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       # taz.de -- Ermittlungen gegen Adbusting in Berlin: Vollkommen überzogen
       
       > Werbung überkleben ist jetzt offenbar schwerkriminell. Zumindest scheint
       > die Berliner Staatsanwaltschaft so einzuschätzen. Ein Wochenkommentar.
       
   IMG Bild: Manchmal liefert Adbusting Kund*innen auch wertvolle Informationen über das Produkt
       
       Berlin taz | Natürlich ist es ein bisschen Whataboutism, wenn man diesen
       Vergleich zieht. Dennoch bekommt man manchmal den Eindruck, dass es zwei
       Maßgaben im deutschen Rechtssystem gibt: Denn während in Deutschland 497
       Rechtsextreme mit Haftbefehlen frei herummarodieren, bekommen
       kapitalismuskritische und linke Aktivisten für Bagatellen die ganze Härte
       der Strafverfolgungsbehörden zu spüren.
       
       Besonders eindrucksvoll, fast schon absurd hat diesen Eindruck [1][ein
       Prozess] bestätigt, der am Dienstag vor einem Berliner Amtsgericht gegen
       Auflagen eingestellt wurde. 1.200 Euro oder 120 Sozialstunden sollte der
       Angeklagte S. am Ende einer Einigung leisten.
       
       Eine Summe, die lächerlich ist angesichts des Ermittlungsaufwands, den
       Polizei und Staatsanwaltschaft für dieses Strafverfahren trieben: Der
       Angeklagte sollte in verschiedenen Städten ein paar Werbeplakate entfernt
       haben und Kästen der Firma Wall mit eigenen Postern mit
       satirisch-politischen Botschaften – sogenanntes Adbusting – bestückt haben.
       Darauf zu lesen: „Nazis essen heimlich Falafel“, „Mimimimi Free Boehmi
       Satire darf alles humorlose Kackbratze“ und „Der Fuchs ist schlau und
       stellt sich dumm. Der Nazi macht es andersrum“. Er habe dabei, so die
       Anklage, auch Werbeplakate entwendet. Schwerer Diebstahl sei dies
       angesichts der Tatsache, dass diese mit Werkzeug aus Vitrinen entfernt
       worden seien.
       
       Nun, tatsächlich sind diese Plakate laut Verteidigung 5 Euro wert. Und die
       Ermittler gingen wohl von 30 Euro aus. Schweren Diebstahl stellt man sich
       jedenfalls irgendwie anders vor. Egal, wie teuer ein Plakat nun war: In
       beiden Fällen bleibt es geradezu lächerlich, wie viel Aufwand zur
       Aufklärung der mutmaßlichen Taten betrieben wurde.
       
       ## 120 Sozialstunden und 700 Euro Anwaltskosten bleiben
       
       Die Polizei Hamburg und Berlin arbeiteten nämlich gemeinsam an dem Fall,
       weil der vermeintliche Adbuster S. bereits im Zusammenhang mit dem
       [2][G20-Protesten] in Erscheinung getreten war. Damals habe er ein
       H&M-Plakat mit kritischen Anmerkungen zu deren Arbeitsbedingungen beklebt,
       wie sein Anwalt Fadi El-Ghazi der taz sagte. Ein Verleumdungsverfahren
       durch H&M wurde damals allerdings eingestellt, weil es sich bei den
       kritischen Anmerkungen wohl doch um Tatsachenbehauptungen handelte, wie ein
       150-seitiges (!) Gutachten der Staatsanwaltschaft Hamburg glauben machte.
       
       Nach dem Verfahren war die Polizei jedoch auf S. aufmerksam geworden. Ob
       eine mehrköpfige Soko gebildet wurde, blieb unklar. Jedenfalls arbeiteten
       offenbar mehrere Polizisten aus verschiedenen Städten an dem Fall. Der
       Prozess zeigte, dass Ermittler*innen Fingerabdrücke von einem Plakat in
       Erfurt abglichen, zahlreiche Adbusting-Videos auswerteten und
       Mitarbeiter*innen der Firma Wall befragten. Sogar eine Hausdurchsuchung bei
       S. folgte, bei der unter anderem Plakate und Werkzeug gefunden wurden.
       Nochmal: Das alles, weil jemand ein Werbeplakat überklebt hat.
       
       Und ob das gereicht hätte, um den Prozess zu gewinnen, ist dabei noch
       ungewiss. Am Ende wollte S. weiteren Stress vermeiden und willigte in eine
       Einstellung gegen Auflagen ein. Die Kosten für das Verfahren trägt in
       diesem Fall die Staatskasse. Lediglich seinen Anwalt muss S. bezahlen.
       Unterm Strich bleiben 120 Sozialstunden und 700 Euro.
       
       12 Oct 2019
       
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   DIR Gareth Joswig
       
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