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       # taz.de -- Rechtsextremer Anschlag in Halle: Bestürzung nach den Schüssen
       
       > Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle herrscht Fassungslosigkeit
       > unter Politikern und in der jüdischen Gemeinde. Die Tat war wohl lange
       > geplant.
       
   IMG Bild: Zwei Frauen zünden eine Kerze auf dem Marktplatz von Halle zum Gedenken an die Ermordeten an
       
       BERLIN taz | Nach dem [1][rechtsextremen Anschlag von Halle] haben Menschen
       in mehreren Städten der zwei Toten und Verletzten gedacht. In Berlin
       beteiligte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwochabend an einer
       Solidaritätsaktion an der Synagoge in der Oranienburger Straße. Ihr
       Sprecher sprach von einem „Zeichen der Verbundenheit“. Der Zentralrat der
       Juden forderte derweil einen besseren Schutz für jüdische Einrichtungen.
       
       Am Mittwoch hatte der Rechtsextremist Stephan B., schwerbewaffnet und in
       Kampfmontur, versucht, die Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) zu stürmen.
       Die Tat übertrug er live ins Internet. Als der 27-Jährige an der Tür des
       Gebetshauses scheiterte, erschoss er eine Passantin. Dann fuhr er mit
       seinem Auto, einem Leihwagen, durch die Stadt und erschoss, als er einen
       Dönerimbiss entdeckte, auch dort einen Mann – einen „Kanaken“, wie er in
       dem Video sagte. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei floh Stephan B.
       aus der Stadt, kaperte ein Taxi und wurde später auf einer Landstraße
       außerhalb von Halle festgenommen.
       
       Der Anschlag hatte für einen Polizeigroßeinsatz und einen stundenlangen
       Ausnahmezustand in Halle gesorgt. Anfangs hatte auch die Polizei von
       mehreren flüchtigen Tätern gesprochen. Später war in Sicherheitskreisen nur
       noch von einem Einzeltäter die Rede: Stephan B.
       
       Inzwischen ermittelt die Bundesanwaltschaft zu dem Fall. Noch am Abend gab
       es eine Durchsuchung nahe Eisleben (Sachsen-Anhalt). In der Region soll
       Stephan B. leben. Der 27-Jährige selbst wurde nach seiner Festnahme
       medizinisch behandelt, weil er bei seiner Tat eine Verletzung am Hals
       erlitt.
       
       ## Gezielt an Jom Kippur
       
       Derweil zeichnet sich ab, dass Stephan B. die Tat längere Zeit
       vorbereitete. In einem im Internet veröffentlichten Manifest, das B.
       zugeschrieben wird, ist die Rede davon, dass ursprünglich ein Anschlag auf
       eine Moschee oder ein „Antifa-Kulturzentrum“ geplant gewesen sei. Der
       Hauptfeind aber seien die Juden, so der Autor. Den Anschlag habe er gezielt
       für Jom Kippur geplant, dem Feiertag, den Juden am Mittwoch begingen. Denn
       auch nichtreligiöse Juden würden an diesem Tag oft die Synagoge besuchen.
       
       Auch hatte der Attentäter die Synagoge zumindest grob ausgekundschaftet. In
       dem Manifest wird beschrieben, wie schwierig es sei, in das Gebetshaus in
       Halle zu kommen, da dieses von hohen Mauern und einer gesicherten Tür
       geschützt sei. Er wolle es dennoch versuchen, schreibt der Autor. Wenn nur
       ein Jude getötet würde, wäre es das schon wert.
       
       In dem Manifest werden zudem die Waffen für den Anschlag präsentiert: fünf
       Gewehre, eine Pistole, ein Schwert, dazu mehrere Handgranaten, Rohr- und
       Nagelbomben sowie 730 Schuss Munition. Etliche Waffen seien selbst
       ausgebaut, die Granaten etwa „Monate im Voraus“ präpariert worden, heißt
       es.
       
       Einige der Waffen sind auch in dem knapp 36 Minuten langen Tatvideo zu
       sehen, das der taz vorliegt. Gleichzeitig ist zu erkennen, wie Stephan B.
       immer wieder Probleme mit seinen Gewehren hat. Er selbst nennt sich
       daraufhin einen „Versager“. „Ich habe definitiv bewiesen, wie wertlos
       improvisierte Waffen sind.“ Wäre es nicht zu den Aussetzern gekommen und
       wäre B. in die Synagoge gelangt, hätte es wohl weit mehr Opfer gegeben.
       
