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       # taz.de -- Journalismusforscherin zum Künasturteil: „Inbegriff von Menschenverachtung“
       
       > Die Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg über die Frage,
       > warum Beleidigungen wie die von Renate Künast vor allem Frauen betreffen.
       
   IMG Bild: Die Grünen-Politikerin Renate Künast im September im Bundestag
       
       taz: „ Drecksfotze“, „Sondermüll“ und „Knatter sie doch mal so richtig
       durch“: Die Richter hielten diese Beleidigungen von Renate Künast [1][für
       sachliche Kritik]. Was heißt das für die Art und Weise, wie wir als
       Gesellschaft miteinander umgehen? 
       
       Margreth Lünenborg: Diese Worte sind der Inbegriff von Menschenverachtung.
       Sie sind zutiefst frauenfeindlich, misogyn und sexistisch. Einen Menschen
       als „Sondermüll“ zu bezeichnen, ist nah an nationalsozialistischer Sprache.
       Das als Aussage in einem Sachzusammenhang zu begreifen, ist für mich nicht
       nachvollziehbar. Das Urteil ist ein Blankoschein, Frauen in der
       Öffentlichkeit brutal zu attackieren.
       
       Was an diesen Äußerungen ist spezifisch misogyn? 
       
       Auch Männer werden aggressiv attackiert, aber diese Art von Beleidigung ist
       massiv und primär an Frauen und ihre Körper adressiert. Geschlechtsteile
       negativ zu bewerten, Äußeres niederzumachen und Vergewaltigungen
       anzudrohen, das kommt bei Männern in dieser Form nicht vor. Es gibt Themen,
       auf die im Netz geradezu reflexhaft und aggressiv reagiert wird. Das gilt
       für Migration und Islam, das gilt immer auch für Geschlechterfragen und
       Feminismus. Auf die Wörter Gender oder Geschlecht folgen kalkulierbar
       Wellen von Empörung. Redaktionen wissen, dass sie bei Texten zu diesen
       Themen ihre Social Media Teams verstärken müssen.
       
       Warum bricht sich die Aggression gerade bei diesen Themen Bahn? 
       
       Hier werden sehr grundlegende Fragen von Identität verhandelt. Wir erleben
       in Deutschland und den westlichen Industriestaaten, dass sich unsere
       Gesellschaft nachhaltig verändert, dass vermeintliche Stabilität so nicht
       mehr existiert. Das gilt auch für Geschlechterhierarchien. Dass diese
       Hierarchien in Bewegung geraten sind, bringt Unsicherheit und Spannungen
       mit sich, die sich hier entladen. Gleichzeitig sehen wir, wie hermetisch
       traditionelle Geschlechterrollen sind: Hier zeigen sich mit aller Macht die
       beharrenden Kräfte, die an einem Backlash arbeiten. Dabei gibt es
       Allianzen, die eine massive Macht entwickeln: hier verschränken sich
       unterschiedliche Diskursakteure von rechtspopulistischen und
       maskulinistischen bis hin zu bestimmten Akteuren der Kirche, die mit sich
       egalisierenden Geschlechterverhältnissen massive Probleme haben. Auch die
       Äußerungen gegen Künast kamen ja aus einem rechtsautoritären Kontext.
       
       Haben solche Beleidigungen Auswirkungen auf die Präsenz von Frauen in der
       Politik und im öffentlichen Raum? 
       
       Die Aggression und Frauenfeindlichkeit, die wir im Netz erleben, entsteht
       nicht im Netz. Hier wird nur sichtbar, was gesellschaftlich vorhanden ist.
       Aber dass es so massiv sichtbar wird, hat Folgen. Zahlreiche Frauen, seien
       es Politikerinnen oder zivilgesellschaftlich Engagierte, erleben verbale
       Hassattacken. Das kann, wenn Adressen kursieren, auch objektiv bedrohlich
       sein. Es gehört ein immenses Maß an Stabilität und Gelassenheit dazu, sich
       dem auszusetzen. Jede Frau muss überlegen, ob sie das aushalten kann.
       
       Was ist die Folge? 
       
       Das sind Ausschlussmechanismen. Der öffentliche Diskurs wird an bestimmten
       Stellen geschlossen, Positionen werden nicht artikuliert. Die aggressive
       Stimme lässt andere verstummen.
       
       Künast will Beschwerde einlegen. Angenommen, die nächste Instanz bestätigt
       das Urteil – welche Konsequenzen hätte das? 
       
       Ich bin keine Juristin, aber das Urteil signalisiert, dass solche
       Beleidigungen zum öffentlich Sagbaren gehören. Das darf in einer Demokratie
       nicht toleriert werden. Aber ich halte den öffentlichen Diskurs, der in
       Folge des ersten Gerichtsbeschlusses entstanden ist, für sehr wichtig. Auch
       wenn das Gericht den Grundsatz „wehrt euch“ nicht honoriert hat, gab es
       eine lautstarke öffentliche Erschütterung, die darauf verweist, dass Frauen
       nicht aushalten müssen, was Renate Künast passiert ist.
       
       Was kann man dagegen tun? 
       
       Es gibt verschiedene Initiativen, die juristische Unterstützung bei Hass im
       Netz anbieten oder wie die Initiative #ichbinhier auch konkret
       intervenieren. Das schützt zwar die einzelne Frau nicht, beeinflusst aber
       den Diskurs. Wir können kommunikationswissenschaftlich nachweisen, dass
       sich Diskurse entspannen, sobald sich Menschen konstruktiv einklinken. Die
       Initiative etwa greift ein, wenn Debatten in Richtung Hate Speech abgleiten
       und versucht, sachbezogen zu moderieren. Auch Redaktionen können Grenzen
       aufzeigen, wenn sie Kommentare nicht nur löschen, sondern nachvollziehbar
       machen, wie eine Debatte konstruktiv geführt werden kann. Es geht darum,
       auf Hass nicht mit Aggression zu reagieren.
       
       26 Sep 2019
       
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