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       # taz.de -- 40 Jahre nach Massaker von Greensboro: Täter frei, Opfer in Handschellen
       
       > Vor vier Jahrzehnten überfielen in den USA Rassisten Paul Bermanzohn.
       > Eines seiner Beine ist gelähmt. Die Taten wurden nicht aufgearbeitet.
       
   IMG Bild: Nelson Johnson zeigt auf ein Bild, das ihn 1979 nach den Anschlag des Klan mit einem Opfer zeigt
       
       New York taz | Nelson Johnson und Paul Bermanzohn waren blutjung, als
       Mitglieder von [1][Ku-Klux-Klan] und „American Nazi Party“ das Feuer auf
       sie eröffneten. Die Angreifer töteten fünf KommunistInnen und
       GewerkschaftsaktivistInnen und verletzten zahlreiche weitere, darunter auch
       Johnson und Bermanzohn. 40 Jahre später sind die beiden Männer im
       Rentenalter. Aber das Massaker von Greensboro begleitet sie weiterhin. Der
       Schmerz sitzt nicht nur in ihren Körpern. Der Schmerz rührt auch daher,
       dass niemals ein Täter verurteilt wurde und dass die radikalen Rechten
       heute erneut erstarken und sich zeigen – von rechtsextremen Demonstrationen
       quer durch das Land bis hin zu dem White Supremacist, der im Weißen Haus
       residiert.
       
       Kurz vor dem 40. Jahrestag des Massakers vom 3. November 1979 sitzen die
       beiden Überlebenden zusammen mit Joyce Johnson, die damals ebenfalls dabei
       war, auf einem Podium bei dem People’s Forum in New York, um über
       Schlussfolgerungen aus dem Massaker für künftige Bewegungen zu sprechen.
       
       Ihre kurzlebige maoistische Communist Workers Party war vor 40 Jahren eine
       multikultureller Truppe. Das zeigt sich auch in der Herkunft der
       Todesopfer. Zwei von ihnen kamen aus jüdischen Familien, einer war
       kubanischer Herkunft, die einzige Frau unter den Toten war eine
       afroamerikanische Aktivistin. Mehrere von ihnen hatten akademische
       Abschlüsse, arbeiteten aber „im Proletariat“, um schwarze Arbeiter in den
       Textilfabriken North Carolinas für Gewerkschaften und die Revolution zu
       gewinnen.
       
       „Es war eine nordamerikanische Todesschwadron mit staatlicher
       Unterstützung“, sagt Joyce Johnson. „Sie wollten die bekanntesten
       Aktivisten töten“, meint ihr Mann Nelson Johnson. Die beiden kleinen Kinder
       der beiden Johnsons waren bei dem Massaker dabei. „Wir waren stolze und
       offene Kommunisten“, sagt Bermanzohn: „Sie haben uns angegriffen, weil wir
       erfolgreich waren.“ Er geht am Stock. Nachdem er bei dem Massaker einen
       Kopf- und einen Armschuss erlitt, musste er in monatelanger Rehabilitation
       wieder laufen lernen. Sein linkes Bein und seine linke Hand blieben
       weitgehend gelähmt.
       
       ## War es der richtige Slogan?
       
       Die drei Überlebenden sind heute unterschiedlicher Meinung über den Slogan,
       unter dem sie vor 40 Jahren zusammen demonstrieren wollten: „Tod dem Klan“.
       Bermanzohn, der sein Berufsleben als Psychiater verbracht hat, steht bis
       heute zu dem Slogan. Nelson Johnson, der nach dem Massaker auf ein
       theologisches Seminar ging und Priester wurde, ist hingegen rückblickend
       unglücklich darüber. „Beendet den Rassismus“ erscheint ihm heute besser.
       Aber alle drei sind sich einig, dass die Arbeit, die sie damals begonnen
       haben, noch längst nicht abgeschlossen ist.
       
