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       # taz.de -- Vor der Frankfurter Buchmesse: Wenn Ohren lesen
       
       > Die „FAZ“ macht es, Lübbe tut es und Hanser ist auch dabei:
       > Bücher-Podcasts sind das neueste Medium, um zum Gedruckten hinzuführen.
       
   IMG Bild: Hörbücher gibt's schon lange. Jetzt kommen Podcasts über Literatur
       
       Berlin/Frankfurt taz | Hell leuchtet „Achtung Aufnahme“ über der Tür.
       Jahrelang wurde das kleine Studio in der Hellerhofstraße 9 in Frankfurt
       kaum genutzt, dank dem Podcast-Boom herrscht inzwischen wieder reger
       Betrieb: Hier werden die hauseigenen Podcasts der Frankfurter Allgemeinen
       Zeitung (FAZ) produziert. Neuester Zuwachs ist seit September die schlicht
       als „Bücher-Podcast“ titulierte Reihe der Redakteur*innen Andrea Diener und
       Fridtjof Küchemann. Beide sitzen, bewaffnet mit jeder Menge Notizen, in dem
       mit weißen Holzpaneelen ausgekleideten Studio im ersten Stock des Gebäudes.
       Zu zweit haben sie genügend Platz, sind sie zu dritt, weil ein*e weitere*r
       Kolleg*in zum Gespräch geladen ist, wird es kuschelig.
       
       2019, das steht außer Frage, ist in der Buchbranche das Jahr der Podcasts.
       Hanser, DuMont, Penguin, Lübbe und Carlsen sind nur einige der Verlage, die
       wie auch diverse Buchhandlungen und Privatpersonen im Frühjahr mit Podcasts
       loslegten. Jetzt zieht mit der FAZ erstmals eine Zeitung nach.
       
       Doch was genau steckt hinter dieser großen Podcast-Welle? Sebastian Klöß,
       zuständig für das Thema Consumer Technology beim Bundesverband
       Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom),
       erläutert: „Das ist nach der Blüte um 2000 herum, als die ersten Podcasts
       entstanden, mindestens die zweite Welle. Während 2016, bei unserer
       erstmalig durchgeführten Umfrage zu Podcasts, nur 14 Prozent angaben,
       Podcasts zu hören, ist es jetzt schon jeder Vierte.“ Eindeutig ist eine
       Zunahme zu erkennen. „Das liegt vor allem daran, dass man mit dem
       Smartphone einen perfekten Player immer dabeihat“, so Klöß. „Es gibt also
       einerseits die Technik, die andererseits auch in den mobilen Lebensstil
       passt. Und so hört die Hälfte der regelmäßigen Hörer Podcasts in der Tat
       unterwegs, sei es auf Reisen oder beim täglichen Pendeln.“
       
       Zurück ins Studio der FAZ. Bei der Zeitung spielte man schon länger mit dem
       Gedanken, einen Bücher-Podcast aufzubauen, wie Andrea Diener verrät. Privat
       betreibt die Redakteurin bereits seit April 2015 ihren Tsundoku-Podcast,
       benannt nach dem japanischen Begriff fürs Büchersammeln, außerdem hat sie
       mit Moderator Holger Klein zusammen einen Reise-Podcast – genug Erfahrung
       brachte sie also mit. „Rückblickend weiß ich gar nicht mehr genau, wie die
       Aufbruchstimmung zustande kam“, sagt Diener. „Das war eher ein Fall von:
       Wer hat Lust?, ganz ohne Zwang. Es gab ein paar Wahnsinnige, die sich dafür
       begeisterten, und auch die Infrastruktur war da.“ Nicht nur wegen der
       Tonstudios im Haus, die FAZ hat inzwischen auch eine Podcast-Stelle
       geschaffen, damit sich zukünftig eine technisch versierte Person um
       Aufnahme und Schnitt kümmern kann.
       
