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       # taz.de -- Rechtsextremismus in Göttingen: Eine neue Qualität der Bedrohung
       
       > Immer wieder werden in Göttingen linke Projekte und Gebäude auf dem
       > Campus angegriffen oder Mahnmale geschändet. Nun gab es einen
       > Brandanschlag.
       
   IMG Bild: In der Nacht des Brandanschlags wurden unweit vom Tatort Campus-Wände beschmiert
       
       Göttingen taz | Die Übergriffe mutmaßlicher Rechtsextremisten auf linke
       Wohnprojekte und Universitätsgebäude in Göttingen haben ein neues Ausmaß
       erreicht. In der Nacht zu Montag verübten Unbekannte einen Brandanschlag
       auf dem Grundstück eines von Studierenden bewohnten Hauses am Rand des
       Campus.
       
       Gegen drei Uhr seien sie durch den Feuerschein aus dem Schlaf gerissen
       worden, berichten die Bewohner. In einem Holzunterstand im Garten hätten
       mehrere Sitzmöbel und Teile des Unterstands in Flammen gestanden. Das Feuer
       habe Sofas, das Dach und den Boden der hölzernen Konstruktion beschädigt.
       Bewohner konnten den Brand mit Wasser und einem Feuerlöscher ersticken,
       bevor er auf weitere Teile des Gartens oder des Hauses übergreifen konnte.
       Die Feuerwehr musste nicht mehr ausrücken.
       
       Die Hausgemeinschaft geht fest von einem Anschlag aus – und davon, dass
       Rechte ihn verübt haben. Für diese Annahme spricht, dass Unbekannte in
       derselben Nacht Wände auf dem Campus mit Hakenkreuzen, SS-Runen und dem
       Schriftzug „Wir kommen“ beschmierten. Außerdem wurden die Räumlichkeiten
       des linken Fachschaftsrates Sozialwissenschaften großflächig mit Farbe
       bemalt.
       
       Bereits in der Vergangenheit hatte es mehrere mutmaßlich rechtsextrem
       motivierte Übergriffe gegeben – allerdings war bislang nie Feuer an einem
       Wohnhaus gelegt worden. Im August hatten Unbekannte Hakenkreuze auf den
       Gedenkstein für frühere Zwangsarbeiter der Göttinger Universitätsklinik
       gesprüht. Am Kulturwissenschaftlichen Zentrum fand sich die mit roter Farbe
       gesprühte Forderung nach Freilassung Anders Breiviks und anderer
       faschistischer Terroristen.
       
       Im Juli wurde, nicht weit von der Universität entfernt, ein von Linken
       bewohntes Haus im Göttinger Ostviertel angegriffen. „Mindestens zwei bis
       drei Personen“ hätten sich an der Zerstörung eines Info-Kastens vor dem
       Gebäude beteiligt, sagt Marianne Albers, die Sprecherin der Göttinger
       Wohnrauminitiative, in der sich etwa zehn Wohn- und Hausprojekte
       zusammengeschlossen haben. Durch eine Reihe harter Tritte und Schläge sei
       der Kasten aus der Verankerung gerissen, umgestoßen und dadurch zerstört
       worden. „Danach rannten die Angreifer geschlossen in den Eingang der
       Burschenschaft Germania“, so Albers. Deren Verbindungshaus liegt, nur
       wenige Meter entfernt, in derselben Straße wie das attackierte Gebäude.
       Mehrere Augenzeugen hätten den Vorfall beobachtet.
       
       Anfang des Jahres wurden nach Angaben der Wohnrauminitiative zudem bei vor
       zwei alternativen Wohnprojekten geparkten Fahrrädern Bremszüge zerschnitten
       sowie Pyrotechnik durch ein Fenster in ein Gebäude geworfen.
       
       Das Staatsschutz-Kommissariat der Göttinger Polizei ermittelt in mehreren
       der genannten Fälle wegen Straftaten mit potenziell rechtsextremem
       Hintergrund. Mit Blick auf den Brandanschlag in der Nacht zu Montag hält
       sich die Polizei mit Tatzuweisungen zurück. Sie ermittele zunächst in alle
       Richtungen. Die betroffenen Hausbewohner beantragten am Dienstag über ihren
       Anwalt Akteneinsicht in das eingeleitete Verfahren.
       
       „Mit dem Brandanschlag verzeichnen wir eine neue Qualität extrem rechter
       Gewalt in Göttingen, die auch vor der Gefährdung von Menschenleben nicht
       Halt macht“, sagt Albers. „Es wird dringend Zeit, dass den Tätern Einhalt
       geboten wird, damit noch Schlimmeres für die Zukunft verhindert werden
       kann.“
       
       Auf polizeiliche Ermittlungserfolge hätten sich die Betroffenen in den
       vergangenen Jahren nicht verlassen können. Die Wohnrauminitiative
       appelliere daher „umso dringlicher“ an die Göttinger Zivilgesellschaft,
       sich öffentlich den Rechten entgegenzustellen und mit den nötigen Mitteln
       dazu beizutragen, dass diese Angriffe aufhörten.
       
       Die Gruppe von Piraten und „Die Partei“ im Göttinger Stadtrat geht davon
       aus, dass die Übergriffe nicht willkürlich, sondern gezielt und
       anlassbezogen erfolgen. Im Fall des Brandanschlags und der jüngsten
       Schmierereien mutmaßen die Piraten und Die Partei, die Urheber seien durch
       den Wahlerfolg der AfD in Thüringen ermutigt worden. „Wir dürfen die Augen
       nichtverschließen vor dem, was gerade in unserer Gesellschaft passiert“,
       sagt die Gruppenvorsitzende Helena Arndt. Akteure aus dem rechtsextremen
       Milieu fühlten sich bestärkt durch Wahlerfolge von Faschisten wie Björn
       Höcke (AfD) und dem politischen Wandel in Europa.
       
       Die beiden Parteien verweisen noch auf einen weiteren Fall, der dazu passt.
       Vor einigen Monaten sei ein Göttinger Gymnasium ebenfalls mit
       rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Symbolen beschmiert worden,
       nachdem die Presse über den Einbau einer All-Gender-Toilette an der Schule
       berichtet habe.
       
       30 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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