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       # taz.de -- Westafrikanische Küche: Auf der Suche nach dem Reis
       
       > Essen ist Heimat. Als unsere gambische Autorin nach Deutschland kommt,
       > merkt sie, was ihr fehlt. Ihre Suche führt sie in den Görlitzer Park.
       
   IMG Bild: Es gibt Reis, Baby: Im Restaurant „Senegambia“ versammeln sich nicht nur afrikanische Kreuzberger
       
       Berlin taz | Meinen ersten Reis aß ich im Alter von zwei Jahren. In vielen
       Volksgruppen [1][meines Heimatlandes Gambia] gilt Reis als das beste
       Lebensmittel für kleine Kinder – und auch ich bin mit zwei Portionen am Tag
       aufgewachsen, damit ich schnell wachse und gesund, groß und stark werde.
       
       Ja, Gambia ist ein Reisland. Ob zum Frühstück, zum Mittag- oder Abendessen,
       alle unsere Haupt- und Lieblingsspeisen werden mit Reis serviert:
       Superkanja (Okraschotensuppe), Yassa (ein scharfes Zwiebelgericht), Domoda
       (mit Erdnusssauce), und, und, und. Dazu gibt es Fleisch, Fisch, Hühnchen
       oder Meeresfrüchte: gambisches Essen ist scharf, sauer und reich an
       Geschmack. Leider musste ich meine Ernährung komplett umstellen, als ich
       2015 nach Deutschland kam.
       
       Klar, auch hier gibt es Reis, man kann ihn im Supermarkt kaufen. Doch kann
       ich ihn nicht auf die mir gewohnte Weise zubereiten. Mir fehlen die
       richtigen Zutaten, vor allem die ersten Jahre war es schwierig: Ich lebte
       im Dreiländereck Frankreich/Deutschland/Schweiz und die afrikanischen Läden
       in Lörrach und Freiburg hatten so gut wie keine der Zutaten, die ich
       brauchte. Keine Hibiskusblätter, keinen getrockneten Fisch, kein
       Maisporridge und auch nicht die Sorte „Maggiwürfel“, die in keinem
       westafrikanischen Essen fehlen darf.
       
       Ich musste meinen heißgeliebten Reis also durch deutsches Essen ersetzen.
       Doch die Deutschen ernähren sich anders. Sie essen mehr Obst und Gemüse als
       tierische Produkte, gefühlt ist fast jeder hier ein Vegetarier. Es dauerte
       eine Weile, bis ich den Dreh raus hatte, mir deutsche Sachen zu kochen. Oft
       gab es dann Kartoffeln, Salat, Spaghetti, Obst oder Gemüsesuppen. Mein
       deutsches Lieblingsessen ist Kartoffelsalat: Er ist leicht zuzubereiten und
       echt lecker!
       
       ## Klein-Gambia in Berlin
       
       Mit meinem Umzug nach Berlin im Frühjahr wurde alles anders. Besser! Ein
       ehemaliger Lehrer, der jetzt in Italien lebt, schrieb mir im Facebook-Chat,
       ich sollte nach dem „Senegambia“ suchen – dem einzigen Restaurant in Berlin
       für Menschen aus Gambia und unserem Nachbarland Senegal, mit dem wir große
       Teile unserer Kultur teilen. Und ein Freund aus Hamburg schlug mir vor, es
       auch mal im Görlitzer Park zu probieren, wo viele Gambier ihre Zeit
       verbringen (womit sie das tun, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst).
       
       Einige Tage später gehe ich ins „Senegambia“, in Kreuzberg, nicht weit vom
       Kottbusser Tor. Es ist ein bewölkter und ziemlich windiger
       Frühlingsnachmittag, ein paar Regentropfen fallen vom Himmel und der nur
       rund 30 Quadratmeter große Raum ist voller Menschen. Direkt über dem
       Eingang hängt eine große Speisekarte mit vielen Fotos. Alle meine
       Lieblingsgerichte gibt es hier! Ich bin so aufgeregt, dass es mich einige
       Zeit kostet, mich zu entscheiden, und bestelle schließlich Benachin:
       gebratenen Reis mit Rindfleisch, Maniok, Kohl, Hibiskusblättern und einigem
       mehr.
       
       Das „Senegambia“ ist mehr als ein Restaurant, es ist ein Treffpunkt für die
       senegambische Community Berlins, und während ich auf mein Essen warte,
       komme ich mit einigen Gästen ins Gespräch. Nina, eine Deutsche, ist mit
       zwei Freundinnen und ihrem fünfjährigen Sohn gekommen. „Ich weiß gar nicht,
       ob ich überhaupt noch eine Deutsche bin“, sagt sie. „Kulturell fühle ich
       mich mehr als Gambierin.“
       
       Nina ist mit einem Gambier verheiratet und hat gelernt, mehrere gambische
       Gerichte zu kochen. „Mein Sohn liebt Domoda. Aber hier schmeckt es noch
       besser“, erzählt sie und lächelt. Während wir reden, ist mein Benachin
       gekommen. Es schmeckt nach Heimat!
       