       ## Hochkulturellen Dinge mit Spaß angehen
       
       Gemeinsam mit ihrem Kollegen aus dem Online-Feuilleton, Fridtjof Küchemann,
       arbeitete Diener am Format – „wir haben zum Beispiel einen Dummy des
       Podcasts aufgenommen und ihn intern herumgeschickt“ –, bis sich alle
       Elemente des „Bücher-Podcasts“, wie er schlussendlich online ging,
       entwickelt hatten: Gespräche mit anderen Redakteur*innen, drei Fragen an
       eine*n Autor*in – in der ersten Folge ist das Christiane Neudecker –, das
       Literaturrätsel von Tilman Spreckelsen und die „Zwangsbeglückung“ mit einem
       Bestseller-Buch. Dabei wird ein*e FAZ-Redakteur*in mit einem Buch
       „beglückt“, das „draußen“ ein Phänomen ist, sprich: in Bestsellerlisten
       erscheint, vom Feuilleton aber stiefmütterlich behandelt wird. Wie etwa
       „Auszeit im Café am Rande der Welt“ von John Strelecky, das
       Feuilleton-Kollegin Melanie Mühl für die erste Folge gelesen hat und
       bespricht.
       
       Zu dieser Mischung kam es so, sagt Andrea Diener, „wie so etwas halt
       passiert: Menschen sitzen in einem Büro, trinken Tee, essen türkisches
       Lokum und überlegen.“ Einige Ideen wurden dabei aus früheren Formaten
       recycelt, wie etwa die Fragen an Autor*innen, was ursprünglich in Videos
       während der Buchmesse geschah. Auch über Bestsellerbücher zu sprechen war
       schon länger ein Wunsch von Teilen der Redaktion. „Diese Art des Zugangs zu
       eigentlich hochkulturellen Dingen ist schön und hat dazu geführt, dass wir
       lange gespielt und Blödsinn getrieben haben.“ Dieners Wunsch ist, diese
       unverkrampfte Art im Podcast zu transportieren. „Wir müssen uns erst mal
       eingrooven, wir haben ja noch nie zusammen gepodcastet. Am Anfang ist das
       natürlich ein bisschen ordentlich, aber wir werden uns noch lockern.“
       
       Beim Hanser Verlag ist man da bereits einen Schritt weiter. Seit im April
       „Hanser Rauschen“ startete, ging alle zwei Wochen eine neue Folge online,
       14 an der Zahl sind es inzwischen. Anders als bei den meisten
       Verlagspodcasts liegt der Fokus dabei nicht ausschließlich auf eigenen
       Autor*innen und Büchern, der Anspruch ist vielmehr, auch mit Akteur*innen
       der Branche zu sprechen. „Der Podcast soll eine relevante Plattform sein,
       die für Diskussionen sorgt und spannende Impulse bringt und ist deswegen
       losgelöst von einzelnen Titeln“, sagt Online-Managerin Frauke Vollmer, die
       gemeinsam mit Lektor Florian Kessler den Podcast initiierte. Deswegen gab
       es neben Gesprächen wie mit T. C. Boyle, Karen Köhler oder Ocean Vuong auch
       eine Folge mit dem Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, der Anfang des
       Jahres ein Buch bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlichte, und eine weitere
       mit den Begründer*innen von ULF, dem Unabhängige Lesereihen Festival.
       
       Nach einem halben Jahr „Hanser Rauschen“ ist es Zeit für ein erstes Fazit.
       Zahlen wollen Vollmer und Kessler keine nennen, sie seien aber „stabil mit
       Wachstum“. Auf jeden Fall stabil genug, um planen zu können: 2020 wird es
       mit „Hanser Rauschen“ definitiv weitergehen. „Der Inhalt ist langfristig
       gedacht, er veraltet ja nicht“, sagt Frauke Vollmer. „Wir bekommen auch
       Feedback zu Folgen, die seit acht Wochen online sind.“
       
       Dass mehrere Verlage gleichzeitig Podcasts starteten, sieht man bei Hanser
       gelassen. „Natürlich haben wir am Anfang eine gewisse Marktanalyse
       gemacht“, sagt Florian Kessler, „und waren erleichtert, dass die Podcasts
       so unterschiedlich sind. DuMont und Random House etwa beschreiten ganz
       andere Wege, was super und interessant für Leute außerhalb der Buchbranche
       ist, die hinter die Kulissen blicken wollen oder Buchempfehlungen
       wünschen.“ Vollmer ergänzt: „So hat jeder Verlag eine eigene Spielwiese.“
       
