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       # taz.de -- Streit um Kügelchen: Homöopathie-Gegner helfen Spahn
       
       > Wer sich über Homöopathie aufregt, spielt das Spiel des
       > Bundesgesundheitsministers. Und schürt Neiddebatten. Das muss nicht sein.
       
   IMG Bild: Ein Hauch von dieser Pflanze ist in den Gobuli Arnica D6 und C30
       
       Nun also sitzen (nach der taz) auch [1][die Grünen in der
       Homöopathiefalle]: Einige Delegierte fordern, dass sie auf ihrem Parteitag
       Anfang November über die Frage streiten sollen, ob Homöopathie eine
       Kassenleistung sein kann oder nicht. Manche glauben, dass die Grünen sich
       an der Frage zerfleischen könnten. Zumindest aber werden sie dabei ihr
       autoritäres Gesicht zeigen – oder ihr Nicht-von-dieser-Welt-Sein.
       
       Aber das ist lächerlich. Der Streit über die Homöopathie ist keiner, und
       wenn doch, verdeckt er, wie ein trojanisches Pferd, etwas anderes, nämlich
       die gravierenden Eingriffe des Gesundheitsministers ins Gesundheitssystem.
       Homöopathie dürfe keine Kassenleistung sein, sagen die Gegner der
       Homöopathie. Wissenschaftler könnten keine Wirkung nachweisen. Die am
       leidenschaftlichsten vorgetragene Begründung der Gegner*innen ist deshalb,
       sie wollten nicht für etwas mitbezahlen, das nicht wirke.
       
       Das ist eine gefährlich Argumentation, weil sie eine Art Neiddebatte
       anstößt; und eine reflexhafte Argumentation ist es auch. Denn ein komplexer
       Sachverhalt wird dabei in Stücke gerissen. Es wird nur ein negativer Aspekt
       hervorgehoben: die angebliche Wirkungslosigkeit. Ob die Homöopathie auch
       positive Effekte hat, und seien sie nachgeordneter Natur, fällt bei ihren
       Gegner*innen unter den Tisch.
       
       Die Faktenlage ist, um die Komplexität zu verstehen, nicht ganz unwichtig.
       Denn 60 Prozent der Bevölkerung haben laut einer repräsentativen Umfrage
       von 2014 des Instituts für Demoskopie Allensbach schon einmal
       homöopathische Mittel genommen, und 90 Prozent der Befragten geben an, dass
       das Mittel gewirkt habe – 54 Prozent der Bevölkerung hat’s also geholfen.
       Die Wissenschaft auf der einen Seite, die keine Wirksamkeit findet, und
       eine Mehrheit der Bevölkerung auf der anderen, die feststellt, dass es
       wirkt. Die Kluft könnte nicht größer sein. Genommen werden die
       homöopathischen Mittel laut Umfrage vor allem bei Erkältungskrankheiten und
       grippalen Infekten.
       
       ## Wem dient der Streit?
       
       Wenn Jens Spahn, wie im September geschehen, sagt, dass er homöopathische
       Mittel weiterhin als Kassenleistung erhalten wolle, da die Ausgaben dafür
       ohnehin vergleichsweise gering seien, dann hat er im Blick, dass eine
       Mehrheit der Bevölkerung einen positiven Zugang zu Homöopathie und gute
       Erfahrungen damit gemacht hat. Wenn Spahn also sagt, er sei dafür, dass die
       Kassen die Medikamente bezahlen, holt er sich Bonuspunkte bei vielen.
       
       Die eigentlich alternativmedizinaffinen Grünen, und damit die politischen
       Gegner der CDU und deren Mitbewerber um die Wähler in der bürgerlichen
       Mitte, entfachen nun einen Streit über die Zulässigkeit von Homöopathie.
       Sie sehen nicht, dass sie damit Spahns Spiel spielen. Denn wer sieht am
       Ende gut aus? Spahn doch.
       
       Natürlich soll man eine Diskussion auch führen, wenn sie einem
       ambitionierten Minister und politischen Gegner nützt, der eigentlich
       Bundeskanzler werden will, der auf seinem Weg dahin mal radikal das
       Gesundheitswesen aufmischt und es dabei vielfach nicht besser, sondern
       schlechter macht.
       
