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       # taz.de -- Antikolonialer Anschlag in Hamburg: Aufgeklärt nach 50 Jahren
       
       > 1969 detonierten auf einer Werft 20 Kilo Sprengstoff. Täter konnten nie
       > ermittelt werden. Erst jetzt erfahren wir mehr über die Tat von Linken.
       
   IMG Bild: Der Tatort im Jahr 2019: Der Hamburger Hafen und die Werft von Blohm & Voss
       
       Hamburg taz | Der 13. Oktober 1969 ist ein Montag. Für die Bundesrepublik
       erweist sich der Wochenbeginn als ein schwarzer Tag. Die Bundeswehr
       verliert in der Nähe des Fliegerhorstes Memmingen ihren 100. Starfighter,
       jenes von der US-Rüstungsfirma Lockheed produzierte und 1958 vom damaligen
       Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß trotz erheblicher Bedenken
       von Experten in hoher Stückzahl angekaufte Kampfflugzeug F-104 G. Auch wenn
       sich der 28-jährige Hauptfeldwebel Maximilian Ambs mit dem Schleudersitz
       retten kann, ist allein schon der symbolische Schaden enorm. Im Gegensatz
       zu einem anderen Vorkommnis dieses Tages stellt das Unglück eines der
       Top-Themen in der Presseberichterstattung des darauffolgenden Tages dar.
       
       Im Hamburger Hafen gehen am frühen Morgen des 13. Oktober zwei Warnanrufe
       ein. Der erste erreicht um 6.13 Uhr eine Polizeistation, der zweite zwei
       Minuten später den Werkschutz von Blohm & Voss. Die 1877 gegründete
       Großwerft war mit der Produktion von Kriegsschiffen tief in den
       Nationalsozialismus verstrickt, wurde nach Kriegsende von den Briten
       geschlossen, teilweise demontiert, war aber 1955 wieder zugelassen worden
       und zu Beginn der sechziger Jahre dazu übergegangen, erneut Kriegsschiffe
       zu bauen. Ein anonymer Anrufer fordert: „Lassen Sie sofort die Korvette
       ‚João Coutinho‘ räumen: wir sprengen das Schiff in die Luft!“
       
       Es dauert keine 20 Minuten, bis es tatsächlich so weit ist und um 6.32 Uhr
       ein Sprengsatz explodiert. Getroffen wird jedoch nicht so sehr das
       Kriegsschiff des Nato-Partnerlandes, sondern eine zwischen Kaimauer und der
       Korvette befindliche Schute. Den nicht sonderlich großen Kahn, der dem
       Transport von Gütern und Materialien dient, hat es so schwer erwischt, dass
       er in kurzer Zeit am Steinwerder-Kai versinkt. An der Korvette selbst,
       heißt es, sei nur geringer Sachschaden entstanden. Menschen sind nicht
       verletzt worden.
       
       Die Reaktionen in der Presse sind eher bescheiden. Lediglich das Hamburger
       Abendblatt und die lokale Ausgabe der Bild-Zeitung informieren ihre Leser
       über das Ereignis. Später wird sich zeigen, dass das insbesondere bei den
       für den Anschlag Verantwortlichen für Verwunderung sorgt. Denn sie waren
       nicht nur davon überzeugt, dass sie eine spektakuläre antikolonialistische
       Aktion verübt hätten, sondern dass diese auch ohne die Verbreitung eines
       Bekennerschreibens durch das Medien-Interesse für die gewünschten
       Multiplikatoreneffekte sorgen würde.
       
       ## Die Polizei tappt nach dem Anschlag im Dunkeln
       
       Ganz im Gegensatz zum mangelnden Echo in der Presse widmen sich einige
       linke Gruppen und Zeitungen dem Anschlag. Überraschenderweise ist es aber
       eine niederländische Gruppierung, die als Erstes darauf reagiert. Ein in
       dem Nachbarland aktives Angola-Komitee lässt es sich nicht nehmen, die
       versuchte Attacke als antikolonialistische Aktion uneingeschränkt zu
       begrüßen. An Spekulationen beteiligen sich mehrere linksradikale Blätter.
       So wird etwa von der in Westberlin erscheinenden Wochenzeitung agit 883
       behauptet, dass die Sabotageaktion von Werftarbeitern verübt worden sei.
       
