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       # taz.de -- Alte Musik Fest Friedenau: Immer wieder frisch gemacht
       
       > Es muss nicht stets die Klassik im Konzertsaal sein. Da gibt es
       > musikalisch viel mehr in der Vergangenheit zu entdecken. Zum Beispiel in
       > Friedenau.
       
   IMG Bild: Barocke Pracht: eine Konzertsituation, um 1627 von Gerrit van Honthorst gemalt (Ausschnitt)
       
       Es könnte ja wirklich sein, dass man Musik anders hört, wenn man keine
       Kartoffeln isst. Vielleicht hört man manche Musik dann sogar irgendwie –
       nun ja – „richtiger“.
       
       Wenn man zum Beispiel ein Werk von Guillaume Dufay nimmt. Der komponierte
       seine Musik schon deswegen komplett kartoffellos, weil er diese Knolle noch
       gar nicht kennen konnte. Die nämlich war in seiner Zeit noch gar nicht
       entdeckt wie überhaupt dieses Amerika, wo die Kartoffel nun mal herkommt.
       Dufay, ein franko-flämischer Komponist der Frührenaissance. Wer will, darf
       seine Musik aber gern in Dufay gleichermaßen unbekannten Jeans hören – und
       wird auch so Gefallen an ihr finden.
       
       Es gibt eben nicht den einen und damit „richtigen“ Zugang zu Musik, auch
       nicht zu der, die unter dem Stichwort Alte Musik gesammelt wird. Gemeint
       ist damit die europäische Musik des Mittelalters, der Renaissance und des
       Barocks. Also grob gesagt, alles vom gregorianischen Gesang bis Bach ist da
       zu hören. Und Alte Musik zu spielen ist natürlich immer ein Versuch
       darüber, wie diese Musik früherer Epochen geklungen haben könnte. Man weiß
       ja nicht, es gibt nun mal keinerlei Tonaufzeichnungen.
       
       So mag man sich bei der Rekonstruktion von alten Werken musikarchäologisch
       eben bis hinein in Kleidungs- und alle sonstigen die Zeit betreffenden
       Fragen beschäftigen. Eine Vergangenheit, in der man sich verlieren kann.
       Und Geschichte, in der man nach Bezügen zu unserer Gegenwart suchen kann –
       oder die mit der zwischendurch fast vergessenen Musik aus einem anderen
       Blickwinkel zu sehen.
       
       ## Grenzen und Konventionen sprengen
       
       An der [1][Universität der Künste (UdK)] kann man das auch studieren. Alte
       Musik: Den Reiz daran erklärt Mirjam Münzel mit der Beschäftigung mit den
       alten Instrumenten und überhaupt mit der Andersartigkeit im Vergleich zum
       üblichen klassischen und romantischen Repertoire, der andere Klang, dass
       man es nur mit natürlichen Materialien zu tun habe. Holz, Darmsaiten … das
       mache das Musikerlebnis, sagt die Barockcellistin und Blockflötistin „so
       hautnah“.
       
       Zusammen mit anderen Studierenden des Instituts für Alte Musik an der UdK
       hat sie ein Festival eingerichtet, [2][Alte Musik Fest Friedenau], das sich
       gleich im Titel gar nicht mit einer wohltemperierten Betulichkeit aufhalten
       will. „Rebellion“ heißt es hier, mit einem Ausrufezeichen. Vorgestellt
       werden soll eben auch Musik, die die Grenzen und Konventionen ihrer Zeit
       sprengte. Etwa die als Mann verkleidete Frau in „The Punk’s Delight“, mit
       der Rebellion! am Sonntag im Kammermusiksaal Friedenau startet. In dieser
       neuen elisabethanischen Masque – ein Maskenspiel – raucht die noch dazu
       Tabak. Ein rebellischer Akt. Weil das ging eigentlich gar nicht damals,
       rauchende Frauen.
       
       Und an eine musikalische Karriere für Frauen war genauso wenig gedacht.
       Manche haben dennoch komponiert, im Programm mit dem Titel „Italienische
       Invasion!“ ist das am 26. Oktober mit italienischen und französischen
       Komponistinnen der Barockzeit zu hören.
       
       Und weil es bei dem Alte-Musik-Fest viel um musikalische Verläufe geht und
       Bezugnahmen, hat man hier etwas grenzüberschreitend die Alte Musik gleich
       noch zur Klassik hin erweitert und Beethoven einen Platz eingeräumt im
       Programm des bis 30. Oktober dauernden Fests.
       
       ## Fortdauernder Reiz der Alten Musik
       
       Um die Bedeutung und den fortdauernden Reiz der Alten Musik
       herauszustellen, unternehmen MusikerInnen und Ensembles dabei auch gern
       noch weit größere Zeitsprünge und suchen nach möglichen Beziehungen
       zwischen Alter Musik und der Moderne. Wie etwa die Lautten Compagney
       Berlin, die in diesem Jahr das 35-jährige Bestehen feiert und in ihrem
       neuen, gerade auch auf CD erschienenen Programm „Cirle Line“ die
       Renaissancemusik des anfangs erwähnten Guillaume Dufay mit der Minimal
       Music von Philip Glass und Steve Reich kontrastiert.
       
       Und dann ist es auch noch so, dass das Alte und scheinbar Obsolete einfach
       weiterwirkt. Das Cembalo zum Beispiel, ein Leitinstrument der Alten Musik,
       das seine Blütezeit vom 15. bis ins 18. Jahrhundert hatte, bis es vom
       Klavier aus den Wohnstuben und von den Konzertbühnen verdrängt wurde. Aber
       eben nicht ganz.
       
       Was es da für Kompositionen in der avancierten zeitgenössischen Musik für
       dieses Tasteninstrument gibt, ist nächstes Wochenende in der Akademie der
       Künste am Hanseatenweg bei einem zweitägigen Programm zu hören, unter
       anderem mit Arbeiten von Iannis Xenakis und György Ligeti für das Cembalo.
       Neue Musik für ein altes Instrument.
       
       19 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.udk-berlin.de/startseite/
   DIR [2] https://www.altemusikfestfriedenau.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Mauch
       
       ## TAGS
       
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