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       # taz.de -- Schiedsrichter-Streik in Berlin: Schiris pfeifen auf Amateurfußball
       
       > 1.500 Spiele ausgefallen: Nach Gewaltvorfällen haben SchiedsrichterInnen
       > gestreikt. Sie vermissen Unterstützung vom Berliner Fußball-Verband.
       
   IMG Bild: Das Ehrenamt ist eine Baustelle: Amateur-Schiedsrichter auf dem Weg in den Jahn-Sportpark
       
       Berlin taz | Es ist ein Novum im Berliner Fußball: Am vergangenen
       Wochenende haben wegen eines SchiedsrichterInnenstreiks in Berlin keine
       Begegnungen im Amateurfußball stattgefunden. Am Donnerstag schon hatte der
       Schiedsrichterbeirat beschlossen, ein Zeichen gegen die nach eigenen
       Angaben zunehmende Gewalt auf Berliner Fußballplätzen zu setzen. „Die
       Gewalt auf Berlins Plätzen ist in dieser Saison gegenüber der Vorsaison
       gestiegen. Bereits jetzt, nach wenigen Spieltagen haben wir 109 Vorfälle
       von Gewalt und Diskriminierung auf den Berliner Plätzen zu verzeichnen“,
       wird der Vorsitzende des Schiedsrichterbereichs, Jörg Wehling, in mehreren
       Berichten zitiert.
       
       „In 53 Fällen wurden die Schiedsrichter als Opfer gezählt. Das sind
       alarmierende Zahlen, hier ist Handlungsbedarf gefordert und ein deutliches
       Stoppzeichen zu setzen“, sagt Wehling. Der Berliner Fußball-Verband (BFV)
       reagierte darauf und entschied in einer Telefonkonferenz am Freitag, alle
       Pflicht- und Freundschaftsspiele sowie alle Spiele im Futsalbereich
       abzusagen. Auch der Freizeit- und der Betriebssport waren betroffen.
       Insgesamt fast 1.500 Spiele wurden abgesagt. Die Partien ab der Oberliga,
       die in den Verantwortungsbereich des Nordostdeutschen Fußballverbandes
       (NOFV) und des Deutschen Fußballbundes (DFB) fallen, fanden dagegen statt.
       Der Streik der EhrenamtlerInnen ist dabei nicht beispiellos: Erst Mitte
       September hatten etwa im Saarland die SchiedsrichterInnen wegen
       Gewaltvorfällen gestreikt.
       
       Schon seit Jahren beklagen Schiedsrichter in Berlin eskalierende Gewalt und
       Beschimpfungen – vor allem im Männerbereich. Im September gab es einen viel
       diskutierten Vorfall beim Berlin-Ligisten BSV Al-Dersimspor. Die Partie
       geriet außer Kontrolle, Schiedsrichter Stefan Paffrath verteilte insgesamt
       vier Rote Karten. Nach dem Spiel wurde er von einem Spieler im Kabinentrakt
       geschlagen. Dem Kreuzberger Verein drohte daraufhin der Ausschluss aus der
       Berlin-Liga, doch beim Sportgerichtsurteil am 12. Oktober kam Al-Dersimspor
       mit vergleichsweise mildem Urteil davon: Der Verein darf weiterspielen; er
       wurde lediglich verpflichtet, fünf Ordner pro Spiel zu stellen, und der
       Täter ist für etwas mehr als ein Jahr gesperrt.
       
       Mehrere Schiedsrichter hatten das Urteil kritisiert, auch darauf bezieht
       sich der Streik. Es geht jedoch in erster Linie um grundsätzliche
       Problematiken: Gerade in Berlin werden gesellschaftliche und politische
       Spannungen häufig auf dem Fußballplatz ausgetragen – wenn etwa migrantisch
       geprägte Klubs auf weniger migrantisch geprägte Teams treffen oder Spieler
       verfeindeter Nationalitäten und Religionen gegeneinander antreten. Auch
       zunehmend aggressive Eltern am Spielfeldrand sind ein Problem. Der Berliner
       Fußballverband hatte jüngst in einer Kampagne Eltern zu mehr Zurückhaltung
       aufgefordert und Werbekampagnen für Schiris durchgeführt.
       