       Die mit dem Anschlag befassten Ermittler geben am Tag darauf bekannt, dass
       von den Tätern jede Spur fehle, man aber vermute, dass sie aus den Reihen
       einer antikolonialistisch eingestellten Organisation stammen würden.
       Konkret genannt werden das Governo Revolucionário de Angola no Exilio
       (Angolanische Revolutionsregierung im Exil, GRAE) und die Movimento Popular
       de Libertação de Angola(Volksbewegung für die Befreiung Angolas, MPLA).
       Diese beiden Organisationen würden auch, heißt es weiter, über Mitglieder
       in europäischen Studentenbewegungen verfügen. Mitglieder beider
       Organisationen hatten immer wieder mit Flugblattaktionen gegen den Bau
       derartiger Korvetten im Hamburger Hafen protestiert, zuletzt beim
       Stapellauf der „João Coutinho“ am 2. Mai.
       
       Portugal tut im Übrigen so, als ginge es die Angelegenheit nichts weiter
       an. Ein Sprecher des in Hamburg befindlichen Generalkonsulats erklärt, dass
       „die Sache“ sie nicht betreffen würde. Solange die Schiffe nicht der
       Regierung ihres Landes übergeben worden und bis dahin Eigentum der Werft
       seien, hätten sie damit nichts zu tun.
       
       Bei den 84 Meter langen und 10 Meter breiten Korvetten, die eine Besatzung
       von 70 Mann aufnehmen können, handelt es sich um eine eigene Schiffsklasse,
       die sogenannte „João-Coutinho“-Klasse. Die Schiffe verfügen über zwei
       7,6-cm-Geschütze und zwei 4-cm-Maschinenkanonen in Doppellafetten. Portugal
       will sie zur Bekämpfung der in seinen Kolonien aktiven Guerillabewegungen
       einsetzen, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder kämpfen. Nach ihrer
       Indienststellung sollen sie bei Patrouillenfahrten und Kampfeinsätzen in
       Angola, Mosambik, Guinea-Bissau und vor den Kapverden zum Einsatz kommen.
       
       Trotz aller Anstrengungen verlaufen die von der Hamburger
       Staatsschutzabteilung K4 angestrengten Ermittlungen ergebnislos. Zwar
       sollen als verdächtig geltende Werftangehörige verhört und Mitglieder des
       Sozialistischen Lehrlingszentrums (SLZ) über Monate hinweg überwacht worden
       sein, aber niemand von ihnen wird festgenommen oder gar vor Gericht
       gestellt. Von den Urhebern des Anschlags fehlt jede Spur.
       
       ## Erst 50 Jahre später beginnt die Aufarbeitung
       
       Es wird schließlich ein halbes Jahrhundert dauern, bis sich das ändert. Die
       Betreffenden entscheiden, einen Bericht über Gründe und Hintergründe ihres
       Anschlags zu verfassen. Ihre Überlegungen sind eingebunden in einen
       kollektiven Erinnerungsprozess. Als sich die 68er-Bewegung im letzten Jahr
       zum 50. Mal jährte, trafen sich rund dreißig ehemalige Aktivisten – zum
       ganz überwiegenden Teil einstige Mitglieder des legendären Sozialistischen
       Deutschen Studentenbundes (SDS).
       
       Die Hamburger Ehemaligen wollten es nicht bei einem einmaligen Treffen
       bewenden lassen, sondern einen Arbeitskreis bilden, um ihre eigene
       Geschichte aufzuarbeiten. Als ein Vorgriff auf diesen Schritt ist dem Autor
       von einem Sprecher der Ehemaligengruppe ein Anfang März 2019 verfasster
       Bericht zugestellt worden, in dem der Auslöser für den Anschlag im
       Hamburger Hafen sowie der Ablauf der Aktion minutiös dargelegt wird. Auch
       wenn niemand der daran Beteiligten bereit ist, mit seinem Namen
       nachträglich für das Geschehene einzutreten, so gibt es keinen plausiblen
       Grund, an der Authentizität ihrer Darstellung zu zweifeln.
       
       Es ist allgemein bekannt, dass die „Entdeckung“ der Dritten Welt samt den
       zahlreichen in Afrika, Asien und insbesondere in Lateinamerika aktiven
       Befreiungsbewegungen zu den Schwerpunkten der 68er-Bewegung zählte. Diese
       Hinwendung war maßgeblich durch die Nachrichten vom Vietnamkrieg befördert
       worden. Die grauenerregenden Bilder, die Tag für Tag von den
       südostasiatischen Schauplätzen per TV zu sehen waren, erschütterten
       insbesondere große Teile der jüngeren Generation.
       
