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       # taz.de -- taz-Forum zur Landtagswahl in Thüringen: Nicht mit Nazi-Höcke
       
       > Wird Thüringen mangels Mehrheit unregierbar? Beim taz-Gespräch
       > überraschen die Kandidaten mit Freundlichkeit – und scharfer Abgrenzung
       > nach rechts.
       
   IMG Bild: Persönlich können sie sich offensichtlich gut leiden: Kandidaten und Moderatoren auf der Bühne
       
       Erfurt taz | Die schärfsten Attacken [1][beim Erfurter taz-Wahlforum]
       richteten sich nicht gegen einen der fünf Spitzenpolitiker auf der Bühne,
       sondern gegen die nicht anwesende AfD. „Höcke ist ein Nazi!“, positionierte
       sich [2][CDU-Herausforderer Mike Mohring], nachdem er aus dem Publikum auf
       einen möglichen Flirt mit der AfD angesprochen worden war. „Da gibt es kein
       Fackeln, weder vor noch nach der Wahl“, fügte Mohring seinem emotionalen
       Statement hinzu. Nur [3][die Linke] habe ein Interesse, eine solche
       Kooperation zu beschwören. „Ich habe nichts mit diesen Drecksnazis
       gemeinsam, die gehen mir auf den Sack“, steigerte sich Mohring noch, als es
       um die Verrohung und Militarisierung der Sprache ging.
       
       Die Frage einer schwarz-blauen Liaison stellt sich in Thüringen zwar nicht
       so zugespitzt wie im sächsischen Wahlkampfsommer. Sie bleibt aber
       theoretisch im Gespräch, weil sie nach den Umfragen eine knappe
       Mehrheitsbildung erlauben könnte.
       
       Unter Mohring dürfte eine solche Zusammenarbeit aber ausbleiben. Der
       CDU-Politiker war am Mittwoch auf der Bühne nicht allein mit seiner
       deutlichen Abgrenzung nach rechts. Susanne Hennig-Wellsow, Landes- und
       Fraktionsvorsitzende der Linken, verlangte, Anhänger der „faschistischen
       Partei“ AfD aus dem Polizeidienst zu entfernen. Nicht zum ersten Mal wählte
       sie diese Bezeichnung. SPD-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Wolfgang
       Tiefensee wollte indes die AfD nicht ausgrenzen. „Es ist wichtig, sich auf
       dem Podium mit ihr auseinanderzusetzen, Herrn Höcke zu stellen“, sagte er
       und erntete dafür „Nein“-Rufe aus dem Publikum.
       
       Untereinander aber gingen die anwesenden Parteivertreter so locker
       miteinander um, dass man kaum an Kämpfer vor einer ziemlich schicksalhaften
       Wahl glauben mochte. Die Atmosphäre im überfüllten Gast- und Kulturhaus
       „Speicher“, im ältesten Stadtkern Erfurts gelegen, mag dazu beigetragen
       haben. Aber schon lange fällt der über den Pflichtrespekt hinausgehende
       freundschaftliche persönliche Umgang politischer Kontrahenten in Thüringen
       auf, ein auffälliger Gegensatz zum neurotischen und verbiesterten Sachsen.
       Der Mike und die Susanne können gar nicht mehr dahinter zurück, dass sie
       einst gemeinsam an einer vierwöchigen Amerika-Reise teilgenommen hatten.
       Wenn man sich zur Begrüßung umarmt und einer dem anderen ein Bier
       mitbestellt, warum sollten dann CDU und Linke nicht auch miteinander
       koalieren können?
       
       ## Differenzen hinsichtlich des Verfassungsschutzes
       
       Dass es dafür durchaus Gründe gibt, zeigte sich dann doch recht schnell,
       denn in der Sache stoben am Mittwoch teils die Funken. Auch zwischen den
       Koalitionären von Rot-Rot-Grün, die am bevorstehenden Wahlsonntag auf eine
       knappe Bestätigung ihres Bündnisses hoffen, zeigten sich Differenzen.
       Unverändert will beispielsweise die Linke den Verfassungsschutz abschaffen,
       die SPD aber einen gut kontrollierten VS mit klarer Aufgabenstellung
       behalten.
       
