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       # taz.de -- Pflege-Betrug in München und Augsburg: Leistungen erfinden und abrechnen
       
       > Pflegenotstand und zu wenig Kontrolle erleichtern den Betrug in der
       > Pflege. In Bayern durchsuchten Ermittler nun Pflegedienste und Praxen.
       
   IMG Bild: Goldgrube für Betrüger: Kriminelle haben im Pflegesystem bisher leichtes Spiel
       
       München taz | Von einem „großen Schlag“ spricht der Chef der
       Staatsanwaltschaft München I, Hans Kornprobst, und berichtet gemeinsam mit
       den an der Aktion beteiligten Kollegen und voller Stolz, wie am Vortag 33
       Staatsanwälte und über 600 Polizeibeamte in Augsburg und München
       ausrückten, um gegen bandenmäßigen Betrug von Pflegediensten vorzugehen. In
       Augsburg wurden bei den Razzien rund 175 Objekte durchsucht, in München 38.
       Darunter waren die Büros der Pflegedienste, Wohnungen von Verdächtigen und
       Patienten, auch Arztpraxen. 13 Personen wurden wegen Verdunklungs- und
       Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen.
       
       Ihnen und ihren Mittätern wird Abrechnungsbetrug im ganz großem Stil
       vorgeworfen. Die gängige Masche beschreiben die Ermittler so: Die
       Pflegedienste bauschten den Pflegebedarf ihrer Patienten künstlich auf, um
       dann Leistungen abzurechnen, die gar nicht erbracht wurden, wohl auch nicht
       notwendig waren. Dabei sollen die Beschuldigten systematisch Schwächen im
       Kontrollsystem der Kassen ausgenutzt haben.
       
       Oft seien es scheinbar unwesentliche Leistungen gewesen, die da mit
       betrügerischer Absicht abgerechnet worden sind, ohne dass sie erbracht
       wurden: eine Medikamentengabe hier, Hilfe bei der Körperpflege dort. Doch
       in der Summe habe sich ein Schaden ergeben, den die Ermittler auf
       mindestens eine Millionensumme im hohen einstelligen Betrag schätzen. Die
       Patienten oder ihre Angehörigen hätten sich dabei oft als Mittäter erwiesen
       und seien mit sogenannten Kickback-Zahlungen von 20 bis 130 Euro im Monat
       an den ergaunerten Summen beteiligt worden. Auch [1][Ärzte] seien mitunter
       mit von der Partie gewesen, indem sie Gefälligkeitsgutachten schrieben.
       
       Im Gesundheitswesen würden täglich in Deutschland mehr als eine Milliarde
       Euro ausgegeben, so Kornprobst. Diese Ausgaben könnten allerdings nur
       unzureichend überprüft werden, da es meist Dritte, also Kassen oder
       Sozialhilfeträger, seien, die für die Leistungen zahlen müssen, aber nur
       eingeschränkte Kontrollbefugnisse haben. Daher übe das Gesundheitswesen
       eine besonders große „Anziehungskraft auf schwarze Schafe“ aus. Es sei „in
       Teilen ein Schlaraffenland für Kriminelle“.
       
       ## Mitunter wurden auch Patienten geschädigt
       
       Dazu kommt auch die Notlage der Patienten. [2][Wegen des Pflegenotstands
       seien die Patienten oft dringend auf die Leistungen angewiesen] und somit
       den Pflegediensten praktisch ausgeliefert. Allein in der Staatsanwaltschaft
       München I seien deshalb zehn Staatsanwälte fast ausschließlich mit
       Betrugsfällen im Gesundheitswesen befasst.
       
       Die Hauptgeschädigten waren Krankenkassen, Pflegekassen und
       Sozialdienstträger. Mitunter wurden aber auch Patienten zumindest
       gefährdet. So berichtet Oberstaatsanwalt Richard Findl von einem Fall, in
       dem einer Patientin gegen ihren Willen eine hohe Dosis eines
       Beruhigungsmittels verabreicht wurde, sodass sie beim Besuch des
       Medizinischen Dienstes entsprechend abwesend und apathisch wirkte.
       
       Für die Kontrolle der Pflegedienste ist eigentlich der Medizinische Dienst
       der Krankenkassen (MDK) zuständig. Doch der wurde in den aufgedeckten
       Fällen offenbar systematisch manipuliert. Da der MDK seine Besuche am
       Vortag ankündigen muss, hatten die Betrüger in der Regel ausreichend Zeit,
       sich – und ihre Patienten – entsprechend darauf vorzubereiten. Da wurden
       dann beispielsweise für einen Tag Rollatoren herbeigeschafft, die gar nicht
       vonnöten waren und hinterher wieder abgeholt wurden, oder man fälschte die
       entsprechenden Papiere.
       
       An krimineller Energie mangelte es ganz offensichtlich nicht. So soll ein
       Patient, der als Pflegefall abgerechnet wurde, in einem Kiosk gearbeitet
       haben und auf einem Motorroller angetroffen worden sein. Ein anderer
       arbeitete als Schweißer, soll aber ständige ambulante Pflege bedurft haben,
       weil er sich nicht einmal mehr selbst habe rasieren können. Und ein dritter
       wurde beobachtet, wie er morgens mit dem Rollator einen Behördengang
       unternahm – beim Einkaufen nachmittags hatte er allerdings keinerlei
       Gehbehinderung mehr.
       
       Bei den Verdächtigen konnte die Polizei bereits erhebliche Geldsummen
       beziehungsweise Wertgegenstände beschlagnahmen: Da fand man mal Bargeld in
       Höhe von 2,5 Millionen Euro in einem Bankschließfach oder einen Koffer mit
       drei Millionen in einer der durchsuchten Wohnungen, aber auch Goldbarren,
       Rolex-Uhren und Schmuck.
       
       24 Oct 2019
       
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