       Der Antikolonialismus ging aber weit über Vietnam als US-Stützpunkt hinaus,
       denn es ging dabei auch um den Restbestand an von europäischen Mächten
       beherrschten Ländern wie Angola. Im Frühjahr 1969 wurde dieser Aspekt von
       den Protestierenden aufgegriffen. So schlug etwa der seit dem Mai 1968
       wegen Verletzung der Rathaus-Bannmeile mit Haftbefehl gesuchte Karl Heinz
       Roth, ein SDS-Kader, die Durchführung einer eigenen Kampagne gegen den
       Neokolonialismus vor, in deren Verlauf auch über den von Portugal in seinen
       afrikanischen Kolonien praktizierten Krieg aufgeklärt werden müsse.
       
       Diese Bezugnahme kam nicht von ungefähr, denn es war den Protestierenden
       bereits bekannt, dass drei für die portugiesische Marine bestimmte
       Korvetten demnächst vom Stapel laufen sollten. Aus diesem Grunde hatte sich
       auch die MPLA Anfang April in Schreiben an die Geschäftsleitung sowie den
       Betriebsrat von Blohm & Voss gewandt und darin festgestellt, dass mit dem
       Bau der Kriegsschiffe eine Entscheidung für den portugiesischen
       Kolonialismus und damit zugleich auch für die Unterdrückung des
       angolanischen Volkes gefällt worden sei.
       
       Und am Ende desselben Monats meldete sich mit Amilcar Cabral der Anführer
       einer anderen Befreiungsbewegung, der in Guinea-Bissau – einer an der
       afrikanischen Westküste gelegenen portugiesischen Kolonie – aktiven Partido
       Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde (PAIGC) zu Wort. Er spitzte
       die Vorwürfe dahingehend zu, dass die bei Blohm & Voss gebauten Fregatten
       „für den Völkermord im Kolonialkrieg gegen unser afrikanisches Volk
       bestimmt“ seien. Er richte deshalb an alle Kräfte, die sich für Recht und
       Freiheit einsetzen würden, „… die dringende Aufforderung, der Kollaboration
       zwischen den Regierungen in Bonn und Lissabon auf politischer,
       militärischer, wirtschaftlicher und finanzieller Ebene durch wirksame
       Aktionen ein Ende zu setzen“.
       
       Zur selben Zeit führte der AStA im Auditorium Maximum der Universität eine
       Informationsveranstaltung zu dem in immer weiteren Kreisen als skandalös
       betrachteten Fall des Korvettenbaus durch. SDS-Mitglieder verteilten dort
       ein Flugblatt, auf dem auch der Brief der MPLA abgedruckt war.
       
       ## Eine Hamburger Kommune bedenkt, was man tun kann
       
       Der Bericht aus der Gruppe von Hamburger Ex-SDSlern beginnt damit, dass der
       Besuch eines niederländischen Kamerateams geschildert wird, das im Herbst
       1968 in einer Hamburger Kommune vorbeigekommen war, um nähere Informationen
       über die drei im Bau befindlichen portugiesischen Korvetten zu gewinnen.
       Die in der im Stadtteil Harvestehude gelegenen Hochallee 21 lebende Kommune
       hatte die Aufmerksamkeit des Filmteams errungen, weil in einigen zum Thema
       portugiesischer Kolonialismus verteilten Flugblättern ihre Adresse
       gestanden hatte.
       
       Nachdem der Film im niederländischen Fernsehen ausgestrahlt worden war,
       hatte das bereits erwähnte Angola-Komitee ebenfalls Kontakt zu den
       Kommunarden gesucht. Dessen Absicht war es, sich mit den Hamburger
       Antikolonialisten zusammenzutun, um sich über künftige Kooperationen bei
       der Bekämpfung des portugiesischen Kolonialismus, insbesondere dessen
       Unterstützung durch bundesdeutsche Rüstungskonzerne zu beraten.
       
       Dabei stellte sich heraus, dass die Niederländer über enge Kontakte zur
       MPLA verfügten. Resultat dieser Verbindung waren die beiden bereits
       erwähnten an Blohm & Voss gerichteten Briefe der MPLA gewesen.
       
