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       # taz.de -- Fossilfreie Stahlproduktion in Schweden: Wasserstoff statt Koks
       
       > Noch sind Schwedens Stahlwerke die größten Dreckschleudern des Landes.
       > Ihre Produktion soll ab 2026 fossilfrei werden.
       
   IMG Bild: Kurs Klimaneutralität: SSAB-Werk in Oxelösund
       
       Luleå taz | Sie erregten zwar nicht so viel Aufsehen wie Greta Thunberg,
       aber auch zwei weitere Schweden hinterließen bei der UN-Klimakonferenz in
       New York im September Spuren: Ministerpräsident Stefan Löfven, der eine
       globale Initiative präsentierte, die Industriekonzerne bei der Verminderung
       des Kohlendioxidausstoßes unterstützen will. Und Martin Lindqvist, der dem
       Regierungschef dabei assistierte. Lindqvist ist der Chef von SSAB,
       Schwedens derzeit größter Dreckschleuder.
       
       Der von ihm geführte Stahlkonzern rühmt sich zwar, den weltweit
       „nachhaltigsten“ Stahl zu produzieren, steht aber allein für 5 Millionen
       Tonnen oder fast elf Prozent der gesamten schwedischen CO2-Emissionen. Wenn
       Schweden seine Klimaziele erreichen, also bis 2045 „CO2-frei“ sein soll und
       dabei auch in Zukunft Stahl produzieren will, muss SSAB folglich
       dekarbonisiert werden.
       
       Um zu demonstrieren, was da möglich ist, machte Lindqvist in New York das,
       was er auch gern tut, wenn er mit Medienvertretern spricht: Aus seiner
       Rocktasche angelte er ein silberglänzendes rechteckiges Metallstück heraus
       – fossilfreien Stahl.
       
       Beim aktuell angewandten Verfahren zur Stahlerzeugung wird ein Hochofen mit
       Eisenerz, Koks als Reduktionsmittel und weiteren Zuschlägen „beschickt“ –
       so das Fachwort. Das bei hohen Temperaturen gewonnene Roheisen wird dann
       weiterverarbeitet. Diese Art der Stahlproduktion setzt [1][enorme Mengen
       Kohlendioxid] frei, es wird geschätzt, dass sie allein für 7 Prozent des
       globalen CO2-Ausstoßes steht.
       
       ## Reduktionsanlagen statt Hochöfen
       
       „Hybrit“ heißt die [2][Technik], mit der nun SSAB anstelle von Koks im
       „Direktreduktionsverfahren“ Wasserstoff einsetzen will. Statt Hochöfen
       braucht man dann spezielle Reduktionsanlagen. Dort kommt nicht mehr
       Kohlendioxid aus dem Schornstein: Das Restprodukt ist Wasser. Im Labor
       funktioniert das.
       
       Derzeit baut man am SSAB-Hauptsitz im nordschwedischen Luleå eine
       Pilotanlage, die im kommenden Jahr fertig sein soll. Geht alles nach Plan,
       will SSAB ab 2026 am Standort in Oxelösund südlich von Stockholm mit der
       Umstellung zur industriellen Produktion von fossilfreiem Stahl beginnen.
       Bis Anfang der 2040er Jahre soll die gesamte Produktion von SSAB in
       Schweden und Finnland umgestellt sein. Das würde auch die finnische
       Klimabilanz um 7 Prozent verbessern.
       
       Hybrit (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology) war 2016 als
       Gemeinschaftsprojekt von SSAB, dem staatlichen Energiekonzern Vattenfall
       und dem ebenfalls staatlichem Grubenunternehmen LKAB gegründet worden. Die
       Schweden griffen dafür tief in die Tasche und finanzierten sowohl erst
       einmal die erforderlichen Forschungsprojekte und nun fast die Hälfte der
       Kosten für den Bau der rund 150 Millionen Euro teuren Pilotanlage in Luleå.
       
       SSAB wurde damit globaler Vorreiter. Das hat auch das Carbon Disclosure
       Project in London erkannt, das Umweltdatenbanken führt, in denen unter
       anderem Treibhausgasemissionen erfasst sowie die Reduktionsziele und
       -strategien von Unternehmen analysiert werden: Es führt in seiner kürzlich
       veröffentlichten Rangliste der Stahlunternehmen, die bei der
       „Low-carbon“-Umstellung weltweit am weitesten gekommen sind, [3][SSAB an
       erster Stelle].
       
       Auch nach New York war Konzernchef Martin Lindqvist von UN-Generalsekretär
       António Guterres eingeladen worden, um „eine der ehrgeizigsten Initiativen
       zur Bekämpfung des Klimawandels“ präsentieren zu können.
       
       ## Gesamte Produktionskette soll klimaneutral sein
       
       Von „fossilfrei“ könne beim Wasserstoffverfahren natürlich nur die Rede
       sein, „wenn die gesamte Produktionskette vom Eisenerzgestein bis zum heißen
       Stahl klimaneutral ist“, betont LKAB-Generaldirektor Jan Moström. LKAB als
       größter europäischer Eisenerzproduzent wolle dazu seinen Beitrag über eine
       bereits geplante Elektrifizierung der nordschwedischen Gruben und eine
       CO2-freie Produktion der Eisenerzpellets leisten.
       
       Für die Elektrizität wiederum, die für eine derartige Produktion ebenso wie
       für die Herstellung des Wasserstoffs erforderlich sein wird, ist Vattenfall
       mit seinen vorhandenen Wasserkraftwerken und einem geplanten Ausbau der
       Erneuerbaren verantwortlich. Um günstige Produktionsbedingungen bei der
       Windkraft für die Wasserstoffherstellung ausnutzen zu können, will der
       Konzern unterirdische Wasserstofflager bauen.
       
       Nach erfolgter Umstellung rechnet man für die Stahlindustrie mit einem
       Gesamtstrombedarf von 15 Terrawattstunden, zehn Prozent der derzeitigen
       jährlichen Stromproduktion Schwedens. Klar ist auch, dass die Produktion
       von fossilfreiem Stahl 20 bis 30 Prozent teurer sein wird als mit der
       jetzigen Produktionsmethode.
       
       ## SSAB von Kohlendioxidsteuer ausgenommen
       
       Wobei SSAB bislang sogar das Privileg hatte, die Erdatmosphäre so gut wie
       kostenlos aufheizen zu können. Denn während jeder Schwede an der Tankstelle
       seinen Beitrag für die 1995 eingeführte Kohlendioxidsteuer leisten muss,
       war SSAB als landesweit größter CO2-Verschmutzer aus Wettbewerbsgründen von
       dieser Steuer ausgenommen.
       
       Der Konzern unterstand nur dem EU-Emissionshandelssystem, in der Praxis
       bekam er seine CO2-Quoten bis in die jüngste Vergangenheit gratis. Mitte
       der 2030er Jahren werde fossilfreier Stahl preislich konkurrenzfähig sein,
       ist Martin Lindqvist überzeugt: „Schon jetzt gibt es ein großes Interesse –
       und es wird immer teurer werden, CO2 auszustoßen.“
       
       21 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Stahlproduktion-ohne-CO2-Ausstoss-Geht-das,salzgitterag218.html
   DIR [2] http://mb.cision.com/Public/980/2442686/bce6b92c82cb7c91_org.jpg
   DIR [3] https://www.cdp.net/en/investor/sector-research/melting-point
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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