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       # taz.de -- Berliner Mietendeckel: Der richtige Zoff kommt erst
       
       > Die CDU kündigt Klage gegen „Wahnsinnsgesetz“ an. Der Druck auf
       > Rot-Rot-Grün wird noch größer, schneller als bislang zu bauen.
       
   IMG Bild: Trotz des Mietendeckels wird weiterhin Druck von der Straße nötig sein
       
       Nach dem Streit ist vor dem Streit: in der rot-rot-grünen Koalition, vor
       Gericht und in der SPD. Der jetzt nach langem Ringen zwischen SPD,
       Linkspartei und Grünen vereinbarte Kompromiss über einen Mietendeckel zieht
       Klagen nach sich und bedeutet eher mehr als weniger Konfliktpotenzial für
       das Bündnis.
       
       Denn die Einigung vom Freitag, die Mieten in Berlin für fünf Jahre
       einzufrieren und Obergrenzen festzulegen, fußt auf dem Versprechen, diese
       Frist für Zehntausende neue bezahlbare Wohnungen zu nutzen und damit Druck
       vom Mietmarkt zu nehmen. „Vor allem brauchen wir eine Atempause bei den
       Mietsteigerungen, bis die Erfolge beim Wohnungsneubau für die Menschen
       spürbar werden“, argumentierte schon vor einem Jahr die Frau, die das
       Urheberrecht am Mietendeckel für sich beanspruchen kann, die
       SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl. Über Umfang und Intensität des Neubaus
       aber streiten SPD und Linkspartei schon seit Jahren.
       
       Rot-Rot-Grün hatte sich am Freitagabend nach langen Diskussionen geeinigt,
       dass die Mieten in Berlin fünf Jahre lang nicht steigen sollen. Mieten, die
       mehr als 20 Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen, sollen sich auch
       absenken lassen. Diese Regelung geht in die Richtung des bundesrechtlich
       bereits existierenden Wucher-Paragraphen. Der Senat will den Gesetzentwurf
       dazu offiziell am Dienstag beschließen, Mitte Dezember soll das
       Abgeordnetenhaus daraus dann ein Gesetz machen. Das soll im Januar
       rückwirkend zum 18. Juni in Kraft treten – damals hatte der Senat erste
       Eckpunkte für das Gesetz festgelegt.
       
       Die drei Regierungsparteien hatten bereits am Donnerstag gut sechs Stunden
       im Koalitionsausschuss diskutiert, ohne sich einigen zu können. Es hieß
       zwar, man habe sich angenähert, laut Wirtschaftssenatorin Ramona Pop
       (Grüne) waren nur noch „letzte Details“ zu klären. Doch auch für die waren
       am Freitag erneut sechs Stunden nötig. Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek
       verglich das Zustandekommen der Einigung mit einer Papstwahl in der
       katholischen Kirche, als sie ähnlich wie nach einer solchen twitterte:
       „Habemus Mietendeckel“.
       
       ## FDP fürchtet Planwirtschaft
       
       Neben der inhaltlichen Einigung ging es merklich auch darum, dass keine
       Seite als Verlierer vom Tisch gehen sollte. So bekam jeder etwas: Die SPD
       wehrte sich erfolgreich dagegen, festzulegen, dass kein Haushalt über 30
       Prozent seines Einkommens für Miete ausgeben soll – das sei juristisch
       nicht durchsetzbar und nur schwer umsetzbar. Die Linkspartei bekam die von
       ihr geforderten Obergrenzen, die es auch möglich machen, in bestehende
       Verträge einzugreifen. Die Grünen wiederum setzten durch, dass Vermieter ab
       2022 jährlich einen Inflationsausgleich von 1,3 Prozent auf die Miete
       aufschlagen dürfen.
       
       Die Reaktionen gingen stark auseinander: Während Mietervereinschef Reiner
       Wild „eine historisch einmalige Chance auf ein besseres Mietensystem“ sah,
       gab es harte Kritik von Wirtschaftsverbänden und der Opposition im
       Abgeordnetenhaus. „Das ist ein schwarzer Tag für den Berliner
       Wohnungsmarkt“, urteilte CDU-Landeschef Kai Wegner, „das staatliche
       Preisdiktat wird den Neubaumotor endgültig abwürgen und zahllose
       Arbeitsplätze zerstören.“ Man werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen,
       „um dieses Wahnsinnsgesetz zu Fall zu bringen“. Der
       FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja sah einen „perfiden Plan zur
       Einführung der Planwirtschaft“ und kündigte ebenfalls eine Klage an.
       
       Auch der Immobilenverband IVD erging sich in Rote-Socken-Rhetorik: „Die
       Landesregierung kehrt zurück zur sozialistischen Wohnungspolitik.“ Die
       Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg kommentierte
       nüchterner, es werde zu „maximaler Bürokratie, hoher Rechtsunsicherheit bei
       den Mietern und zu einer starken Belastung der Bauwirtschaft kommen.“
       Selbst von einem führenden SPDler wie dem Hamburger Regierungschef Peter
       Tschentscher kam Kritik: Enteignungen und Mietenstopp führten nicht zu mehr
       Wohnraum, „sondern untergraben die Investitionsbereitschaft für den
       Mietwohnungsbau“.
       
       SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der den Kompromiss am Freitag mitverhandelte,
       mochte vor allem die Kritik von CDU-Chef Wegner nicht so stehen lassen.
       Wenn der vom Mietendeckel-Beschluss als einem schwarzen Tag spreche, sei
       das „eine Verhöhnung der Mieterinnen und Mieter“. Und von einer Schwächung
       der Wirtschaft wollte Saleh auch nichts wissen: Der Mietendeckel kurbele
       vielmehr die Konjunktur an – denn wer weniger Geld für die Miete zahlen
       müsse, gebe es für andere Dinge aus.
       
       ## Enteignung naht
       
       Die Rechtslage ist währenddessen völlig offen, weil bisher kein Bundesland
       einen Mietendeckel beschlossen hat. Der Senat stützt sich unter anderem auf
       ein Gutachten des renommierten Verwaltungsrechtlers Ulrich Battis: Aus
       dessen Sicht ist es verfassungsgemäß, die Mieten für fünf Jahre
       einzufrieren. Kritisch wäre für ihn ein massiver Eingriff in bestehende
       Verträge gewesen. Der Ex-Chef des Bundesverfassungsgerichts hingegen,
       Hans-Jürgen Papier, kommt zu einem anderen Ergebnis: Für ihn ist der
       Mietendeckel schon deshalb verfassungswidrig, weil er eine Landesregierung
       für solche Eingriffe gar nicht für berechtigt hält.
       
       Der Senat hält dem seine Position entgegen und vertraut darauf, dass das
       Bundesverfassungsgericht das genauso sieht. So ließ sich jedenfalls eine
       Äußerung von Katina Schubert lesen, der Landeschefin der Linkspartei: „Wir
       schreiben ein bisschen Geschichte, hoffe ich.“
       
       Die vom Mietendeckel erhoffte Atempause gibt es unterdessen für die SPD
       nicht. Bei den Sozialdemokraten drängt am Samstag gleich die nächste
       heftige Debatte in der Wohnungspolitik: Bei ihrem Landesparteitag müssen
       sie festlegen, wie sie zum hoch umstrittenen Volksbegehren „Deutsche Wohnen
       & Co. enteignen“ stehen. Die Linkspartei hatte sich schon Ende 2018
       dahinter gestellt, die Grünen folgten im Mai. Die SPD hingegen hatte im
       März einen Beschluss darüber vertragt.
       
       20 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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