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       # taz.de -- Arbeit in Serie: Der Sexarbeiter: „Kerle dürfen bei mir schwach sein“
       
       > Lucien Lafayette arbeitet als genderqueerer Sado-Maso-Sexworker in
       > Berlin. Eigentlich sollten ihn die Krankenkassen bezahlen, sagt er.
       
   IMG Bild: „Ich bin genau das was ein Leben voller Lust und Kink aus mir gemacht hat“, meint Lafayette
       
       ## Der Arbeitsplatz
       
       Dass sich in diesem Haus am Tempelhofer Damm ein Sado-Maso-Studio befindet,
       würde man nicht vermuten. Auf dem Klingelschild stehen Kanzleien und
       Arztpraxen, im Erdgeschoss wirbt eine Apotheke mit dem Slogan „Stoppt den
       Schmerz – nicht Sie“.
       
       Zehn große, aufeinander abgestimmt eingerichtete Räume hat das Studio im
       dritten Stock. Naturbelassenes Holz, Stahl, Leder. Einen Tagungsraum gibt
       es, ein Requisitenzimmer, Räume mit Seilzügen, gynäkologischen Stühlen und
       Duschen. In einem originalgetreuen medizinischen Behandlungszimmer können
       geschulte Sexarbeiter*innen auf Wunsch Spritzen und Skalpelle zum Einsatz
       bringen. Gerade ist eine Putzkraft dabei, die „Klinik“ sauber zu machen.
       
       Lucien Lafayette (das ist natürlich ein Künstlername) mag dieses gut
       ausgestattete und geführte Studio, in dem er sich für „Sessions“ einmietet.
       Mit Kund*innen trifft er sich aber auch zu Hause oder im Hotel. „Ich bin
       überall zu haben, wo man mich haben will. Selbstverständlich nicht auf
       einer Parkplatztoilette oder so“, erzählt er in der Teeküche des
       SM-Studios, in die Mitarbeitende sich zurückziehen können. Im Regal über
       dem Küchentisch steht die „Gesetzessammlung für die betriebliche Praxis“.
       
       ## Der Mensch
       
       „Ich bin genau das, was ein Leben voller Lust und Kink aus mir gemacht
       hat“, steht auf Lafayettes Internetseite und: „Ich bin genderqueer,
       pansexuell und weitaus emanzipierter als der Rest der Männerwelt. Maskulin
       – feminin – androgyn – mir egal! Ich bin das Beste aus allem.“
       
       Lafayette ist Anfang 30, fast zwei Meter groß, sehr schlank und trägt
       halblanges, weinrotes Haar und schwarze Kleidung, die mit Leder, Schnüren
       und Spitze besetzt ist. „Viele Kunden verstehen sich nicht als schwul,
       wünschen sich aber Sex mit einem Mann. Sie kommen zu mir, weil ich auf der
       Grenze der Geschlechter bin, queer bin, und das geht dann für sie.“ In Prüm
       in der Vulkaneifel ist Lafayette aufgewachsen. „Das ist eine katholische,
       eine harte Gegend.“
       
       ## Wie alles begann
       
       An der Bauhaus-Universität in Weimar hat Lafayette nach dem Abitur
       Grafikdesign studiert und eine Promotion begonnen. „Dort bin ich auch zur
       SMJG gegangen, das ist ein Verein für junge Leute, die sich für
       Fetischismus interessieren.“
       
       Der private Fetisch wird zur beruflichen Einkommensquelle. „Wie man so
       schön sagt, ich war jung und brauchte das Geld. Ich hatte das Glück, dass
       mein erster Kunde ein wundervoller Mann war. Viele Kolleg*innen kommen
       übrigens aus dem Design-Bereich. Das hat vielleicht mit der eigenen
       Ästhetik von BDSM zu tun.“
       
       „Nach sieben Jahren wurde es mir in Weimar zu langweilig. In Berlin gibt es
       viele schöne Subkulturen und eine gute Nachfrage von SM-Dienstleistungen.
       Ich fühle mich sehr zu Hause in Berlin.“
       
       ## Die Arbeitszeit
       
       Lucien Lafayette hat eine 40-Stunden-Woche, „wie jeder normale
       Selbstständige auch. Auch mit Urlaub und allem.“ Seine Arbeitszeit verteilt
       sich zu 20 Prozent auf tatsächliche SM-Sessions und zu 80 Prozent auf
       Büroarbeit. „Nicht aus jeder Anfrage wird eine Session. Sehr spontane
       Anfragen lehne ich ab. Es ist unmöglich, in einer halben Stunde in einem
       Hotel am anderen Ende der Stadt zu sein. Dazu kommt noch die Zeit für
       Outfit und Make-up.“ Die Zahl der Anfragen schwankt. „In besonders heißen
       Wochen haben die Leute keine Lust auf SM-Sex. Das geht wenn dann nur in
       Hotels mit Klimaanlage.“ Auch der Januar ist kein gefragter Monat, an
       Weihnachten hingegen läuft es sehr gut für den Sexarbeiter.
       