       Kurz vor dem 40. Jahrestag haben auf Betreiben von Nelson Johnson
       zahlreiche schwarze Prediger in North Carolina die Stadt Greensboro dazu
       aufgefordert, sich endlich dafür zu entschuldigen, was die örtliche Polizei
       1979 getan – beziehungsweise unterlassen – hat.
       
       Dank zweier Informanten, die zentrale Positionen beim offen rassistischen
       Ku-Klux-Klan und den Nazis hatten, waren die Polizei und das Bureau of
       Alcohol, Tobacco detailliert über die Gewaltvorbereitungen von Ku-Klux-Klan
       und den Nazis und über die geladenen Schusswaffen, die sie mitbringen
       würden, informiert. Aber die Polizei warnte die OrganisatorInnen der
       genehmigten kommunistischen Demonstration nicht. Und sie schützte sie auch
       nicht durch ihre Anwesenheit.
       
       ## Polizei wusste alles und tat nichts
       
       Als Ku-Klux-Klan und Nazis gegen 10 Uhr an jenem Samstagmorgen in einem
       Konvoi von neun Pick-ups an den Morningside Homes ankamen, von wo aus die
       linke Demonstration in die Stadtmitte von Greenboro starten sollte, war
       kein einziger Polizist vor Ort. Nach dem Massaker, das von örtlichen
       TV-Teams gefilmt wurde, konnten die Schützen ungestört wieder abfahren. Als
       die Polizei eintraf, nahm sie statt der Täter zahlreiche überlebende Opfer
       fest.
       
       Nelson Johnson war einer von ihnen. Trotz einer Stichwunde musste er die
       Nacht hinter Gittern verbringen. Die Polizei hielt ihn für „gefährlich“ und
       befürchtete, er könnte die Stadt aufwiegeln. Der damals 30-Jährige war ein
       populärer afroamerikanischer Aktivist in der rund 200.000 Einwohner
       zählenden Stadt. Nun aber begann seine Verteufelung. Am Tag des Massakers
       zielte ein Angreifer mit einem Schlachtermesser auf Johnsons Bauch. Der
       verteidigte sich mit einer Stange, die für das Aufspannen eines
       Transparents gedacht war. Der Stich landete in seinem Arm, weswegen er bis
       heute einen Mittelfinger nicht bewegen kann.
       
       Als Nelson Johnson wenige Tage später bei einer Demonstration vor dem
       Rathaus rief, „Die Polizei ist verantwortlich für die Toten“, wurde er
       erneut in Handschellen abgeführt. Die Bürgschaft für seine Haftentlassung
       war doppelt so hoch wie die für die mordverdächtigen Klan-Männer und die
       Nazis.
       
       ## Die Opfer festgenommen, entlassen und vertrieben
       
       Wie den meisten anderen Überlebenden des Massakers wäre auch Joyce Johnson,
       die als Dozentin an der A&T Universität in Greensboro lehrte, anschließend
       beinahe entlassen worden. Die Behörden von North Carolina machten es den
       Arbeitgebern in der Region klar, dass diese Kommunisten gefährliche
       AgitatorInnen seien, die gefeuert gehörten. Joyce Johnson behielt ihren Job
       nur, weil ihr Dekan den Mut hatte, sich dagegen zu stemmen.
       
       „Das Massaker und das, was danach geschah, hat eine Menge Leute
       eingeschüchtert und aus North Carolina vertrieben“, sagt Joyce Johnson. Sie
       und ihr Mann engagieren sich bis heute für mehr Transparenz in ihrer Stadt.
       Im Jahr 1987, als nach drei Gerichtsverfahren feststand, dass kein
       Klan-Mann und kein Nazi wegen des Massakers ins Gefängnis kommen würde,
       bereitete der Ku-Klux-Klan eine Triumphdemonstration in Greensboro vor.
       
