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       # taz.de -- Regierungsberater über Klimaschutz: „Wenn, dann richtig“
       
       > Der Regierungsberater Christian Calliess warnt vor Klima-Symbolpolitik.
       > Er plädiert für ein Klimagesetz und scharfe Kontrollen durch Gerichte.
       
   IMG Bild: Naturschutz ins Grundgesetz? Im Biosphärenreservat Rhön ist es auch jetzt schon schön
       
       taz: Herr Calliess, sogar der bayerische Ministerpräsident Markus Söder
       (CSU) will Klimaschutz ins Grundgesetz aufnehmen. Was würde das bewirken? 
       
       Christian Calliess: Der Klimaschutz ist an sich bereits im Rahmen des
       Staatsziels Umweltschutz im Artikel 20a des Grundgesetzes verankert. Man
       könnte und sollte ihn aber in der Verfassung stärken. Dafür müsste man die
       Norm verbindlicher fassen. Einfach nur einen zusätzlichen Satz aufzunehmen,
       der den Klimaschutz erwähnt, wäre Symbolpolitik. Klimaschutz bliebe ein
       Abwägungsbelang gegenüber anderen Interessen, wie es jetzt bereits ist.
       Daraus würden sich keine zusätzlichen Vorgaben für die Politik ergeben.
       
       Der Umweltschutz steht seit 1994 in Artikel 20a im Grundgesetz. Hat das
       eine bessere Umweltpolitik gebracht? 
       
       Zumindest ist der Umweltschutz in der Abwägung mit gegenläufigen Belangen,
       etwa wirtschaftlichen, Verkehrs- oder Landwirtschaftsinteressen, rechtlich
       gestärkt worden. Aber die Norm ist nicht individuell einklagbar. Vor allem
       aber hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Hinblick auf die
       Abwägung, anders als etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, ein
       besonders weites Ermessen eingeräumt.
       
       Das wäre auch beim Klima so? 
       
       Ja, es sei denn, die Norm wäre verbindlicher. Etwa indem man in die
       Verfassung schreibt, dass für die Umsetzung der Norm ein Klimaschutzgesetz
       von Bundestag und Bundesrat erlassen werden muss. Das wäre ein
       Maßstäbegesetz, das für die anderen Bereiche wie Verkehr und Landwirtschaft
       einen verbindlichen Maßstab vorgeben würde. Der Inhalt wäre vom Parlament
       festzulegen, aber alle Staatsorgane müssten sich an dieses
       Klimaschutzgesetz halten. So etwas hat das Bundesverfassungsgericht einmal
       für die Finanzverfassung gefordert.
       
       Was hieße das konkret? 
       
       Die Anforderungen aus dem Klimaschutzgesetz müssten bei allen Planungen und
       Aktionen des staatlichen Handelns berücksichtigt werden. Bund und Länder
       müssten dann auch geeignete organisatorische Vorkehrungen im Verlauf des
       Gesetzgebungsverfahrens treffen. Wenn eine Maßnahme gegen das Gesetz
       verstieße, könnten beispielsweise Klimaschutzbeauftragte in den staatlichen
       Institutionen ein aufschiebendes Veto einlegen. Die Gerichte könnten dann
       über diesen Prozess wachen.
       
       In einem neuen Gutachten des Sachverständigenrats SRU sagen Sie: Die
       juristische Stellung des Umweltschutzes in Deutschland ist eigentlich
       stärker als angenommen. Warum leben wir dann nicht im Öko-Paradies? 
       
       Umwelt- und Klimaschutz stehen in der Verfassung, aber es gib keine klaren
       Vorgaben für deren Umsetzung. Deshalb ist sie wenig verpflichtend. Sie
       läuft ins Leere, weil der politische Wille sich mit langfristigen Themen
       schwertut. Politiker agieren, immer die nächste Schlagzeile und Wahl im
       Blick, oftmals eher kurzfristig. Gäbe es in der Verfassung eine
       Verpflichtung für ein Klimaschutzgesetz, wäre das der Maßstab für das
       Verfassungsgericht. Es könnte überprüfen, ob die politischen Akteure sich
       an die Norm halten. Ein neuer Artikel 20a, Abs 2 könnte heißen: „Die
       Vorgaben des Klimaschutzgesetzes müssen bei der Festlegung und Umsetzung
       aller staatlichen Politiken und Maßnahmen berücksichtigt werden.“
       
       Wir haben Umweltschutz in der Verfassung und in juristisch unverbindlichen
       Strategien der Regierung. Aber das Parlament schafft keine Grundlage, um
       das zusammenzubringen? 
       