       ## Die Bezahlung
       
       „Ich habe ein kleines, ganz normales Einkommen, von dem ich leben kann“,
       meint Lafayette, will aber nicht sagen, wie viel eine Session kostet. „Ich
       habe keine Kinder und auch sonst hängt niemand finanziell von mir ab. Für
       eine Familie bräuchte es ein regelmäßigeres Einkommen.“
       
       ## Das Gewissen
       
       „Ich komme aus der Werbebranche. Jetzt ist mein Gewissen deutlich besser
       als damals. Wenn ein Typ zum ersten Mal zu mir kommt, ist es wunderschön zu
       sehen, wie sich internalisierter Selbsthass und so weiter lösen.
       Unemanzipierte Kerle dürfen bei mir schwach sein, hörig sein, schön
       gefunden werden. Für meine Arbeit sollte ich in vielen Fällen eigentlich
       von der Krankenkasse bezahlt werden.“
       
       Lafayette bietet seinen Kunden nach einer Session „Gender-Consulting“ als
       Zusatzleistung an, also Gespräche, in denen es um Sehnsüchte und die
       persönliche Geschlechtsidentität geht. „Die Frage dabei ist: Wie kann man
       die schönen Gefühle aus der Session in den Alltag hinüberretten.“
       
       Eines belastet das Gewissen des Sexarbeiters doch: „Einer, der viel
       verdient, kann eine ganze Nacht mit mir haben, und das vielleicht
       regelmäßig. Andere müssen ewig sparen, bis sie sich vielleicht einmal im
       Jahr eine Session leisten können. Das ist ein unfaires System. Aber die
       Arbeit selbst tut Gutes und fördert Menschen.“
       
       ## Die Wertschätzung
       
       Sein Job generiert einen hohen Selbstwert, meint Lafayette. „Auch ich
       wurde als Kerl sozialisiert. Als Escort werde ich als schön wahrgenommen.
       Das Begehren der Kunden fühlt sich gut an.“ „Ich werde oft als Kerl
       gelesen, deshalb wird mir die Opferrolle nicht zugeschrieben.“ Trans- bzw.
       Homophobie hat Lafayette zwar privat, nie jedoch im beruflichen Kontext
       erlebt. Von den Behörden kommt wenig Wertschätzung für geregelte Sexarbeit.
       „Im Jobcenter wurde mir einmal ein Training zur Selbstständigkeit
       angeboten. Am zweiten Tag hat die Trainerin eine E-Mail bekommen, dass
       meine Art der Selbstständigkeit nicht vom Jobcenter gefördert werde, und
       ich konnte die Maßnahme nicht machen.“
       
       Und wie wird seine Tätigkeit von der Familie und den Freund*innen gesehen?
       „Meine Mutter war überzeugt, nachdem sie hier im Studio zu Besuch war und
       die Studioleiterin kennengelernt hat. Meinen Vater haben eher die Preise
       für meine Sessions beruhigt. Die dachten zuerst alle, ich würde nachts an
       der Straße stehen – was ich keineswegs abwerten will. Den Prostituierten
       auf dem Straßenstrich gebührt größter Respekt.“
       
       ## Die Branche
       
       „Es ist ein facettenreicher Bereich.“ Lafayette selbst schätzt sich
       glücklich, dass er noch nie mit Gewalt und Menschenhandel Erfahrungen
       gemacht hat. „Als Kerl ist es einfacher als für eine Person, die als Frau
       wahrgenommen wird. Als ich damals mein Unternehmen beim Amt angemeldet
       habe, hat die Sachbearbeiterin mich angeguckt und gesagt:
       ‚Zwangsprostitution können wir schon mal ausschließen.‘“
       
       Lafayette sagt von sich, dass er einer der wenigen genderqueeren Sexworker
       ist. „Das Studio hier ist in Berlin auch das einzige, das gendersensible
       Sexarbeit fördert.“ „Es gibt auch viel zu wenige Sexworker*innen, die sich
       zum Beispiel um Pflegefälle kümmern. Ich kenne nur zwei. Eine davon wurde
       einmal von einer evangelischen Pfarrgemeinde bezahlt, um einen Pflegefall
       zu besuchen. Das fand ich sehr schön.“
       
       Lafayette erzählt, dass Sexarbeit im Allgemeinen vor allem von
       Heteromännern in Anspruch genommen wird, schon weniger von Schwulen, auch
       wenn die seine Hauptkundschaft darstellen. „Ganz wenige Cis-Frauen nehmen
       SM-Dienstleistungen in Anspruch.“ „Die Peripherie ist für Männer sexy, für
       viele weiblich sozialisierte Personen eher abstoßend. Die schämen sich dann
       vor ihren Freundinnen. Männer hingegen wollen während einer Session Fotos
       machen, um damit angeben zu können.“ Auch an den hohen Preisen scheitert es
       oft bei Frauen. „Deshalb biete ich eine Gender-Pay-Gap-Kompensation an.“
       
       ## Die Perspektive
       
       „Man ist irgendwann zu alt für den Job, obwohl man im SM-Bereich und als
       Kerl länger dabei bleiben kann.“ Und: „Man kann den Job nur machen, solange
       er Spaß macht.“
       
       Etwa zehn Jahre lang möchte Lafayette noch als Sexworker tätig sein, danach
       will er sich etwas anderes aufbauen. Eventuell wird er noch einmal in der
       Werbebranche arbeiten, vielleicht als Fotograf. Eine Möglichkeit wäre auch,
       ein eigenes Studio zu betreiben: „Das ist wie im Sport. Wenn man nicht mehr
       spielen kann, wird man Trainer“, sagt er. Vielleicht kommt es aber auch
       noch zu der abgebrochenen Promotion.
       
       ## Was würden Sie sich für unverhoffte 100 Euro kaufen?
       
       „Na ja, unverhofft ist mein Gehalt ja immer“, sagt Lafayette. „Ich würde
       das in den Geldbeutel stecken und fertig.“ Und wenn die 100 Euro nur für
       Luxus ausgegeben werden dürften? „Dann würde ich mir Schuhe kaufen.“
       Fetischschuhe? „Alle Schuhe sind Fetisch.“
       
       17 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
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