       ## Gewalt, Spannungen, Kommerzialisierung
       
       Dem Schiedsrichterausschuss gehen solche Versuche nicht weit genug. Die
       streikenden SchiedsrichterInnen fordern jetzt besseren Schutz durch Ordner,
       professionelle Sportgerichte, schärfere Sanktionen, wenn die Vereine
       keinen Schiedsrichter stellen, sowie verpflichtende Regelschulungen für
       Erste Mannschaften und die A- bis C-Jugend.
       
       Von ihrem Verband fühlen sich die SchiedsrichterInnen dabei nicht
       ausreichend unterstützt. Dem BFV hatten sie am vergangenen Montag
       vorgeschlagen, mit einem gemeinsamen Streik ein Zeichen zu setzen. Der
       Landesverband lehnte das ab. „Es gab mehrheitlich die Auffassung, dass ein
       kompletter Ausstand der Schiedsrichter die Mehrzahl der Vereine in Berlin
       bestraft, die friedlich und fair miteinander Fußball spielen“, so der BFV
       in einer Pressemitteilung am Freitag. „Vielmehr gab es vom Präsidium in
       Richtung Schiedsrichterbereich zwei schriftliche Alternativvorschläge.“
       Diese wesentlich harmloseren Vorschläge wiederum hatte der
       Schiedsrichterausschuss abgelehnt und war in Streik getreten; dem
       Landesverband schmeckte das nicht, er musste den Protest aber hinnehmen.
       
       Das Problem sieht der Verband durchaus ein: „Die zunehmende
       Gewaltbereitschaft gegenüber Schiedsrichtern sehe auch ich mit großer
       Sorge“, so BFV-Präsident Bernd Schultz am Freitag. „Hier gilt es,
       konsequent und gemeinsam gegen die Täter vorzugehen und alle Möglichkeiten
       der Sportgerichtsbarkeit auszuschöpfen. Gleichzeitig kann ein Ausstand von
       Schiedsrichtern immer nur die letzte Konsequenz sein.“ Der Landesverband
       plädiert weiterhin für mehr Präventionsarbeit. Viele SchiedsrichterInnen
       hingegen beklagten, dass sie sich gerade außerhalb des Platzes nicht mehr
       sicher fühlen.
       
       Das Thema ist komplex, Gewalt und gesellschaftliche Spannungen sind dabei
       nicht die einzigen Faktoren. Wegen der steigenden Geldbeträge auch im
       männlichen Jugendfußball und der explodierenden Gehälter im Profibereich
       der Männer sehen offenbar viele Eltern ihr Kind als Investitionsobjekt und
       haben wenig Skrupel, Unparteiische anzugehen, wenn ein Schiedsrichter dem
       vermeintlich hoch talentierten Spross Unrecht getan haben soll. Ebenso
       steigt der Druck auf Jugendspieler.
       
       Berlin mangelt es zudem seit Jahren an SchiedsrichterInnen, aktuell kommen
       etwa 1.100 Schiris auf 1.500 Spiele pro Wochenende; das liegt an der Gewalt
       und dem Mangel an Respekt, aber maßgeblich auch am Rückgang der Zahl
       Ehrenamtlicher. Die Vereine wiederum sind – auch bedingt durch immer höhere
       Anforderungen, Geldknappheit und Mangel an Freiwilligen – selbst überlastet
       und können sich nur unzureichend um SchiedsrichterInnen kümmern oder diese
       rekrutieren.
       
       Ein weiterer Faktor sind die problematischen Sportgerichte, die häufig aus
       wenig qualifizierten Laien bestehen und nicht immer sinnvolle Urteile
       sprechen. So entsteht eine Spirale der Eskalation.
       
       27 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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