       Da sich abzeichnete, dass sich Presse und Medien beim Thema Kolonialismus
       weitestgehend taub stellten, überlegte man, wie es gelingen könne dieses
       „Schweigekartell“ zu durchbrechen. Schnell reifte die Überzeugung heran,
       dass es einer besonders spektakulären Aktion bedürfe, um für die nötige
       Aufmerksamkeit zu sorgen. Auf diese Weise soll der Gedanke aufgekommen
       sein, einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindlichen Schiffe zu
       verüben.
       
       ## Die Beschaffung des Sprengstoffs
       
       Um dieses Ziel zu verfolgen, mieteten sich zwei der Beteiligten im Mai 1969
       einen VW-Käfer und fuhren mit ihm übers Wochenende nach Paris. Nicht aufs
       Geratewohl, sondern weil sie im Besitz einer Adresse waren, die Konkreteres
       versprach. Erster Anlaufpunkt war eine im Quartier Latin gelegene
       Buchhandlung. Nachdem ein zuvor ausgemachtes Losungswort genannt worden
       war, sei es zu dem gewünschten Kontakt gekommen. In dieser konspirativen
       Form ging es dann über verschiedene Umwege zu einer Wohnung, die kein
       Namensschild trug. Dort angekommen, musste man sich erst einmal auf eine
       stundenlange Diskussion über Widerstand und Politik, Einschätzungen der
       Sowjetunion, Kubas sowie Chinas und anderes mehr einlassen. Es schien ganz
       so, als habe man damit ihre Glaubwürdigkeit überprüfen wollen. Das
       eigentliche Ziel, Näheres über die Begehung eines Sprengstoffanschlages zu
       erfahren, heißt es weiter, sei dabei mit keinem Wort erwähnt worden.
       Anschließend ging es wieder zurück zur Buchhandlung. Dort erhielten sie
       lediglich den Hinweis, dass man sich bei ihnen melden würde. Doch nichts
       geschah. Es sah ganz so aus, als habe man die „Prüfung“ nicht bestanden
       oder aber als sei man ganz und gar genarrt worden.
       
       Als der Sonnabend unverrichteter Dinge vorüber war, entschied man sich am
       Sonntag, auf eigene Faust einen erneuten Kontakt herzustellen.
       
       Als die beiden nun in der Wohnung eintrafen, wurden sie zu ihrer nicht
       geringen Überraschung wie selbstverständlich in Empfang genommen. Fast
       schien es so, als habe auch die Hürde zur Selbstinitiative überwunden
       werden müssen, als sei das letztlich nur ein weiterer Schritt auf der
       Stufenleiter zur klandestin angelegten Zusammenarbeit gewesen. Nun stellte
       sich heraus, dass die Pariser Gruppe bereit war, den Hamburgern
       Plastiksprengstoff zur Verfügung zu stellen bzw. zum Verkauf anzubieten.
       Danach begann eine Unterweisung in den fachgerechten Zusammenbau eines
       solchen Sprengsatzes. Zum Abschluss der Instruktion hieß es lediglich, man
       werde von ihnen hören. Diesmal traf das auch tatsächlich zu.
       
       Zwei Wochen später wurde der Sprengstoff geliefert. Um kein unnötiges
       Risiko einzugehen, schaffte man die 20 Kilogramm zusammen mit den vier
       Detonatoren in eine in einem Hamburger Vorort gelegene, unverdächtig
       erscheinende Wohnung. Und um sicher zu gehen, beschloss man erst einmal
       eine Testsprengung zu absolvieren.
       
       Die wurde dann auf dem östlich von Rahlstedt gelegenen Truppenübungsgelände
       Höltigbaum durchgeführt. Der Einfachheit halber wurde die Detonation mit
       einem 50 Meter langen Kabel ausgelöst. Obwohl man mit 100 Gramm nur einen
       geringen Teil der Sprengstoffmasse benutzte, war die Wirkung so gewaltig,
       dass ein Baum völlig zerrissen wurde. Weil auf dem Gelände Geknalle
       durchaus üblich war, schöpfte offenbar niemand Verdacht.
       
       Am 12. Oktober baute man die Bombe zusammen. Als Behälter für den
       Sprengstoff wählte man einen Farbeimer aus und verschloss ihn mit dem
       dazugehörigen Blechdeckel. Um sicherzugehen, dass keine vorzeitige
       Explosion ausgelöst werden würde, führte man vor Ort eine letzte
       Funktionsmessung durch und stellte den Auslöser auf eine halbe Stunde nach
       sechs Uhr ein.
       
