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       # taz.de -- Einigung zum Donbass: Neue Möglichkeiten für Kiew
       
       > Manches an der Steinmeier-Formel für die Ostukraine mag Selenski, mag
       > Europa nicht gefallen. Es ist für alle aber die beste Option auf einen
       > Frieden.
       
   IMG Bild: Wolodymyr Selenski kann jetzt viel erreichen in Ukraine-Konflikt
       
       Über keinen deutschen Politiker erhitzen sich derzeit in der Ukraine mehr
       die Gemüter als über den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Der
       hatte noch zu seiner Zeit als Außenminister eine Formel entworfen, wie in
       der Ukraine ein stabiler Waffenstillstand erzielt werden könne.
       
       Und genau auf der Grundlage dieser Formel hatten sich nun am Dienstag
       sensationell die Vertreter der Konfliktparteien einschließlich Russlands im
       weißrussischen Minsk geeinigt. Für die Ukraine hatte ihr ehemaliger
       Präsident Leonid Kutschma – der das Land in der Kontaktgruppe in Minsk
       vertritt- in einem Schreiben an OSZE-Botschafter Martin Sajdik die Annahme
       der Steinmeier-Formel durch die Ukraine bestätigt. Damit ist der Weg frei
       für ein Gipfeltreffen der Präsidenten Frankreichs, Deutschlands, der
       Ukraine und Russlands. Mehr noch: nach der Einigung von Minsk ist auch eine
       weitere Truppenentflechtung – also die Schaffung entmilitarisierter Gebiete
       – an den Orten Petriwske und Solote möglich. Regional begrenzte
       Truppenentflechtungen sind de facto kleine funktionierende
       Waffenstillstände.
       
       Das Manko an der Steinmeier-Formel ist jedoch: sie liegt nicht schriftlich
       vor. Russland und die Ukraine interpretieren diese Formel unterschiedlich.
       
       Unstrittiger Inhalt dieser Formel ist jedoch: die Ukraine erklärt per
       Gesetz einen Sonderstatus für den Donbass. In den von Kiew nicht
       kontrollierten Gebieten von Luhansk und Donezk werden Wahlen nach
       ukrainischem Recht und unter Beobachtung der OSZE durchgeführt. Erst nach
       Anerkennung der Wahlen als fair und frei durch die OSZE wird der vorläufige
       Sonderstatus in einen dauerhaften umgewandelt.
       
       Strittig ist jedoch die Frage, was mit den russischen Militärs geschehen
       soll, die sich derzeit im Donbass aufhalten. Dass es diese gibt, hatte die
       taz [1][schon 2014 berichtet.]
       
       Noch am Dienstag hatte [2][Präsident Selenski] ukrainischen Journalisten
       gegenüber die Unterzeichnung der Steinmeier-Formel erklärt und gleichzeitig
       versichert, er werde keine Wahlen „in Anwesenheit russischer Gewehrläufe“
       im Osten zulassen. Wahlen und ein Sonderstatus des Donbass sind für die
       Ukraine auch unter Selenski nur vorstellbar nach einem Abzug der russischen
       Militärs und einer Kontrolle der Grenze durch die Ukraine.
       
       Vielen in der Ukraine wird wieder ein Skandal mit dem damaligen deutschen
       Botschafter Ernst Reichel gegenwärtig. Dieser hatte 2017 mit seiner
       Äußerung, er könne sich durchaus Wahlen im Donbass vor dem Abzug der
       russischen Truppen vorstellen, einen Sturm der Entrüstung in der Ukraine
       ausgelöst. Auch die letzten Wahlen in der DDR, mit denen ja das
       kommunistische Regime verabschiedet werden sollte, seien ein gutes
       Beispiel, so Ernst Reichel damals.
       
       Unterdessen haben die Chefs der ostukrainischen Separatisten, Denis
       Puschilin und Leonid Pasetschnik, verkündet, dass sie eine Kontrolle der
       Grenze durch die Ukraine nicht akzeptieren werden. Trotzdem hat die Ukraine
       keine Wahl als sich auf die Steinmeier-Formel mit all ihren Unwägbarkeiten
       und unterschiedlichen Interpretationen einzulassen.
       
       Denn mit der Unterzeichnung des Dokumentes in Minsk am Dienstag ist ein
       Fortschritt in den Verhandlungen gesichert: die Präsidenten Frankreichs,
       Deutschlands, Russlands und der Ukraine werden nun bald wieder
       zusammenkommen, die Entzerrung der sich gegenseitig belagernden Geschütze
       an neuralgischen Punkten wird voranschreiten.
       
       Und eine Wahl im Donbass nach ukrainischer Gesetzgebung bietet doch auch
       unendlich viele Möglichkeiten für Kiew: nun muss allen Parteien im nicht
       kontrollierten Teil des Donbass garantiert werden, ungehindert Wahlkampf zu
       führen, auch Gruppierungen, die den Separatisten ein Dorn im Auge sind.
       Auch eine faire Berichterstattung muss dann gewährleistet werden. Das
       bedeutet, die Ukraine darf Journalisten nicht mehr an einer Reise in die
       „Volksrepubliken“ hindern, die “Volksrepubliken“ ihrerseits müssen ihre
       Praxis, mißliebigen Journalisten keinen Aufenthalt zu ermöglichen, beenden.
       
       Und natürlich müssen ukrainische Wahlkommissionen im Donbass ungehindert
       arbeiten dürfen, an den Wahllokalen werden ukrainische Fähnchen wehen, die
       OSZE wird verstärkt auftreten, aus vielen Ländern werden
       WahlbeobachterInnen anreisen.
       
       Nun dürfen die Europäer Selenski nicht mit einem Wahlboykott im Regen
       stehen lassen, müssen die Möglichkeiten, die die Steinmeier-Formel bietet,
       ausschöpfen. Denn eine weitere Vereinbarung, die das Papier, auf das sie
       gedruckt ist, nicht wert ist, brauchen keiner.
       
       2 Oct 2019
       
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