URI: 
       # taz.de -- Umweltpolitik Friedrichshain-Kreuzberg: „Wir brauchen mutigere Ansätze“
       
       > Die grüne Umweltstadträtin Clara Herrmann setzt im Bezirk auf gerechtere
       > Aufteilung öffentlichen Raums. Klimaproteste findet sie gut.
       
   IMG Bild: Zivilen Ungehorsam findet sie richtig, soll aber gewaltfrei sein: Clara Herrmann
       
       taz: Frau Herrmann, gerade laufen weltweit die Klimaproteste von
       Extinction Rebellion, auch in Berlin gehen AktivistInnen auf die Straße und
       versuchen, den Autoverkehr zu blockieren. Sympathisieren Sie als grüne
       Umweltstadträtin mit der Bewegung? 
       
       Clara Herrmann: Ich habe dafür großes Verständnis. Ich finde zivilen
       Ungehorsam berechtigt, solange er gewaltfrei ist. Ich fand es allerdings
       schon bei den Friday-for-Future-Protesten schwierig, dass so viel über
       richtig oder falsch der Methoden diskutiert wurde. Da wurde wochenlang
       debattiert, ob Schule schwänzen okay ist, statt über die Klimakrise zu
       reden und wie wir verdammt nochmal die Klimaziele einhalten können.
       
       Gibt es für Bezirke eigentlich einen ökologischen Fußabdruck? 
       
       Ja, den gibt es. Unsere Einwohnerinnen und Einwohner verbrauchen im Jahr
       rund 1,65 Millionen Tonnen CO2. Das muss besser werden. Als Amt arbeiten
       wir jeden Tag daran. Durch den Beginn der Umstellung auf E-Mobilität bei
       unseren Fahrzeugen können wir nun 15 Tonnen CO2 im Jahr einsparen.
       
       Was unternehmen Sie denn als Umweltstadträtin, um die CO2-Bilanz zu
       verbessern? 
       
       Wir versuchen zum Beispiel, unseren kommunalen Fuhrpark nachhaltig zu
       gestalten, indem wir auf E-Mobilität umstellen. Und dort, wo es möglich
       ist, sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Fahrrad oder
       Lastenrad unterwegs: Damit sehen Sie unsere Gärtnerinnen und Gärtner vom
       Grünflächenamt jetzt durch den Park fahren. Und natürlich geht es auch
       darum – Stichwort Verkehrswende –, die Fahrrad-Infrastruktur zu stärken.
       Zukünftig kann man sich an zehn Standorten – fünf in Friedrichshain, fünf
       in Kreuzberg – kostenlos Lastenräder ausleihen. Das nennt sich Flotte
       Kommunal und sollte noch jetzt im Herbst losgehen, wenn die Fahrräder da
       sind.
       
       Macht es eigentlich Sinn, Umwelt und Verkehr als Ressort zu trennen? In
       Ihrem Bezirksamt ist das ja der Fall, für Verkehr ist Ihr Parteikollege
       Florian Schmidt zuständig. 
       
       Klar, Umwelt ist ein Querschnittsthema, das gilt für den Bereich Verkehr
       genauso wie fürs Bauen. Aber wir reden miteinander, auch über Abteilungen
       hinweg, und das funktioniert gut.
       
       Worüber reden Sie denn gerade konkret? 
       
       In Friedrichshain-Kreuzberg legen die Bürgerinnen und Bürger zwei Drittel
       der Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV zurück, ein Drittel mit
       dem Auto. Die öffentliche Infrastruktur ist aber genau andersherum
       ausgelegt: Zwei Drittel steht dem Auto zur Verfügung. Das ist ungerecht. Da
       muss es eine gerechtere Flächenaufteilung geben. Ein Beispiel: Wir brauchen
       mehr Fahrradbügel. Deshalb konnte man jetzt auch per App eine Nachricht ans
       Bezirksamt schicken, wenn man irgendwo einen Abstellbügel vermisst. Und
       natürlich brauchen wir, auch unter dem Aspekt des Klimawandels, eine grüne
       Infrastruktur, wir brauchen grüne Oasen für die Allgemeinheit.
       