       ## KiWi probiert's mit einer Musikbibliothek
       
       Eine eigene Spielwiese hat auch KiWi: Pünktlich zum Start der neuen Reihe
       „Musikbibliothek“ launchte der Verlag vergangene Woche den dazugehörigen
       Podcast. „Die Idee hinter der Musikbibliothek ist: Autorinnen, Autoren und
       andere Künstlerinnen und Künstler, die gut erzählen können, verfassen
       leidenschaftliche literarische Liebeserklärungen an Bands“, erläutert
       Verlegerin Kerstin Gleba. Den Auftakt bilden Anja Rützel, die über Take
       That schreibt, Sophie Passmann über Frank Ocean, Thees Uhlmann über Die
       Toten Hosen und Tino Hanekamp über Nick Cave. „Bei Spotify haben wir
       Playlists zu den einzelnen Büchern erstellt, aber um die Reihe
       bekanntzumachen, halten wir den Podcast für eine gute Idee“, sagt Gleba.
       „Wir müssen uns als Verlag überlegen: Wie machen wir auf unsere Bücher
       aufmerksam? Wir wollen mit dem Podcast nicht nur KiWi-Leserinnen und -Leser
       ansprechen, sondern über die bekannten Musiker und Bands auch von anderen
       Aufmerksamkeit bekommen.“
       
       In den fünf Folgen des Musikbibliothek-Podcasts spricht Moderatorin Sabine
       Heinrich, „ein großer Musikfan“, wie die Verlegerin betont, mit den vier
       Autor*innen und Kerstin Gleba selbst. „Sie hat uns zu unserer Beziehung zu
       Musik allgemein, zu den Bands und zur Verbindung mit anderen Kunstformen
       befragt, und nach Anekdoten. Der Podcast ist keine direkte Werbung, sondern
       ein charmantes Mittel, den Büchern auf kluge Weise eine weitere Ebene zu
       geben.“
       
       Bei aller Experimentierfreude und Lust daran, über Bücher zu sprechen, gibt
       es bei der FAZ ebenfalls marketingrelevante Gründe, den „Bücher-Podcast“
       zu machen. „Wir wollen auf möglichst vielen Plattformen präsent sein“, sagt
       Andrea Diener. „Das Zielpublikum ist online anders als für die
       Print-Zeitung. Wir erwischen damit hoffentlich eine Mischung aus Leuten,
       die nicht nur über die FAZ-Homepage kommen, sondern im Podcatcher (eine
       Software zum Abonnieren und Downloaden von Podcasts, Anm. d. Red.)
       Schlagwörter wie ‚Bücher‘ oder ‚lesen‘ eingeben.“
       
       ## Neues Zielpublikum erreichen
       
       Podcasts eröffnen Verlagen und Redaktionen also nicht nur neue
       Möglichkeiten des Ausdrucks und der Kommunikation, sie führen im besten
       Fall auch dazu, ein neues Zielpublikum zu erreichen. Über eine Sache
       herrscht aber nach wie vor Unklarheit: Was diese Menschen für eine
       Podcast-Länge wünschen. „Das ist ein Problem“, sagt Frauke Vollmer von den
       Hanser Literaturverlagen. „Es gibt Menschen, die sagen, sie hören gerne
       anderthalb Stunden zu, während das anderen zu lang ist. Es ist ein schmaler
       Grat, die richtige Form zu finden.“ Florian Kessler ergänzt: „Unsere Idee
       ist nach wie vor, einen Küchengesprächscharakter zu haben, bei dem die
       Leute sich in ein Thema vertiefen und wir so wenig wie möglich schneiden.“
       