       ## Eindringen in die Werft, am Werkschutz vorbei
       
       Kurz nach Mitternacht des darauffolgenden Tages fuhr man schließlich zur
       Norderelbe nach Steinwerder. Den Zaun, mit dem das Werftgelände abgesichert
       war, zerschnitt man an einer schwer einzusehenden Stelle mit einem
       Bolzenschneider. Um sich zu tarnen, hatte man sich die werftüblichen
       Kesselanzüge und Schutzhelme besorgt. Man wusste, dass man sehr vorsichtig
       würde vorgehen müssen, weil die „João Coutinho“ rund um die Uhr vom
       Werkschutz überwacht wurde. Man wusste allerdings auch, dass deren
       Angehörige es mit ihren Verpflichtungen nicht immer so genau nahmen,
       insbesondere nicht während ihrer Nachtschichten.
       
       Und in der Tat – auch in dieser Nacht war der für die „João Coutinho“
       zuständige Werkschutzmann ziemlich unaufmerksam. Er verbrachte längere Zeit
       in seinem am Heck des Schiffes befindlichen Aufenthaltscontainer. So gelang
       es den beiden Aktivisten in den frühen Morgenstunden des 13. Oktober wie
       geplant, diese mangelnde Überwachung auszunutzen. Einer von ihnen hangelte
       sich in Höhe des Schiffsbuges mittels eines Versorgungsschlauchs von der
       Kaimauer hinunter auf die sechs Meter darunter liegende Schute.
       
       Weil sich herausstellte, dass es von dort aus keine Möglichkeit mehr gab,
       an Bord der Korvette zu gelangen, blieb ihm nichts anderes übrig, als den
       kurz zuvor scharf geschalteten Sprengsatz in einer Wassertiefe von einem
       Meter zwischen Schute und Korvette abzusetzen. Als der Aktivist über den
       Versorgungsschlauch wieder nach oben gelangt war, konnte er beobachten, wie
       der Werkschutzangehörige immer noch unverändert in seiner Bude saß. Er
       hatte von dem gesamten Vorgang nichts mitbekommen.
       
       Trotzdem gab es noch für einen kurzen Moment die Gefahr, dass die ganze
       Aktion vor der Explosion aufgeflogen wäre. Denn als die beiden Bombenleger
       gerade dabei waren, durch das Loch im Zaun zu verschwinden, hörten sie ein
       „Halt, stehenbleiben!“. Das konnte nur die Stimme eines anderen
       Wachtpostens sein, der sie in letzter Sekunde noch beobachtet hatte. In
       dieser bedrohlichen Situation scheinen die deiden jedoch die Nerven
       behalten zu haben. Denn es heißt dazu nur, dass sie sich nicht weiter um
       den Wachmann gekümmert hätten. Und dieser hatte sein Misstrauen offenbar
       sofort wieder aufgegeben, weil es nachts ja immer mal wieder vorkam, dass
       Werftarbeiter das Gelände verließen, um eine nahe gelegene Kaffeeklappe
       aufzusuchen.
       
       ## Die Suche nach der Telefonzelle
       
       Nun blieb nur noch übrig, wie geplant vor der Sprengung zu warnen, um keine
       Menschenleben zu gefährden. Weil die Tagschicht um 7 Uhr begann, hatte man
       den Sprengmechanismus auf 6.30 Uhr gestellt. Es war verabredet worden, eine
       halbe Stunde vorher Polizei und Werkschutz anzurufen. Doch dann stellte
       sich heraus, dass die Telefonzelle defekt war. Nun gerieten die beiden doch
       noch in Panik. So schnell es irgendwie ging, suchten sie nach einer anderen
       Telefonzelle. Um 6.13 Uhr hatte man jemanden bei der Polizei erreicht und
       zwei Minuten später jemandem vom Werkschutz. Und weil man nicht einschätzen
       konnte, ob diese Anrufe überhaupt ernst genommen würden, meldete man sich
       um 6.20 Uhr noch ein weiteres Mal beim Werkschutz.
       
       Es war schließlich 6.32 Uhr, als die Detonation zu hören war. Der Knall war
       so gewaltig, dass man ihn weit über das Hafengelände hinaus in Stadtteilen
       wie Altona und St. Pauli mitbekommen haben dürfte. Anstelle der Korvette
       sank aber nur die Schute. Die „João Coutinho“ schien lediglich an ihrer
       Außenhaut beschädigt worden zu sein. Möglicherweise waren aber doch größere
       Teile in Mitleidenschaft gezogen worden. Darauf wies jedenfalls die
       Tatsache hin, dass das Schiff noch einmal zur Reparatur ins Dock gebracht
       werden musste und sich seine Auslieferung um mehrere Monate verzögerte.
       
