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       # taz.de -- Premiere an der Berliner Schaubühne: Zitronen und Schadenfreude
       
       > Erklär mal einen Witz: Herbert Fritsch inszeniert an der Berliner
       > Schaubühne Molières „Amphitryon“ als hinreißenden Nuschler.
       
   IMG Bild: Joachim Meyerhoff und Florian Anderer und absolut grandiose Kostüme in Molières „Amphitryon“
       
       Zitronen, Zitronen, wieso handelt Jupiter jetzt mit Zitronen? Ach nein, das
       Ohr stellt sich ein, es geht darum, wo Jupiter beliebt „zu thronen“.
       Merkur, der Götterbote, der immer noch zu Fuß losmuss, übt diese kleine
       Lautverschiebung, als er eine ziemlich fiese Betrügerei von Jupiter
       einfädelt. Der will mit Alkmene schlafen, der Frau Amphitryons, und dafür
       die Gestalt des auswärts kämpfenden Feldherrn annehmen.
       
       Merkur muss dafür in die Rolle von Amphitryons zauseligem Diener Sosias
       schlüpfen, dem im angestrengten Bemühen, alles richtig zu machen und
       deutlich zu sprechen, ein t zu viel dazwischenrutscht: „Obsttag, Obstnacht
       …“ Schon wieder Obst, denke ich, bis der Groschen fällt: „Ob’s Tag, ob’s
       Nacht …“
       
       Erklär mal einen Witz. Erklär du mal, warum du mehr als 90 Minuten über
       beide Backen grinsend auf diese farbenfrohe Bühne in der Berliner
       Schaubühne starrst. Weil da Buchstaben verrutschen? Weil der Text von
       Molière über zwei um ihre Selbstgewissheit gebrachte Männer, Herr und
       Diener, pointenreich ist?
       
       Weil hier Männer, die ihrer Kopie begegnen, so schön vom Thron ihrer
       Einmaligkeit segeln? Weil die Schauspieler wie aufgezogen heraus aus den
       Kulissen tänzeln, als wären sie barocke Puppen auf Rädern? Weil eine
       Schauspielerin als Alkmene schielt, den Mund schief zieht, knurrt wie ein
       Hund und lang hinschlägt wie ein Stock, um uns die Ekstase einer
       Liebesnacht vorzustellen?
       
       ## Vom Vergnügen der Schadenfreude
       
       Na ja, erste These, das Vergnügen hat etwas mit Schadenfreude zu tun. Aber,
       zweite These, dabei erhebt man sich in dieser Inszenierung von Herbert
       Fritsch nicht einfach über die Figuren und ihr Scheitern im Projekt, bella
       figura zu machen. Nein, es ist die Theatermaschine selbst, der man in all
       ihrer Vergeblichkeit, die Illusion des Wirklichen zu erzeugen, hier
       zuschaut, aus sicherem Abstand, rücken doch Kostüme und Bühnenbild das
       ganze Unternehmen vor einen barocken Horizont.
       
       Keiner scheint hier echt, der echte Amphitryon, jeden seiner Sätze mit
       galanten Gesten umtänzelnd, wirkt nicht weniger künstlich als der falsche.
       Man will es ja auch gar nicht anders, man liebt sie wie aus Papier
       ausgeschnittene und mit Buntstiften bemalte Figuren, die ein Kind sich
       ausgedacht hat und im papiernen Haus hin und her schiebt. Dritte These, so
       ist man glücklich, sich ganz dem Regressiven und Infantilen hingeben zu
       können.
       
       Aber das reicht noch nicht, es gibt auch eine Prise Salz unter dem Zucker.
       Die Leidenschaft und die Liebe, um die es hier letztlich geht, sind immer
       ein Stück harte Arbeit und eine geteilte Fiktion, es gehört nicht viel
       dazu, da herauszufallen – das erzählt diese Komödie auch und das kann man
       ernsthaft glauben. Wie sich das Selbst über seine Gefühle konstituiert und
       vergessen muss, in deren Erzeugung viel Kraft investiert zu haben, um sich
       selbst glaubhaft zu erleben – davon handelt Molières „Amphitryon“ eben
       auch.
       
       Die Inszenierung wird von einem großartigen Ensemble getragen, viele der
       Schauspieler*innen wie Axel Wandtke, Annika Meier, Carol Schuler haben
       schon in mehreren Produktionen mit Fritsch gearbeitet und sind inzwischen
       auch Ensemble-Mitglieder an der Schaubühne. Neu hinzugekommen ist
       [1][Joachim Meyerhoff], lange am Burgtheater in Wien und am Deutschen
       Schauspielhaus in Hamburg engagiert und inzwischen bekannt als Autor einer
       autobiografischen Romanreihe.
       
       ## Die Gier nach Lob
       
       In seiner Rolle des Dieners Sosias hadert er mit seiner Abhängigkeit von
       Amphitryon, aber auch mit seiner Angepasstheit an das Dienstbotendasein;
       Sosias spielt also immer schon eine Rolle, die ihn selbst nicht stolz
       macht. Er verachtet sich für seine Gier nach Lob und beschreibt damit auch
       die Verführbarkeit des Schauspielers, beim Publikum ankommen zu wollen.
       
       Man liebt den Schauspieler dafür, mit wie viel Liebe er das Unglück und
       Ungeschick seiner Rolle ausstattet. Wie ihm der Feldherr (Florian Anderer)
       in einem Dialog, der als Menuett aufgeführt wird, seine überlegene
       Geschicklichkeit vorführt, den Unglücklichen hierhin und dorthin zieht,
       umtänzelt und mit Pirouetten überrascht, als wolle er Sosias’ Gedanken
       vollends ins Trudeln bringen, gehört zu den lustigsten Szenen.
       
       16 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Band-4-von-Meyerhoffs-Erinnerungen/!5464757
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Bettina Müller
       
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