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       # taz.de -- SPD Berlin entscheidet über Enteignungen: Sozialismus oder Tod
       
       > Die Berliner SPD muss sich am Samstag beim Landesparteitag entscheiden:
       > Pro oder contra Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen?
       
   IMG Bild: Ein Mitarbeiter der Verwaltung nimmt Unterschriften des Enteignungs-Volksbegehrens entgegen
       
       Berlin taz | 304/II/2019. Eine Stasiakten-Nummer? Die Antwort auf alle
       Fragen des Universums? Nein. Hinter diesem Kürzel steht der zentrale Antrag
       des SPD-Landesparteitags am Samstag. Es liegen zwar mehrere hundert Anträge
       vor, wenn die gut 220 Delegierten von Berlins immer noch größter Partei im
       Hotel Interconti tagen, darunter auch erneut zum Thema Verbeamtung (siehe
       rechts). Aber beim Antrag 304/II/2019 geht es um die Haltung der SPD zum
       Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, das milliardenschwere
       Folgen hätte. Die SPD, gerade erst mit Müh und Not aus den Diskussionen um
       den Mietendeckel herausgekommen, ist in dieser Frage gespalten – und
       Landeschef Michael Müller erweckt derzeit nicht den Eindruck, die Richtung
       allein vorgeben zu können.
       
       Schon beim vergangenen Parteitag Ende März sah die Tagesordnung eine
       Entscheidung vor. Aber die Parteispitze wollte es auf harte Konfrontation
       nicht ankommen lassen, empfahl stattdessen, bis zum Herbst zu diskutieren –
       was auch tatsächlich passierte – und dann abzustimmen, worauf sich auch die
       Jusos einließen. Der Parteinachwuchs hatte am vehementesten gefordert, das
       Volksbegehren zu unterstützen, das große Wohnungsunternehmen in Berlin
       weitgehend enteignen will, indem es ihnen nur jeweils 3.000 Wohnungen lässt
       und alle anderen verstaatlicht. Allein bei der „Deutschen Wohnen“ als
       größtem privatem Eigentümer wären das über 100.000 Wohnungen.
       
       Im ersten Schritt in Richtung eines Volksentscheids kamen im Frühsommer
       über 58.000 gültige Unterstützerunterschriften zusammen, nötig waren bloß
       20.000. Seither prüft die SPD-geführte Innenverwaltung des Senats, ob das
       Volksbegehren überhaupt verfassungsgemäß ist. Linkspartei und Grüne, die
       Partner der SPD in der rot-rot-grünen Landesregierung, befürworten das
       Volksbegehren. Machen das auch die Sozialdemokraten, bräuchte das Verfahren
       nicht langwierig weiterzugehen, die Koalition könnte stattdessen ab Montag
       mit einem Gesetz die Enteignung auf den Weg bringen.
       
       Zehn Parteitagsanträge sind aus den Kreisverbänden, Vereinigungen und
       Abteilungen zu diesem Thema eingegangen, zustimmende wie ablehnende. Eine
       der klarsten Pro-Positionierungen kommt dabei aus der reichsten Ecke der
       Stadt: „Wir sind mit der Kampagne solidarisch“, schreibt die SPD Dahlem in
       ihrer Forderung, die Enteignung zu unterstützen. Die Antragskommission des
       Parteitags hat daraus einen einzigen Antrag gemacht – eben 304/II/2019. Der
       versucht einen Mittelweg zu gehen, beschreibt den Einsatz der SPD für mehr
       bezahlbaren Wohnraum und weist auch darauf hin, dass grundsätzlich
       Vergesellschaftung, jenes weniger raue Wort für Enteignung, in Artikel 15
       des Grundgesetzes vorgesehen ist.
       
       ## Knappe Kiste
       
       Aber in der zentralen Frage stellt auch 304/II/2019 zwei Formulierungen
       einander gegenüber. Zentraler Satz der Pro-Variante ist: „Gemeinsam mit
       unseren Koalitionspartnern werden wir an die Initiative ‚Deutsche Wohnen &
       Co enteignen‘ herantreten, um die gesetzliche Ausgestaltung vorzubereiten.“
       Man erkenne die Initiative als Partner an. Die ablehnende Variante hingegen
       schließt mit dem Satz: „Die Vergesellschaftung der Bestände von großen
       Wohnungsunternehmen in Berlin halten wir nicht für zielführend“.
       
       In den Tagen vor der Entscheidung lässt sich schwer jemand finden, der
       seriös und offen eine sichere Mehrheit für eine der Positionen vorhersagt.
       „Es wird sehr knapp werden, egal in welche Richtung“, ist von Annika Klose
       zu hören, als Juso-Landeschefin eine klare Befürworterin der Enteignung.
       Aber auch eine ebenso entschiedene Gegnerin wie Iris Spranger, die
       Marzahner Kreischefin und Bauexpertin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus,
       mag nicht so tun, als sei die Lage klar – „wenn ich das wüsste, wäre ich
       froh“, sagt sie. Spranger fürchtet vor allem die bei Enteignung fällige
       Entschädigung für die Eigentümer.
       
       Die linke Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat diese Kosten im
       Frühjahr mit bis zu 36 Milliarden Euro beziffert, SPD-Finanzsenator
       Matthias Kollatz sprach Ende August von rund 20 Milliarden. „Dieses Geld
       würde ich lieber in den Neubau stecken“, sagt Spranger. Sie plädiert dafür,
       sich auf den Mietendeckel zu konzentrieren, auf den sich die Koalition erst
       vor wenigen Tagen geeinigt hat.
       
       Klose hingegen hält die Enteignungskosten für beherrschbar. Sie gehe zwar
       nicht so weit wie die Initiative, der zufolge sich das Ganze über laufende
       Mieteinnahmen fast von selbst bezahlt – „ohne eine Zuschuss aus dem
       Landeshaushalt wird es nicht gehen“, sagt sie. „Aber das werden keine 20
       Milliarden sein.“
       
       ## Kritik am Chef
       
       Die Debatte wird koalitionsintern begleitet von Kritik an Michael Müller.
       Während und im Anschluss an die stundenlangen Debatten über den
       Mietendeckel bemängelten Grüne und Linkspartei, dass Müller als Partei-
       und Regierungschef nicht in der Lage sei, die Richtung vorzugeben. Aus der
       SPD wiederum hieß es, da sollten sich die Grünen doch mal selbst angucken:
       Ihre Wirtschaftssenatorin Ramona Pop mit ihrem wie so oft pragmatischen
       Ansatz habe in ihrer ansonsten ideologisch eingestellten grünen
       Verhandlungsgruppe isoliert gewirkt. Jede Partei hat während der
       Verhandlungen über den Mietendeckel mit vier Leuten am Tisch gesessen.
       
       Dass die SPD-Delegierten am Samstag ab dem frühen Nachmittag auch bei
       laufender Debatte verstärkt auf ihre Handys gucken werden, bedeutet nicht,
       dass sie sich langweilen. Auf den Bildschirmen wird nämlich die Antwort auf
       eine andere Frage aufploppen, die nicht nur für die Berliner, sondern für
       die gesamte SPD zentral ist: wer nämlich die neue Bundes-Parteispitze
       bildet – am Nachmittag soll parallel zum Berliner Parteitag die erste Runde
       der bundesweiten Mitgliederbefragung ausgezählt sein.
       
       25 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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