       Etwa eine dreiviertel Stunde sind die Folgen des Hanser-Podcasts lang,
       genau wie bei der FAZ, während KiWi bei den Gesprächen der Autor*innen mit
       Sabine Heinrich eine Länge von 25 bis 30 Minuten hat. Eine Umfrage von
       Bitkom kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis, wie Sebastian Klöß
       festhält. „Das war für uns sehr überraschend: Die Hälfte sagt, dass sie nur
       rund 5 bis 10 Minuten zuhört, während ein Viertel 10 bis 15 Minuten hört
       und nur 7 Prozent die Dauer von mehr als einer Stunde schätzen.“ Der
       Durchschnittswert, so die Studie von Bitkom, liegt entsprechend bei einer
       Podcast-Länge von 13 Minuten. „Nur zwei von fünf Hörern hören Podcasts
       komplett“, ergänzt Klöß. „Das heißt, die wichtigen Informationen sollten an
       den Anfang gepackt werden beziehungsweise sollte da versucht werden, die
       Hörer zu fesseln.“
       
       ## Bei Klett-Cotta wartet man erst einmal ab
       
       Kein Zweifel: Podcasts haben den deutschen Markt erobert. Doch was wird die
       Zukunft bringen – startet jetzt jeder Verlag einen eigenen Podcast? Nicht
       unbedingt. Tom Kraushaar, verlegerischer Geschäftsführer von Klett-Cotta,
       beobachtet diese Entwicklung, allerdings ohne konkrete Pläne, einen
       Klett-Cotta-Podcast aufzubauen. „In unserem Geschäft gibt es ständig neue
       Sachen, von denen man am Anfang noch nicht weiß, ob sich der Aufwand
       lohnt“, sagt Kraushaar und erinnert an kurzlebige Phänomene wie Enhanced
       E-Books, also multimedial verstärkte Angebote. „In der Regel gucken wir uns
       das an. Wenn sich der Aufwand lohnt, können wir das auch machen –
       vielleicht sogar besser.
       
       So was läuft einem ja nicht weg. Und wer der Erste war, der mit Enhanced
       E-Books gescheitert ist, interessiert später ebenso wenig wie die Tatsache,
       dass Klett-Cotta der erste Verlag in Deutschland war, der Hörbücher
       produziert hat“, sagt er und fügt hinzu: „Also: Lieber gute Bücher machen
       und abwarten, bis man weiß, ob sich die Mühe lohnt. Als Verlag in diesen
       Dingen innovativ zu sein, ist aus meiner Sicht kein Selbstzweck.“
       
       Auch der Suhrkamp Verlag scheint den Markt genau im Blick zu haben und auf
       eigene Weise den Podcast-Trend zugleich aufzunehmen und zu umgehen: Am
       Mittwoch vergangene Woche startete „Suhrkamp espresso“, vielen
       Verlags-Podcasts vom Prinzip her nicht unähnlich – aber als Videoformat. Ab
       sofort stellen Suhrkamp-Lektor*innen wöchentlich „vier Bücher zu einem
       aktuellen gesellschaftlichen, literarischen oder politischen Thema vor“, so
       die Ankündigung. Geplant sind dabei nicht nur Suhrkamp- und Insel-Titel,
       sondern auch die anderer Verlage. Die FAZ unterdessen bleibt bei ihrem
       monatlichen Turnus. Eine Regel, die gleich im zweiten Monat durch die
       sprichwörtliche Ausnahme bestätigt wird: Anlässlich der drei
       Fachbesucher-Tage wird es zur Buchmesse drei Folgen des „Bücher-Podcasts“
       geben. „Ein ehrgeiziger Plan“, wie Andrea Diener das nennt.
       
       2019, das Jahr der Podcasts in der Buchbranche. Stellt sich dennoch die
       Frage: Ist das ein Hype, der wieder abflachen wird? Nein, so die
       Einschätzung von Bitkom-Experte Sebastian Klöß. „Ich denke, Podcasts werden
       als fester Teil des Streaming-Angebots neben Musik und neben Hörbüchern
       bleiben.“ Podcasts sind da, und sie denken nicht daran, die Bühne so
       schnell wieder zu räumen.
       
       15 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Isabella Caldart
       
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