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       # taz.de -- Datenschützer unterliegt vor Gericht: G20-Fahnder dürfen weiter scannen
       
       > Das Verwaltungsgericht wischt die Anordnung des Hamburger
       > Datenschutzbeauftragten, die G20-Fahndungsdatei zu löschen, vom Tisch.
       
   IMG Bild: Biometrische Gesichtserkennung macht Totalüberwachung möglich
       
       Hamburg taz | „Dieses Urteil ist kein Sieg der Strafverfolgung über den
       Datenschutz“, versucht Richter Dietrich Hölzl seinem gerade gesprochenen
       Urteil jede grundsätzliche Bedeutung zu nehmen. Soeben hat Hölzl am
       Hamburger Verwaltungsgericht die Löschanordnung des Datenschutzbeauftragten
       für die Polizeidatei, auf der die Fahndung nach G20-Straftätern fußt, für
       rechtswidrig erklärt. Der Datenschützer Johannes Caspar habe seinen
       „Ermessungsspielraum verkannt“ und damit seine Kompetenzen überschritten.
       
       Am 18. Dezember 2018 hatte Caspar angeordnet, die Hamburger Polizei müsse
       eine Datei „mit mathematischen Modellen menschlicher Gesichter“ löschen,
       die die Ermittlungsgruppe „Schwarzer Block“ zur Aufklärung von Straftaten
       nutzt, die im Rahmen der G20-Proteste begangen worden waren.
       
       Insgesamt 100 Terabyte Bilder und Videos von Protestierenden, darunter auch
       friedliche Demo-TeilnehmerInnen und PassantInnen, hatte die
       Ermittlungseinheit zusammengetragen und mit einer
       Gesichtserkennungssoftware bearbeitet. Augenabstand, Nasenform und
       zahlreiche biometrische Gesichtsmerkmale waren durch diese Software
       analysiert, und die Gesichter dann ähnlich wie bei einem Fingerabdruck in
       mathematische Formeln – sogenannte Gesichtstemplates – zerlegt worden.
       
       Anschließend wurden Fotos von konkret Tatverdächtigen ebenfalls biometrisch
       ausgelesen und – nach Anordnung der Staatsanwaltschaft – mit den
       Gesichtsprofilen der Gesamtdatei verglichen. So konnten die ErmittlerInnen
       Bewegungsprofile von G20-GegnerInnen erstellen. „Das Vor- und
       Nachtatverhalten“ der Verdächtigen habe damit, so die Innenbehörde,
       aufgedeckt werden können. Oft habe man so auch Verdächtigen weitere
       Straftaten zugeordnet.
       
       ## Schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht
       
       Caspar hatte darin [1][schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht
       gesehen]: Unbeteiligte seinen biometrisch analysiert worden, ein solcher
       Dateifundus eröffne zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten.
       
       Zudem gebe es für den Aufbau einer solchen Datei bislang keine ausreichende
       Gesetzesgrundlage. Eine sogenannte Generalklausel des
       Bundesdatenschutzgesetzes, das die Verwendung biometrischer Daten zu
       Strafverfolgung in sehr allgemeiner Form erlaubt, reiche nicht aus. Nach
       Caspars Auffassung fand deshalb ein Großteil der G20-Strafverfolgung im
       rechtsfreien Raum statt. Die Hamburger Innenbehörde widersprach dem in
       allen Punkten und zog gegen den Löschantrag vor das Verwaltungsgericht.
       
       Das gab der Innenbehörde am Mittwoch nun Recht. Mit zwei wesentlichen
       Begründungen: Aufgabe eines Datenschutzbeauftragten sei es, tatsächliche
       Datenschutzverstöße in der Praxis aufzudecken und Maßnahmen zur Abhilfe
       vorzuschlagen oder anzuordnen. Caspar habe aber nicht die tatsächliche
       Ermittlungspraxis der Ermittlergruppe „Schwarzer Block“ als unrechtmäßig
       kritisiert, sondern nur auf die zahlreichen Missbrauchsmöglichkeiten
       hingewiesen, die eine solche Datei mit sich bringt. Das aber sei nicht sein
       Job.
       
       Zudem reiche die Generalklausel als Rechtsgrundlage aus, da die Daten nur
       für die G20-Strafverfolgung genutzt und nicht mit anderen Datenbeständen
       abgeglichen würden. Die Polizei dürfe biometrische Daten zur
       Strafverfolgung grundsätzlich erst einmal verwenden. Selbstverständlich
       müsse die Datei gelöscht werden, wenn sie im Rahmen der strafrechtlichen
       G20-Aufarbeitung nicht mehr gebraucht werde.
       
       ## Keine Revision zugelassen
       
       Da das Gericht selbst nicht zu beurteilen habe, ob die Hamburger
       Ermittlungspraxis in allen Punkten rechtskonform sei, sondern nur, ob die
       Löschanordnung des Datenschutzbeauftragten formal korrekt sei, komme dem
       Urteil „keine grundsätzliche Bedeutung“ zu, sagte Hölzl. Die Revision sei
       deshalb auch nicht zugelassen. Allerdings könne Caspar juristisch gegen die
       Nichtzulassung angehen.
       
       Das will der Datenschutzbeauftragte nun prüfen. Das Urteil ist in seinen
       Augen eines, „das den Datenschutz ausblendet“. Caspar sieht sich nach dem
       Urteilsspruch auf verlorenem Posten. „Wenn es keine konkrete gesetzliche
       Regelung für den Einsatz biometrischer Daten im Rahmen der Strafverfolgung
       gibt, können wir eben auch keine Verstöße gegen Gesetze nachweisen“, sagt
       er.
       
       Im Gegensatz zum Gericht sieht der Datenschutzbeauftragte sehr wohl eine
       grundsätzliche Bedeutung des Hamburger Urteilsspruchs. Und eine erhebliche
       Gefahr für die Bürger- und Persönlichkeitsrechte: „Dieses Urteil wird
       bundesweit dazu führen, dass die Strafverfolgungsbehörden in erhöhtem Tempo
       biometrische Datenbanken aufbauen und sorglos verwenden“.
       
       24 Oct 2019
       
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