       Da hat der Senat ja auch unlängst den Titel der „Schwammstadt“ – Stichwort
       Regenwasserspeicherung – ausgerufen und ein [1][Grüne-Dächer-Programm]
       aufgelegt, mit bescheidenem Erfolg: Es gibt kaum Anfragen. 
       
       Ich glaube, wir brauchen da radikalere, mutigere Ansätze. Ich würde mir
       stärkere Vorgaben und Pflichten wünschen, zum Beispiel bei der Begrünung
       von Dächern, zum Beispiel bei dem Bau von Photovoltaikanlagen.
       Planungsrechtlich kommt da der Biotop-Flächenfaktor ins Spiel, dafür
       brauche ich einen Landschaftsplan. Den habe ich nicht überall, wir kümmern
       uns aber. Aber ja, wir müssen schneller werden, da muss Tempo rein.
       
       Grüne Dächer sind keine öffentlichen grünen Oasen … 
       
       Ja, wir sind der am dichtesten besiedelte Bezirk, wir haben da große
       Bedarfe. Wir müssen uns zum Beispiel auch viel besser um unsere über 16.000
       Straßenbäume kümmern. Wir bekommen pro Baum etwas mehr als 48 Euro für die
       Pflege, wir brauchen aber mindestens 80 Euro. Und das Finanzielle ist das
       eine, das andere sind Baugenehmigungen: Wenn neu gebaut wird, müssen Bäume
       im Zweifel weichen. Der Bauherr kann dann entscheiden, ob er einen
       Ausgleich zahlt oder neu pflanzt. Da wäre eine Pflanzpflicht sinnvoller.
       Oder man hebt die Ausgleichszahlungen an, damit wir neue Bäume länger
       pflegen können – denn Pflege wird angesichts der trockenen Sommer, die wir
       zuletzt hatten, intensiver und teurer.
       
       Wird der Klimawandel auch schon bei der Neugestaltung der Bunkerberge im
       Volkspark Friedrichshain berücksichtigt? 
       
       Wir pflanzen dort über 40.000 neue Sträucher und Bäume, das wird ein
       naturnaher Wald mitten in der Stadt. Da gucken wir aber vor allem auf die
       biologische Vielfalt: Was bietet der Boden? Was brauchen die Bienen und
       andere Bestäuber?
       
       Vom Grün zum Bau: Wie ökologisch ist eigentlich der Mietendeckel? 
       
       Wenn ich die Mieten in den Griff bekommen möchte, dann brauche ich
       funktionierende Instrumente …
       
       … auch um den Preis, dass die energetische Sanierung zurückgeht? 
       
       Dann brauche ich wirkungsvolle Instrumente, um energetische Sanierung
       machen zu können.
       
       Welche wären das aus Ihrer Sicht? 
       
       Zum Beispiel die Modernisierungsumlagen: Eigentlich merkwürdig, dass die
       Mieterinnen und Mieter die tragen. Wer sein Gebäude als Eigentümerin nicht
       ökologisch fit und instand hält, muss in die Pflicht genommen werden. Ich
       würde den Mechanismus da gerne umdrehen: eine Abgabe für CO2-Emissionen
       auch für den Gebäudebereich. Das kann ich aber nicht auf kommunaler Ebene
       erreichen.
       
       Ein Appell an Ihre Parteifreundin Umweltsenatorin Regine Günther, eine
       entsprechende Bundesratsinitiative zu starten? 
       
       Ich freue mich, wenn Regine Günther das Thema verfolgt. Aber sie hat ja
       vieles, das in ihr Ressort fällt, etwa die Verkehrswende. Wenn wir die
       Klimaziele noch erreichen wollen, brauchen wir jedenfalls mutigere
       Initiativen als das sogenannte Klimapaket der Bundesregierung.
       