       Den ganzen Tag über verfolgten die Gruppenmitglieder erwartungsvoll die
       Nachrichtensendungen. Stunde um Stunde verging, doch nichts tat sich. Der
       Anschlag schien keinerlei Echo ausgelöst zu haben. Warum nur? Erst in den
       Abendstunden wurde in den Nachrichten des 1. Programms der Anschlag
       ausführlicher geschildert. Dennoch schien das Ganze eine Pleite gewesen zu
       sein. Denn am Tag darauf stellte sich zudem heraus, dass mit Ausnahme der
       verhassten Springer-Presse keine einzige Zeitung, kein Magazin und keine
       Illustrierte über die Attacke auf die portugiesische Korvette berichtet
       hatte. Der 50 Jahre später entstandene Bericht endet mit dem Eingeständnis
       eines medialen Fehlschlags.
       
       Allein in der niederländischen Presse fand der antikolonialistische
       Anschlag ein größeres Echo. Erstaunlicherweise verhallte der Vorstoß auch
       unter den im Gefolge der 68er-Bewegung entstandenen linksradikalen
       Gruppierungen. Der SDS war zersplittert und befand sich bereits in
       Auflösung. Und weder Maoisten noch Trotzkisten, weder Kommunisten noch
       Anarchisten schienen gewillt zu sein, das angeprangerte Thema
       Rüstungsexport und Kolonialismus aufzugreifen. Nur eines verdichtete sich.
       Die im Mai 1970 durch die Freischießung Andreas Baaders gegründete RAF
       schien über engere Kontakte zu verfügen. So schilderte etwa Jutta Ditfurth
       in ihrer 2007 erschienenen Ulrike-Meinhof-Biografie, dass die
       Mitbegründerin der Stadtguerilla-Truppe an der Finanzierung des Anschlags
       beteiligt gewesen sei, indem sie einen Teil des für die Beschaffung des
       Sprengstoffs nötigen Geldbetrags besorgt habe. Und als am 13. Juni 1972
       Gudrun Ensslin in einer Boutique am Jungfernstieg verhaftet wurde, fand man
       bei ihr nicht nur eine Schusswaffe, sondern auch den Personalausweis einer
       jungen Frau, deren Adresse Hochallee 21 lautete. Doch all das geriet bald
       in Vergessenheit.
       
       Für die beteiligten Aktivisten blieb es, wie sie heute betonen, „die
       einzige militante Aktion“. Die dabei eingegangenen hohen Risiken und der
       mediale Fehlschlag hätten zu einem Umdenken im Kampf gegen die
       Rüstungsexporte geführt. Man habe sich deshalb für Projekte wie
       Rüstungskonversion engagiert.
       
       ## Epilog: 33 Jahre danach
       
       Erst Jahrzehnte später kam es in Hamburg zu einem Anschlag, in dem für
       einen kurzen Moment eine Verbindung zum Geschehen des 13. Oktobers 1969
       aufblitzte. In der Nacht vom 1. auf den 2. April 2012 zündeten Unbekannte
       in der Elbchaussee den Pkw des damaligen Blohm-&-Voss-Chefs Herbert Aly
       an. Auch wenn es hieß, dass bei dem Brandanschlag „keine politischen
       Hintergründe“ erkennbar seien, so ging man in Teilen der Presse doch davon
       aus, dass es sich – wie die taz zu melden wusste – um eine
       „antimilitaristische Aktion“ gehandelt habe. Denn es hatte in derselben
       Nacht noch zwei weitere, damit offenbar zusammenhängende Aktionen gegeben:
       einen gegen die Muehlhahn AG, eine in Wilhelmsburg angesiedelte
       Rüstungsfirma, gerichteten Brandanschlag, der freilich keinen größeren
       Schaden hatte anrichten können, und einen anderen, bei dem
       antimilitaristische Parolen an die Fassade einer Niederlassung der
       US-amerikanischen Rüstungsfirma Northrop Grumman in Hammerbrook gesprüht
       worden waren.
       
       Die Verantwortung für den Brandanschlag auf Alys Mercedes hat schließlich
       eine „Arbeitsgruppe Oktober Neunundsechzig“ übernommen.
       
       10 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolfgang Kraushaar
       
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