       Nelson Johnson studierte damals Theologie und war davon überzeugt, „dass
       auch in Klan-Männern das Potenzial steckt, bessere Menschen zu sein“, wie
       er heute sagt. Er fuhr zu dem Wohnwagen im Wald, in dem der Grand Dragon
       der Ku-Klux-Klan lebte. Er trotzte dem Schild „Keine Nigger erlaubt“, schob
       ein Bibelzitat „Liebe deine Feinde“ unter der Tür durch und bat die
       Führungsfigur des Klans um ein Gespräch. Der lehnte zunächst ab. Dann
       verlangte er von dem Afroamerikaner, er solle allein und unbewaffnet
       kommen.
       
       ## Der Versuch einer Aussöhnung
       
       Nach Johnsons Erinnerung erschien Klan-Chef Caroll Crawford zusammen mit
       Virgil Griffin, einem anderen Führungsmitglied, der persönlich an dem
       Massaker beteiligt gewesen sein soll, sowie vier weiteren weißen Männern zu
       dem Treffpunkt an einer Tankstelle. Der Theologiestudent stieg in ihren
       Pick-up, mit dem sie zu einem Hotel in der Stadt Salisbury fuhren. Dort saß
       er zwischen den beiden Klan-Führern mit dem Rücken zum Fenster. Er erinnert
       sich, dass diese ihm gesagt hätten, dass andere Klan-Männer unterdessen aus
       anderen Räumen ihre Gewehre auf ihn gerichtet hätten.
       
       Das Gespräch habe drei Stunden gedauert. In seinem Verlauf beschuldigten
       die beiden Grand Dragons Johnson, dass Männer wie er weiße Frauen
       vergewaltigen würden und dass sie ihnen ihre Jobs wegnähmen. Johnson
       erreichte nicht, die angekündigte Klan-Demonstration in Greensboro zu
       verhindern. Aber er sah dennoch einen „kleinen Erfolg“ darin, dass die
       beiden Klan-Chefs versichert hätten: „Wir fangen da nichts an.“
       
       ## Nur ein Gedenkstein erinnert an das Massaker
       
       Die beiden Johnsons leiten heute das Gemeindezentrum The Beloved Community
       in Greensboro. Sie waren auch am Zustandekommen der ersten „Wahrheits- und
       Versöhnungskommission“ auf US-amerikanischem Boden beteiligt. Der Stadtrat
       von Greensboro lehnte eine Beteiligung daran ab, aber aus Südafrika reiste
       damals der Geistliche und Menschenrechtler Desmond Tutu an. Nach zwei
       Jahren kam die Kommission 2006 zu dem Ergebnis, dass „das wichtigste
       einzelne Element, das zu der gewalttätigen Konfrontation beigetragen hat,
       die Abwesenheit der Polizei war“.
       
       Die Stadt Greensboro tut sich bis heute schwer mit dem Massaker. Als 2015
       ein Gedenkstein aufgestellt wurde, brachen die alten Gräben erneut auf.
       Stadtrat Tony Wilkins fragte: „Wieso soll ein solcher Gedenkstein positiv
       für Greensboro sein?“ Mehrere Ratsleute protestierten gegen das Wort
       „Massaker“. Sie bevorzugten „Schießerei“ – als hätten Täter und Opfer beide
       geschossen –, konnten sich aber nicht durchsetzen.
       
       Im November 1979 war das Massaker von Greensboro nur wenige Stunden lang in
       den Schlagzeilen. Am Tag danach begann die Geiselnahme in der US-Botschaft
       in Teheran und verdrängte das Thema rasch. Aber die Johnsons arbeiten
       weiter an der Aussöhnung. Am nächsten Wochenende veranstalten sie eine
       dreitägige Konferenz. „Greensboro hätte nach dem Massaker ein Vorbild für
       die Nation werden können, wenn es damals geschlossen gegen diese rechte
       Gewalt aufgestanden wäre. Und diese Chance besteht für die Stadt immer
       noch“, sagt Nelson Johnson.
       
       2 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rassismus-im-US-Wahlkampf/!5282136
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR USA
   DIR Ku-Klux-Klan
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR White Supremacy
   DIR Ku-Klux-Klan
       
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       bewegt.