       ## Plattform Twitch: „Geschockt über die Tragödie“
       
       Seine Tat richtete der 27-Jährige dabei offenbar gezielt an eine rechte
       Online-Community. Dort wurde vor der Tat ein Link zum Livestream
       verschickt. Das Manifest ist in Englisch verfasst, teils bewusst zynisch.
       Auch in seinem Tatvideo spricht Stephan B. auf Englisch, nennt sich selbst
       „Anon“ – ein beliebtes rechtes Online-Pseudonym. Dann leugnet er den
       Holocaust, macht den Feminismus für niedrige Geburtenraten verantwortlich,
       die zu Massenimmigration führten. Und nennt „den Juden“ als Grund aller
       Probleme.
       
       Vorbild für die Tat von Halle scheint damit das [2][Attentat im
       neuseeländischen Christchurch] vom März zu sein. Dort hatte ein
       Rechtsextremist in zwei Moscheen 51 Menschen erschossen. Auch er hatte sich
       in Kampfmonteur gekleidet, seine Tat online übertragen und in einem
       Manifest rechtsextreme Motive angeführt. Anders als der
       Christchurch-Anschlag wurde die Tat von Stephan B. in einschlägigen
       Internetforen indes kritisiert: Diese sei viel zu dilettantisch ausgeführt
       worden.
       
       Die Livestream-Plattform Twitch, auf der die Tat übertragen wurde, teilte
       mit, man sei „geschockt und betrübt über die Tragödie“. Fünf Personen
       hätten das Video live, 2.200 Menschen nachträglich angeschaut. Dann sei es
       gelöscht worden. Auch Facebook, Google und Twittert erklärten, eine
       Verbreitung des Videos stoppen zu wollen.
       
       Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte die Tat von Halle einen
       „neuen Ausdruck des wachsenden Antisemitismus in Europa“. Er forderte die
       deutschen Behörden auf, „weiterhin entschlossen“ dagegen vorzugehen.
       
       Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sprach von
       „Entsetzen und Erschütterung“ über den Anschlag. „Die Brutalität des
       Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist
       für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.“ Gleichzeitig formulierte
       Schuster scharfe Kritik. „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie
       Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös. Wie durch
       ein Wunder ist nicht noch mehr Unheil geschehen.“
       
       ## Jüdische Gemeinde in Halle kritisiert die Polizei
       
       Auch Max Privorozki, der Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Halle,
       kritisierte, dass seiner Synagoge trotz wiederholter Anfragen ein
       Polizeischutz verwehrt worden sei. Es habe immer geheißen, alles sei
       „ruhig“, sagte Privorozki in einem Video des Jüdischen Forums für
       Demokratie und gegen Antisemitismus. Stattdessen habe am Mittwoch ein
       eigener Sicherheitsmann den Angreifer auf einer Überwachungskamera
       entdeckt. Die gut 50 anwesenden Gemeindemitglieder, darunter zehn Gäste aus
       den USA, hätten darauf den Flur verbarrikadiert. Privorozki kritisierte
       auch, dass die Polizei „zu spät“ an der Synagoge aufgetaucht sei, mehr als
       zehn Minuten nach seinem Notruf. Erst nach Stunden wurden die Gläubigen in
       Bussen evakuiert.
       
       Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigte an, am Donnerstag mit
       Zentralratspräsident Schuster nach Halle zu reisen und dort auch Gespräche
       mit Vertretern der jüdischen Gemeinde zu führen. Die Tat sei „ein
       abscheulicher Angriff auf unser friedliches Zusammenleben“, sagte der
       CSU-Mann. Seehofer versprach dem Innenminister von Sachsen-Anhalt „jede
       erforderliche Unterstützung“.
       
       Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kündigte an, am Donnerstag die
       jüdische Gemeinde in Halle besuchen zu wollen. In der Stadt sei passiert,
       was in Deutschland unvorstellbar schien, sagte er.
       
       10 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schuesse-und-Tote-in-Halle/!5628784
   DIR [2] /Christchurch-Anschlag-in-Neuseeland/!5602966
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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