       ## Spahn versucht eigene Fehler zu verdecken
       
       Dass alle Versicherten automatisch Organspender seien, solange sie nicht
       widersprechen, ist so ein die Freiheitsrechte beschneidender Vorstoß des
       Ministers. Auch, dass ethische Grundsätze bei kranken Ungeborenen
       einerseits und bei sterbewilligen Schwerstkranken andererseits von ihm je
       nach Belieben geändert werden. Die einen – das insinuiert sein Vorstoß, die
       Krankenkassen zu verpflichten, einen Gentest bei Ungeborenen auf
       Erbkrankheiten zu bezahlen – sollen abgetrieben werden, wenn sie krank
       sind. Schwerstkranken aber, denen sogar vor Gericht zugebilligt wird, dass
       sie ihrem Leben ein Ende bereiten können, werden die tödlichen Mittel
       untersagt. Dass Spahn die Selbstverwaltung der Krankenkassen angreift, ist
       ebenfalls kritikwürdig.
       
       Auch die beschlossene Verflachung der psychotherapeutischen Versorgung
       wirkt nicht, als wäre sie zukunftsweisend. Künftig kann jemand direkt nach
       dem Abitur Psychotherapie studieren, ohne vorher Psychologie oder Pädagogik
       oder Medizin studiert zu haben. Der hohe Standard in der Psychotherapie in
       Deutschland wurde nach Krieg und Faschismus etabliert, die eine ganze
       Gesellschaft traumatisiert zurückließen, sei es als Opfer oder als Täter.
       In einer Zeit, in der die Gesellschaft wieder auseinanderzufliegen droht,
       dieses System zu schwächen irritiert doch sehr.
       
       Der Streit über die Kassenleistung Homöopathie jedenfalls verdeckt die
       kritikwürdigen Vorstöße des Ministers, weil er ihn gut dastehen lässt.
       
       Was die Grünen sich aber auf jeden Fall klarmachen könnten: Der Streit wird
       insbesondere auf dem Rücken von Kindern ausgefochten. Denn bis sie zwölf
       Jahre alt sind, bekommen Kinder homöopathische Medikamente als
       Regelleistung bezahlt (bei älteren ist es abhängig von der Krankenkasse, in
       der sie sind).
       
       ## Was sind denn die Alternativen? Antibiotika?
       
       Wird berücksichtigt, dass homöopathische Mittel vor allem bei Infekten
       genommen werden – die mit Ruhe, Zuwendung und Zeit heilen, viele Eltern
       aber, wenn ihre Kinder krank sind, unterstützende Medikamente verschrieben
       bekommen möchten, weil es das Gefühl stärkt, alles getan zu haben –, wäre
       es interessant, nach den Alternativen zu fragen. Sind das Antibiotika? Wenn
       Homöopathie dazu beiträgt, dass Kinder weniger Antibiotika bekommen, dürfte
       der Gewinn ungleich größer sein als die Kosten für Kügelchen.
       
       Bleibt zuletzt noch die Neiddebatte. Gegner*innen der Homöopathie
       wollten nicht für etwas mitbezahlen, das nicht wirke, sagen sie. Wer die
       Neiddebatte im Zusammenhang mit den umlagefinanzierten Versicherungen, wie
       es das Krankenkassensystem ist, anstößt, öffnet die Büchse der Pandora.
       
       Dass es Unwuchten gibt in der Frage, was eine Kassenleistung ist und was
       nicht, ist bekannt. Und einige dieser Ungerechtigkeiten sind nicht zu
       verstehen. Wer aber sagt, er wolle für Homöopathie nicht mitbezahlen,
       könnte anderen nur schwer den Mund verbieten, die sagen, dass sie für
       Unfallfolgen oder Krankheiten von Rauchern, HIV-Positiven oder
       Extremsportlern nicht mitbezahlen wollen.
       
       Einmal bin ich selbst in so eine Falle getappt. Seit Jahren habe ich eine
       kaputte Hornhaut und muss sämtliche Augentropfen und präventive Mittel
       selbst bezahlen. Manchmal ärgert mich das. Einmal rief ich bei der
       Krankenkasse an und fragte, warum ich bei dieser Diagnose die Augentropfen
       nicht erstattet bekäme. Ja, das wäre halt keine Kassenleistung, antwortete
       die zuständige Dame. Aber, sagte ich, die Folgen von zu schnell Ski fahren
       und dabei verunglücken, das wären dann Kassenleistungen. Da sagte sie: „Ja.
       Aber Augentropfen bekommen die auch nicht.“
       
       21 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
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