       ## Essen im Görlitzer Park
       
       An einem anderen Tisch sitzt eine Gruppe Männer aus Gambia, dem Senegal und
       Nigeria. Sie hätten nie kochen gelernt, gestehen zwei von ihnen.
       Tatsächlich sind in den meisten Familien in Gambia Männer von allen
       Küchen-, Haushalts- und Erziehungsarbeiten „befreit“. Speziell bei
       traditionellen Völkern wie den Mandinka – zu dem ich gehöre – ist es
       infolge von sogenannten traditionellen Glaubenssätzen und einer
       missverstandenen Auslegung des Islams ein komplettes Tabu, dass sich Männer
       in den Verantwortungsbereich der Frauen einmischen.
       
       Viele Männer werden dadurch ziemlich bequem. Fern der Heimat müssen sie
       dann viel Geld für Essen in Restaurants ausgeben oder starten frustrierende
       Versuche, ihre eigenen Gerichte zu kochen, wobei sie sich währenddessen von
       ihren Familien am Telefon jeden Schritt erklären lassen.
       
       Gleich am nächsten Tag besuche ich den Görlitzer Park. Ein unwirtlicher und
       etwas bedrohlicher Ort, so mein erster Eindruck, denn der Eingangsbereich
       ist voller Polizeiautos und -hunde. Vielleicht gab es gerade eine Razzia
       gegen die Drogendealer hier.
       
       Als ich durch den Park laufe, höre ich mehrere afrikanische Dialekte,
       darunter auch Stimmen, die exakt wie meine Muttersprache klingen. Sie
       führen mich zu einem großen, hageren Mann mit einem Fahrrad samt Anhänger,
       auf dem mehrere Töpfe mit Essen stehen: diverse senegambische Gerichte,
       aber auch welche für die deutschen Gäste, zum Beispiel Schawarma. Der Mann,
       den alle hier Baifall nennen, ist umringt von einer Gruppe Schwarzer
       Männer.
       
       ## Lieber Reis als Drogen
       
       „Reis erinnert mich daran, wo ich herkomme“, sagt Fallou aus dem Senegal.
       Er verbringt den größten Teil seiner Freizeit nach der Sprachschule im
       Görlitzer Park. Und Ousman, ein Guineer, ist nicht nur zum Essen gekommen,
       sondern auch um Leute zu treffen, „zu Hause fühle ich mich oft einsam oder
       langweile mich“.
       
       Die meisten seiner Kunden aber seien aus Gambia, sagt Baifall, der selbst
       Senegalese ist. Ich begleite ihn ein wenig durch den Park. Heute ist er der
       einzige Verkäufer hier, aber es gäbe noch andere, erzählt er: Mariam
       beispielsweise, eine Gambierin, die ihr Essen aus einem Kinderwagen
       verkaufe.
       
       Baifall denkt daran zurück, wie es begann. Vor einigen Jahren lebte er in
       einer Asylunterkunft in Kreuzberg, war arbeitslos, hatte keine Perspektive.
       Er sah, dass viele der jungen afrikanischen Männer ihre Tage mit Dealen und
       Rumhängen im Görlitzer Park verbrachten, auch, weil sie nicht arbeiten
       dürfen. „Ich wollte lieber Reis verkaufen als Drogen“, sagt Baifall und
       wurde mit seinem Verkaufsstand zum Pionier. Er hat nun eine
       Aufenthaltserlaubnis.
       
       An einem normalen Tag läuft Baifall einmal kreuz und quer durch den Park,
       denn seine Töpfe sollen leer sein, wenn er abends wieder nach Hause geht.
       Wenn er nicht alles verkauft, verschenkt er die Reste an obdachlose
       Menschen, die in und um den Görlitzer Park leben.
       
       Mittlerweile habe ich mich in Berlin eingelebt. Ich kenne nun mehrere Läden
       für westafrikanische Zutaten. Auch ins Senegambia und zu Baifall gehe ich
       immer mal wieder. Ich habe mich aber auch an das deutsche Essen gewöhnt.
       Salat esse ich inzwischen jeden Tag.
       
       Die Namen der Interviewten wurden wegen deren teils unsicheren
       Aufenthaltsgenehmigungen geändert. 
       
       Übersetzung aus dem Englischen: Michael Brake
       
       12 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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