin den
       privaten NGOs überlassen – eine staatliche Mission dazu ist nicht geplant.
       Die Diskussion für den Mechanismus war auch deshalb lange blockiert
       gewesen, weil unklar war, welche Schiffbrüchigen davon profitieren sollen.
       Einige Länder hatten Bereitschaft signalisiert, sie zunächst unabhängig von
       der Aussicht auf Asyl einreisen zu lassen.
       
       Andere wollten nur solche ins Land lassen, die aus Konfliktregionen stammen
       und eine Perspektive auf Schutz haben. Von einer solchen Klausel ist im
       Entwurf für den Verteilmechanismus keine Rede mehr. Die EU ist dennoch
       erleichtert über den Vorstoß. Flüchtlingskomissar Dimitris Avramopoulos
       sagte, Lösungen von Fall zu Fall seien für die Rettung von Migranten auf
       See „nicht nachhaltig“. Nun gebe es Fortschritte bei dem Verteilungsthema.
       
       Für das Treffen der EU-Innenminister sei er zuversichtlich. „Weil ich das
       Gefühl habe, dass der Schwung da ist: Immer mehr Mitgliedstaaten erkennen,
       dass es berechenbare, befristete Regelungen für die Aufnahme von
       Bootsflüchtlingen nach der Ausschiffung geben muss.“ Avramopoulos bestritt,
       dass eine Aufnahmegarantie Anziehungskraft für weitere Migranten entwickeln
       könne. Die Arbeit an Regelungen für die Ausschiffung dürfe nicht isoliert
       von allen anderen Bemühungen gesehen werden.
       
       6 Oct 2019
       
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