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       # taz.de -- Trecker-Demo in Hamburg: Komplexe Welt
       
       > Unberechenbare Natur, knickrige Konsumenten, neue Gesetze: Alles das
       > stresst die Landwirte und treibt sie auf die Straße. Müssen wir mit ihnen
       > sein?
       
   IMG Bild: Friedfertige Trecker, protestierende Landwirte: Kundgebung am 22. Oktober in Rendsburg
       
       Am vergangenen Dienstag gab es in Hamburg eine Trecker-Demo. Trecker sind
       laut und langsam und sie haben immer etwas Fröhliches an sich. Ich bin
       selbst ein Jahr lang Trecker gefahren, ich habe damals, ich war 18 Jahre
       alt, einen Trecker-Schein gemacht, und dann ging es ab, über das Feld, bis
       einem am Abend aber so richtig der Arsch weh tat.
       
       Der Trecker ist so etwas wie das große, dicke, friedfertige Tier unter den
       Maschinen. Ohne den Trecker geht nichts, in der Landwirtschaft, er eignet
       sich sehr gut für eine wirkungsvolle, weil den Verkehr sehr gut
       blockierende, Demonstration. Ich wünschte, wir hätten alle viel mehr
       Trecker für Demonstrationen zur Verfügung.
       
       Der Trecker ist aber auch ein sehr gutes Symbol für die Landwirtschaft. Er
       ist langsam, schwerfällig und er hat aufgrund der großen Räder einen großen
       Wendekreis. So ist die Landwirtschaft. Anders als die Industrie, produziert
       sie nicht verlässlich, weil sie letztendlich auf der Natur beruht, und die
       Natur ist nicht berechenbar. Tiere können krank werden, Felder trocken
       bleiben, Schädlinge die Pflanzen befallen.
       
       Landwirtschaft ist ein unberechenbares Geschäft, und diese
       Unberechenbarkeit muss von den Landwirten mit aller Kraft bekämpft werden.
       Mit Bewässerung, mit Medikamenten, mit Dünger und Schädlingsbekämpfung. Das
       sind die Hilfsmittel, die es dem Landwirt ermöglichen, einigermaßen Plänen
       zu folgen, wie es nun mal die Wirtschaft verlangt.
       
       Und eben diese Hilfsmittel werden dem Landwirt auch zunehmend angekreidet.
       Die Tiere bringen die Medikamente direkt mit sich selbst in die Körper der
       sie verspeisenden Menschen, Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel landen
       im Grundwasser und in den Flüssen, in unserem Salat, in unserem Vorgarten,
       in den Rüsseln der Insekten, die irgendwann davon vielleicht eingehen und
       dann nicht mehr unsere Blüten bestäuben. Dafür wird der Bauer
       verantwortlich gemacht, und mit ein paar Gesetzen soll er gebändigt werden,
       gezügelt, in seinem Bedürfnis, sein Geschäft ein bisschen berechenbarer zu
       machen und zuverlässige Erträge zu erzielen.
       
       Denn die Natur wird zu allem Übel auch noch unberechenbarer, mit ihren
       Trockenheiten und Unwettern und dem ganzen Mist. Wenn da jetzt auch noch
       die Politik dem Bauern das wegnehmen will, was die Wirtschaft, die
       Konsumenten, von ihm verlangen, dann wird der Bauer langsam sauer.
       
       Es geht um das sogenannte neue Agrarpaket der Bundesregierung („ideologisch
       anmutende Gesetzespakete“, sagt: Land schafft Verbindung) und die
       Verschärfung der Düngemittelverordnung. Es geht auch um Ungerechtigkeiten,
       wenn kleine Höfe mehr als große Höfe gefördert werden, und darum, dass der
       Bauer mitreden will, wenn es um Gesetze geht, die ihn betreffen und ihn
       möglicherweise in seiner Produktion von Lebensmitteln behindern oder
       schädigen.
       
       „Bauern gegen Hetze“. „Nabu fordert Naturschutz. Bauern leben Naturschutz“.
       Sowas stand auf den Trecker-Transparenten. Möglicherweise gibt es
       unterschiedliche Vorstellungen von Naturschutz? Dass der Bauer überhaupt
       Gelder sozusagen geschenkt bekommt, wie ein Almosen, ist … nun ja, was ist
       das? Ein Fehler im System?
       
       Tja, und dann kann man sagen, die Bauern sind auch schuld an der Zerstörung
       der Umwelt, und also auch am Klimawandel, der ihre Existenz ebenso bedroht
       wie unsere. Man kann auch sagen, die Bauern ernähren uns, und wir müssen
       mit ihnen sein. Man kann sagen, wir selbst sind schuld, wenn wir nicht
       bereit sind, reale Preise für Lebensmittel zu zahlen, damit die
       Unwägbarkeiten der Landwirtschaft darüber ausgeglichen werden können. Man
       kann sagen, manche Bauern (und es gibt ja andere) sind reaktionär, weil sie
       nicht einsehen, dass sich etwas ändern muss.
       
       Man kann aber auch sagen, die Bauern haben das Recht, sich um ihre
       Existenzgrundlage zu sorgen und für sich einzustehen. Man kann sagen, wir
       haben keine Ahnung. All das mag sogar alles gleichermaßen stimmen. Unsere
       Welt ist nun mal komplex.
       
       31 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Seddig
       
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