URI: 
       # taz.de -- Friedensnobelpreis für Abiy Ahmed: Ein großes Land ist stolz
       
       > Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed bekommt den Friedensnobelpreis. Es
       > ist auch ein Preis für die Hoffnung auf ein neues Afrika.
       
   IMG Bild: Gewürdigt wurde die Hoffnung, nicht nur der Erfolg
       
       Wenige Tage bevor Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed am Freitag den
       Friedensnobelpreis 2019 zugesprochen bekam, veröffentlichte die humanitäre
       Koordinationsstelle der Vereinten Nationen ihren jüngsten
       Äthiopienbericht. Hauptthema: [1][die mehrjährige Dürre], unterbrochen
       durch Starkregen und Überschwemmungen, in der Kombination katastrophal für
       Äthiopiens Bauernbevölkerung am Rande des Existenzminimums.
       
       Aus dem Dorf Berebeyu, tief im zerklüfteten Hochland der
       zentraläthiopischen Amhara-Region, wo mit jeder Flut neues Geröll von den
       Steilhängen die vertrockneten Felder übersät, wurde berichtet, fast jede
       Familie schicke inzwischen jemanden nach Saudi-Arabien, um zu überleben.
       „Das Ausmaß der Migration ist so groß, wie ich es noch nie gesehen habe“,
       zitiert der UN-Bericht einen Bauern. „Die Leute gehen alle weg, ohne zu
       wissen, wann sie wiederkommen.“
       
       Das ist der Hintergrund, vor dem die Auszeichnung für Abiy erst das wahre
       Ausmaß der [2][vom Nobelpreiskomitee gewürdigten Anstrengung] erkennen
       lässt. Die Begründung betont vor allem Abiys Friedensschluss mit Eritrea,
       von dem sich das Nobelpreiskomitee „positive Veränderung für die gesamten
       Bevölkerungen von Äthiopien und Eritrea“ erhofft.
       
       Gewürdigt wird auch Abiys Vermittlerrolle im Sudan, dank der der Sturz der
       dortigen Militärdiktatur durch einen Volksaufstand in geordnete Bahnen
       gelenkt werden konnte. Und schließlich lobt das Nobelpreiskomitee in
       Äthiopien selbst „wichtige Reformen, die vielen Bürgern Hoffnung auf ein
       besseres Leben und eine lichtere Zukunft geben“ und „ein friedliches,
       stabiles und erfolgreiches Äthiopien“ möglich erscheinen lassen.
       
       Abiy war erst 41, als er am 15. April 2018 Premierminister der
       Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien wurde. Er übernahm damals ein Land
       am Abgrund, erschüttert von Aufständen und Revolten, mit einer
       militarisierten und von Jasagern dominierten politischen Klasse. Die
       Gefängnisse waren voll, die Staatskassen leer.
       
       Ringsum – Somalia, Südsudan, Eritrea – waren die Zustände noch schlimmer
       als in Äthiopien, das zwar seit Jahrzehnten zu den Spitzenreitern des
       Wirtschaftswachstums gehört, mit oft zweistelligen Zuwachsraten, dessen
       bitterarme Bevölkerung aber zugleich von 30 Millionen im Jahr 1980 auf rund
       110 Millionen Menschen knapp vier Jahrzehnte später anschwoll.
       
       ## Alles im Rekordtempo
       
       Abiys Generation ist die der Kinder des Elends, groß geworden während der
       verheerenden Hungersnot von 1984 bis 1985, die Äthiopien jahrelang zum
       Inbegriff des Hungers machte. Aufgewachsen ist diese Generation im
       autokratischen System der Bürgerkriegssieger von 1991, die das mörderische
       Militärregime des kommunistischen Diktators Mengistu Haile Mariam
       hinwegfegten – nur um ein eigenes zu errichten, das zwar weniger brutal und
       politisch aufgeschlossener regierte, in dem die Masse der Bevölkerung auf
       dem Land aber weiterhin keinerlei Freiheit genoss.
       
       Und wo die Macht aus den Gewehrläufen kam. Es ist eine Generation, die sich
       nun nicht mehr zufriedengibt mit den alten Verhältnissen.
       
       Gemessen daran, wo Äthiopien im April 2018 stand, hat Abiy seither Wunder
       vollbracht. Er hat den Ausnahmezustand aufgehoben, Zehntausende
       Regimegegner aus der Haft entlassen, das große Foltergefängnis der
       Hauptstadt in ein Museum verwandelt, hat verfolgte Exilanten wieder in der
       Heimat willkommen geheißen, sein Land mit dem Erzfeind Eritrea versöhnt,
       wichtige erste Schritte zur Beilegung der zahlreichen inneren Konflikte des
       Vielvölkerstaates Äthiopien unternommen, Frauen auf wichtige Posten
       befördert und insgesamt politische und wirtschaftliche Liberalisierung auf
       die Tagesordnung gesetzt. Alles im Rekordtempo.
       
       Abiy steht für ein junges Afrika, das endlich einen lebenswerten Kontinent
       schaffen will – und zwar so schnell wie möglich, denn viel Zeit haben die
       Menschen nicht. Gewürdigt wird mit dem Äthiopier das Streben einer ganzen
       afrikanischen Generation. Das hat auch Abiy selbst erkannt, der in seiner
       ersten Reaktion von einem „Preis für Afrika“ sprach: „Ich meine, dass die
       anderen afrikanischen Führer jetzt auch denken werden, dass es möglich ist,
       Frieden auf unserem Kontinent zu schaffen.“
       
       Zu einer Würdigung Abiys gehört allerdings auch, dass er wie viele
       Reformer, die am Ende scheitern, in einem tragischen Dilemma steckt: Er
       entstammt selbst dem System, das er überwinden muss.
       