       10 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Klimawandel-und-Stadt/!5624298
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
   DIR Friedrichshain-Kreuzberg
   DIR Stadtökologie
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Friedrichshain-Kreuzberg
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Parkplatz
   DIR Lastenrad
   DIR Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
   DIR Volksbegehren
   DIR Luftqualität
   DIR Schulstreik
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Dachbegrünung
   DIR Energiewende
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Grün statt Grau: Kreuzberg an der Seine
       
       Friedrichshain-Kreuzberg will mehr Grün. Eine Studie im Auftrag der grünen
       Umweltstadträtin Clara Herrmann zeigt nun, wie das gehen könnte.
       
   DIR Friday For Future Berlin: Vor der Demo in die Spree
       
       Auch am 4. globalen Klimastreiktag gehen in Berlin mehrere Tausend Menschen
       auf die Straße. Viele Schüler, darunter ganze Klassen, sind gekommen.
       
   DIR Anwohnerparkplätze werden wohl teurer: Mehr Spielraum für Städte
       
       Ein wichtiger Schritt für die Verkehrswende: Minister Scheuer (CSU) will
       Kommunen ermöglichen, Parkausweise für AnwohnerInnen zu verteuern.
       
   DIR Kostenlose Lastenräder zum Ausleihen: Mit Wilma und Helbi durch Berlin
       
       Bis 2020 sollen 120 Lastenräder kostenlos zur Verfügung stehen. 72 davon
       gibt es in sechs Bezirken Berlins schon.
       
   DIR Studie der Royal Agricultural University: Bio kann dem Klima schaden
       
       Öko-Landwirtschaft zu Hause kann Emissionen im Ausland antreiben. Noch ist
       unklar, inwiefern das auf Deutschland übertragbar ist.
       
   DIR „Rettet die Bienen“ in Baden-Württemberg: Kretschmann stoppt Volksbegehren
       
       Vorbild CSU: Die baden-württembergische Landesregierung räumt mit einem
       eigenen Gesetz ein Volksbegehren zum Schutz der Insekten ab.
       
   DIR Luftqualität in Europa: 412.000 Todesfälle durch Feinstaub
       
       Mehr als 400.000 EU-Bürger fallen jährlich der Belastung durch Schadstoffe
       zum Opfer. Kaum jemand kann in Europas Städten reine Luft einatmen.
       
   DIR Aktionswoche von Extinction Rebellion: Ungehorsam anschlussfähig gemacht
       
       Viele Protestler haben jetzt ihre ersten Erfahrungen in zivilem Ungehorsam
       gemacht. Es gibt viele Pro und viele Contras. Ein Wochenkommentar.
       
   DIR Klimaproteste als Befreiung: Extinction Rebellion ist Ecstacy
       
       Die Klimabewegung Extinction Rebellion wird als esoterisch kritisiert.
       Gesänge, Rituale und der Haka sind aber ein Akt der Entkolonialisierung.
       
   DIR Klimaproteste gehen weiter: Nach dem Streik ist vor dem Streik
       
       Aktivist*innen demonstrieren vor dem Kanzleramt, heute verkündet Neukölln
       den Klimanotstand und bald gibt es ein Klimapaket von unten.
       
   DIR Klimawandel und Stadt: Das Grüne geht aufs Dach
       
       Das Konzept der Schwammstadt will die Folgen des Klimawandels abmildern.
       Doch grüne Dächer sind kein Ersatz für öffentliche Freiflächen.
       
   DIR E-mobile Verwaltung: Park-Visite ohne Lärm und Gestank
       
       Bei emissionsarmen Fahrzeugen ist Friedrichshain-Kreuzberg den meisten
       Bezirken voraus. Aber es bewegt sich was auf dem Weg Richtung
       CO2-Neutralität.