       Wen der Geheimdienst vor allem zu beobachten habe, machte auch die CDU mit
       einer lange vermissten Klarheit deutlich. Generalsekretär Raymond Walk, der
       zunächst den später erscheinenden Mike Mohring vertrat, wartete als
       ehemaliger Polizeidirektor im Thüringer Innenministerium selbst mit
       alarmierenden Zahlen auf. 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung neigten zu
       extrem rechten Einstellungen. Die Zahl der registrierten rechtsextremen
       Gruppierungen und Vereine sei auf 25 gestiegen und damit regelrecht
       „explodiert“. Die Rechtsextremen im Bundesland seien darüber hinaus gut mit
       Reichsbürgern vernetzt, von denen Thüringen die höchste Dichte in
       Deutschland aufweise. „Die Gefahr des Rechtsextremismus ist unbestritten
       die größte“, resümierte der grundkonservative Walk.
       
       Mit der Frage, wie gute Schulbildung gelingen könne, ging es am Mittwoch
       auf dem Podium auch um das derzeitige Thema Nummer eins in Thüringen. Neben
       den üblichen gegenseitigen Schuldzuweisungen für die trotz der
       Neueinstellung von 3.900 Lehrern noch immer nicht stabile
       Unterrichtsversorgung ging es auch um Schulsysteme. Die grüne
       Umweltministerin Anja Siegesmund verteidigte einmal mehr die Freien
       Schulen, plädierte für ein Nebeneinander von Inklusion Behinderter und
       Förderschulen.
       
       ## Klimadebatte landete schnell bei Windräderfrage
       
       Alle Koalitionäre wollen längeres gemeinsames Lernen und die
       Gemeinschaftsschulen fortführen, während die CDU wenig überraschend „für
       jeden die richtige Schule“ in einem gegliederten Schulsystem will, so
       Raymond Walk. Die SPD möchte wiederum eine „Schulstrukturdebatte von oben“
       vermeiden. Wolfgang Tiefensee schlug die Ausstattung der Schulen mit einem
       eigenen Gestaltungsbudget und größere konzeptionelle Autonomie vor.
       Verwaltungsleiter sollten die Pädagogen von bürokratischen Aufgaben
       entlasten.
       
       Die Klimadebatte landete schnell bei der im waldreichen Thüringen speziell
       von CDU und AfD betonten Windräderfrage. Dabei sind in der auslaufenden
       Legislaturperiode nur hundert Windräder neu errichtet worden, so dass
       Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon besorgt fragt, warum denn
       der Ausbau in Thüringen stocke. Die CDU hat eine Mindestabstandsformel vom
       Zehnfachen der Windradhöhe erfunden und füttert damit die
       Kontra-Bürgerinitiativen. Tatsächlich aber liegen die Positionen hier nicht
       so weit auseinander, wie es scheint. Auch Umweltministerin Siegesmund will
       Windräder im Wald höchstens dort, wo der ohnehin durch Sturm oder den
       Borkenkäfer geschädigt ist.
       
       Wird Thüringen mangels Mehrheitsbildung unregierbar? Susanne Hennig-Wellsow
       schließt eine Koalition mit der CDU aus, die CDU tut umgekehrt desgleichen.
       Wieder kam im Erfurter Speicher ein bemerkenswerter Vorschlag von Wolfgang
       Tiefensee. Pragmatische Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten wie in
       seiner Zeit als Leipziger Oberbürgermeister ließen sich zwar nicht 1:1 auf
       einen Landtag übertragen. Aber Tiefensee möchte weg vom konfrontativen
       Koalitions-Oppositions-Denken. Eine wie auch immer aussehende Koalition
       könne sich auf 10–15 Kernprojekte verständigen, die wie der Haushalt mit
       Mehrheit durchgebracht werden müssen. Über weitere Fragen und Vorhaben
       könne frei entschieden werden. Es scheint, als ob Thüringen nach der ersten
       linksgeführten Landesregierung nun ein weiteres demokratisches Experiment
       erleben könnte.
       
       24 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=SJN-rPI6d9k
   DIR [2] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5634353
   DIR [3] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5629070
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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