       Von freien Wahlen und Pluralismus weit entfernt 
       
       Noch als Kind schloss er sich der Guerilla an, die 1991 das Mengistu-Regime
       stürzte. Er wurde danach in den Militärgeheimdienst eingegliedert, für den
       er auch während des Krieges gegen Eritrea (1998–2000) arbeitete, und hatte
       von 2008 bis 2010 die Inerimsleitung des Inlandsgeheimdienstes inne.
       
       Dann ging er in die Politik, zog ins Parlament ein, wurde schließlich
       Wissenschaftsminister von Äthiopien. Dann wurde er Vizepremier seiner
       Heimatregion Oromo, als dort bereits Revolten gegen die Zentralmacht
       tobten. Seinen Posten als Regierungschef, das mächtigste Amt des Landes,
       verdankt er den alten Generälen, die angesichts zunehmender Unruhe in der
       Oromo-Region in ihm ihre Rettung sahen.
       
       Äthiopiens Reform- und Friedenspolitik ist also nicht unumkehrbar. Sie ist
       zu eng mit der Person Abiy und seinem Charisma verknüpft, zu wenig in den
       Institutionen verankert. Der Friedensnobelpreis fördert diese
       Personalisierung weiter – das ist bedenklich. Er stärkt Abiy allerdings
       zugleich gegenüber den Beharrungskräften in seinem Land – das ist zu
       begrüßen.
       
       Die Probleme, vor denen Abiy steht, werden nun eher größer als kleiner. Für
       2020 sind Wahlen angesetzt – von wahrhaft freien Wahlen und Pluralismus ist
       Äthiopien aber noch weit entfernt. Die Zahl der Binnenflüchtlinge steigt
       wegen lokaler Machtkämpfe nach UN-Angaben schneller als irgendwo sonst.
       Eine gefährliche Ethnisierung der Politik ist im Zuge der allmählichen
       politischen Öffnung nicht zu übersehen. Dazu kommt das Schwinden der
       Lebensgrundlagen der Armen in einem Land, das wie kaum ein anderes an der
       Frontlinie des globalen Klimawandels steht.
       
       Das Nobelpreiskomitee [3][knüpft mit Abiy Ahmed an Barack Obama an]:
       Gewürdigt wird die Erwartung und nicht nur die Leistung, die Hoffnung,
       nicht nur der Erfolg. Aber zunächst ist das zweitrangig. Äthiopien, das
       einzige afrikanische Land, das sich erfolgreich der kolonialen
       europäischen Eroberung widersetzte, ist auch die letzte der
       mehrtausendjährigen alten Weltzivilisationen, die noch nie mit einem
       Nobelpreis geehrt worden waren. Ein großes Land und mit ihm ein ganzer
       Kontinent wird jetzt stolz sein.
       
       11 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /In-Aethiopien-droht-eine-Hungersnot/!5314599
   DIR [2] /Abiy-Ahmed-bekommt-Friedensnobelpreis/!5632730
   DIR [3] /Friedensnobelpreis-geht-an-Barack-Obama/!5154700
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
   DIR Äthiopien
   DIR Friedensnobelpreis
   DIR Abiy Ahmed
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Äthiopien
   DIR Äthiopien
   DIR Ökonomie
   DIR Abiy Ahmed
   DIR Friedensnobelpreis
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Klimabedingte Wetterextreme: Horn von Afrika versinkt im Regen
       
       Somalia und Südsudan leiden unter starken Überschwemmungen. Als Ursache
       gilt die Erwärmung des Indischen Ozeans vor Ostafrika.
       
   DIR Gewalt in Äthiopien: Mehr als 60 Tote bei Protesten
       
       Seit Tagen gibt es in Äthiopien Proteste. Zuvor hatte Aktivist Jawar
       Mohammed staatliche Sicherheitskräfte beschuldigt, einen Anschlag auf ihn
       zu planen.
       
   DIR Unruhen in Äthiopien: Protest gegen Abiy Ahmed
       
       Kaum bekommt Äthiopiens Regierungschef den Nobelpreis, erregt seine Politik
       Protest in der Heimat. 12 Menschen starben bei Unruhen.
       
   DIR Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften: Drei Armutsforscher ausgezeichnet
       
       Erst zum zweiten Mal wird eine Frau mit dem Wirtschaftsnobelpreis
       ausgezeichnet. Esther Duflo teilt ihn sich mit zwei Kollegen.
       
   DIR Abiy Ahmed bekommt Friedensnobelpreis: Anerkennung zur richtigen Zeit
       
       Die Auszeichnung für den äthiopischen Premier Abiy Ahmed würdigt den
       ehrgeizigsten Reformer Afrikas – und die gesamte junge Generation des
       Kontinents.
       
   DIR Friedensnobelpreis 2019: Auszeichnung für Äthiopiens Premier
       
       Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed versucht den Grenzkonflikt mit
       Nachbarland Eritrea zu entschärfen. Dafür bekommt er nun den Nobelpreis.