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       # taz.de -- Politologe zur OB-Wahl in Hannover: „Blick auf die Kandidaten lenken“
       
       > Am Sonntag wählt Niedersachsens Landeshauptstadt einen neuen
       > Oberbürgermeister. Der Sieger ist noch nicht ausgemacht, sagt SPD-Mann
       > Nils Heisterhagen.
       
   IMG Bild: Wer wird hier demnächst residieren? Wahlplakate vor dem Rathaus in Hannover
       
       taz: Herr Heisterhagen, bei der Oberbürgermeisterwahl könnte die SPD in
       Hannover ihren jahrzehntelangen Siegerbonus verlieren. Sagt das eher etwas
       über die SPD oder über die Stadt aus? 
       
       Nils Heisterhagen: Weder noch. Wir haben es aktuell mit einem völlig
       veränderten Parteiensystem zu tun: Kandidaten, die früher keine Chance
       hatten, haben jetzt eine, vor allem in Großstädten. Es ist jetzt normal,
       dass Bewerber von SPD über Grüne bis hin zur CDU gleiche Chancen haben zu
       gewinnen.
       
       In Hannover hat es allerdings eine [1][Finanzaffäre gegeben, in die der
       einstige SPD-Oberbürgermeister Stefan Schostok] verstrickt war und
       zurückgetreten ist. 
       
       Dieser Hintergrund macht es für die SPD natürlich schwerer. Man darf die
       Erwartungen an einen SPD-Sieg nicht allzu hoch hängen, auch wenn Hannover
       eine klassische SPD-Hochburg war. Am Tag der Wahl werden wir sehen, wie das
       Vertrauen der Wähler in die SPD heute aussieht.
       
       In Hannover wurde die [2][SPD nach Ende des Zweiten Weltkriegs de facto
       wiedergegründet.] Könnte sie in Hannover jetzt beerdigt werden? 
       
       Die OB-Wahl in Hannover zur Existenzfrage der SPD hochzujazzen, ist stark
       übertrieben. Sollte der SPD-Kandidat nicht punkten, darf man das nicht als
       Klatsche für die SPD stilisieren, sondern sollte es als Entscheidung gegen
       die Person sehen.
       
       Trotzdem gelten OB-Wahlen immer als Stimmungsbarometer für Wahlen im Land
       und im Bund. 
       
       Das ist richtig. Trotzdem darf man das, was in Hannover vor dem Hintergrund
       der Rathaus-Affäre passiert ist, nicht überbewerten. Vielmehr muss man den
       Blick auf die Kandidaten lenken.
       
       Das heißt, Personen sind heute wichtiger als Parteien? 
       
       Es ist für Parteien grundsätzlich schwieriger geworden, klare Mehrheiten zu
       gewinnen, weil sich das Parteiensystem verschoben hat. So haben sich die
       [3][Grünen in den vergangenen Jahren als Großstadtpartei etabliert] und in
       Kiezen, in denen akademisch-bürgerliche Milieus ohne finanzielle Probleme
       leben, große Chancen. Da wird leider nicht nach materiellen Maßstäben
       entschieden, sondern nach immateriellen. Erst wenn die Rezession vollkommen
       durchbricht, wird auch die obere Mittelschicht ängstlich und wieder
       materialistischer.
       
       Das heißt, Kandidat*innen müssen ihr Profil schärfen? 
       
       [4][Es kommt darauf an, wie authentisch jemand rüberkommt,] ob er die
       Mehrheit der Menschen versteht, mit denen er zu tun hat, ihre Nöte kennt.
       In Hannover erscheinen mir die meisten Kandidaten allerdings ähnlich zu
       sein. Ich kann wenig Unterschiede zwischen SPD, Grünen und CDU erkennen.
       Insofern ist es überhaupt nicht klar, wer das Rennen macht. Ähnliches kann
       man übrigens in Mainz beobachten, wo ebenfalls am 27. Oktober ein neuer
       Oberbürger oder eine neue Obermeisterin gewählt wird. Vermutlich gehen dort
       zwei Kandidaten in die Stichwahl, weil keine Partei eine massive Mehrheit
       für sich verbuchen wird.
       
       Alle reden vom Klima. SPD-Kandidat, Marc Hansmann, redet von Kinderarmut,
       Investitionen in Bildung und Wohnungsbau. Ein Schachzug, um die verloren
       gegangene SPD-Klientel zu reaktivieren? 
       
       Die Wohnungsfrage ist eine der wichtigsten sozialen Fragen der Zeit.
       Soziale Fragen hat die SPD in der jüngsten Vergangenheit vernachlässigt, da
       sollte sie wieder zulegen. Wie beispielsweise auch beim ÖPNV. Die SPD war
       immer eine Partei der unteren Mitte und der „kleinen Leute“, die diese mit
       ihren materiellen Sorgen ernst nimmt. Da muss sie wieder hinkommen.
       
       Hansmann und die SPD haben also alles richtig gemacht? 
       
       Ein SPD-Oberbürgermeister ist gut beraten, wenn er sich neben den sozialen
       Fragen auch dem Thema innere Sicherheit widmet. Sicherheit in Großstädten
       ist ein großes Thema, das darf man nicht der CDU oder gar der AfD
       überlassen. Hier kann sich die SPD sogar gegenüber den Grünen profilieren,
       die scheuen das Thema ja wie der Teufel das Weihwasser.
       
       Warum ist das ausgerechnet in Hannover wichtig? 
       
       In Ecken wie dem Hauptbahnhof mit ausgeprägter Drogen- und Obdachlosenszene
       ist das wichtiger als in Barsinghausen. Die Menschen wollen sich sicher
       fühlen, ein OB muss sich fragen: Wie kriege ich das hin? Wie komme ich zu
       mehr Polizeipräsenz und weniger Kriminalität? Auch Wirtschaftsfragen darf
       er nicht vernachlässigen. Wenn Firmen wie der Autozulieferer Continental
       aus der Region Hannover Stellenabbau ankündigt, sollte ein OB fragen: Wo
       drückt der Schuh? VW-Nutzfahrzeuge hat auch eine Transformation vor sich.
       Da muss man vorbeigehen und nachhaken: Wie geht es euch? Was kann ich tun?
       
       Ist das nicht Aufgabe für den Ministerpräsidenten? 
       
       OB und Ministerpräsident sollten eng zusammenarbeiten. Das funktioniert
       besser, wenn beide dasselbe Parteibuch haben. Niedersachsen hat mit Stephan
       Weil auch einen guten Ministerpräsidenten. Die SPD kann ja Wahlen gewinnen.
       Aber halt nur mit linker Vernunft.
       
       25 Oct 2019
       
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