       Ja. Die Schwierigkeit ist, dass sich im politischen Prozess die Belange von
       Wirtschaft, Verkehr oder Landwirtschaft meist durchsetzen. Ein Beispiel
       dafür: 2015 wollte die Regierung einen „Klimaschutzbeitrag“ per Gesetz
       festschreiben. Weil absehbar war, dass wir das Klimaziel für 2020 reißen,
       hätten Kohlekraftwerke, vereinfacht formuliert, zusätzlich zahlen müssen.
       Die Initiative war sogar vom Bundeskabinett beschlossen, wurde dann aber
       nicht mehr im Parlament beschlossen. Diese Durchsetzungsschwäche wurde erst
       jetzt und mit Zahlung von Milliarden von Euro durch den „Kohlekompromiss“
       wieder aufgefangen.
       
       Liegt das Problem nicht im Bundestag, der hohe Ziele beschließt, sie aber
       nicht per Gesetz verpflichtend macht? 
       
       Nicht immer. So ist etwa bei der ambitionierten Nachhaltigkeitsstrategie
       des Bundes das Parlament in die Kontrolle kaum eingebunden. Es gibt zwar
       den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, aber der ist so
       schwach, dass er eine wirksame Umsetzung der Strategie nicht einfordern
       kann. Wir machen Vorschläge, wie man ihn stärken kann: Durch ein
       aufschiebendes Vetorecht gegen Maßnahmen und Gesetze, wenn er die
       Nachhaltigkeitsziele verletzt sieht.
       
       Könnte das Verfassungsgericht auf mehr Umweltschutzes drängen? 
       
       Das Grundgesetz hat durch das Verfassungsgericht eine hohe Verbindlichkeit
       und Durchsetzungskraft. Das gilt aber bei allgemein gehalten Staatszielen
       nur sehr begrenzt. Insoweit muss man das Gericht auch kritisieren: Es lässt
       der Regierung und dem Gesetzgeber einen viel zu weiten Spielraum. Es könnte
       viel strenger kontrollieren, tut es aber nicht. In der Begründung heißt es,
       das sei Sache des Parlaments, da mische man sich mit Blick auf die
       Gewaltenteilung nicht ein. Wenn man sieht, wie sich das Verfassungsgericht
       bei anderen Staatszielen wie dem Sozialstaatsprinzip einbringt, dann ist
       das nicht zwingend. Bei der Prüfung von Sozialhilfesätzen geht es ins
       Detail. Warum nicht beim Umweltschutz, wo es um das Überleben der
       Menschheit geht?
       
       Und? Warum nicht? 
       
       Gute Frage. Letztlich übt das Gericht ausgerechnet hier aus Gründen der
       Demokratietheorie eine starke politische Zurückhaltung. Deshalb müsste der
       verfassungsändernde Gesetzgeber dem Gericht einen klareren Auftrag
       erteilen. Es geht ja darum, zu verhindern, dass künftige Generationen nicht
       oder nur noch schlechter leben können. Deshalb brauchen wir in der
       Verfassung die Verpflichtung zu einem Klimaschutzgesetz, das zum Maßstab
       aller staatlichen Politik wird, und eine Pflicht, Klimaschutzbeauftragte
       einzurichten, die auf die Durchsetzung in Wirtschaft und Verkehr drängen
       
       Dafür müssten Sie mit einer Zweidrittelmehrheit die Verfassung ändern. Wie
       realistisch ist so eine Forderung? 
       
       Im Moment steht ja der Klimaschutz erfreulicherweise durch eine von Fridays
       for Future angestoßene breite gesellschaftliche Bewegung wieder einmal ganz
       oben auf der politischen Agenda. Fast alle Parteien wollen das aufgreifen.
       Die Menschen erwarten, dass die Politik liefert. Das ist eine
       Herausforderung für die Handlungsfähigkeit der Demokratie und die
       politische Glaubwürdigkeit. Wir sollten vermeiden, dass wieder
       Symbolpolitik gemacht wird. Wenn der Klimaschutz in die Verfassung kommt,
       dann richtig und mit einem klaren Handlungsauftrag. Sonst können wir uns
       das schenken.
       
       27 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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