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       # taz.de -- Saša Stanišić und die „Tagesschau“: Und raus bist du!
       
       > Saša Stanišić gewinnt den Deutschen Buchpreis, die „Tagesschau“ schreibt
       > seinen Namen falsch. Eigentlich keine Überraschung.
       
   IMG Bild: Saša Stanišić (links) gewinnt den diesjährigen Deutschen Buchpreis
       
       Was muss ein Mensch tun, um als zugehörig zu gelten? Reicht es, fast 30
       Jahre lang in Deutschland zu leben, einen deutschen Pass zu haben, Deutsch
       zu studieren, eine Poetikdozentur an einer deutschen Hochschule
       innezuhaben, deutschsprachige Bücher zu schreiben, mit ihnen
       Bestsellerlisten zu füllen und für diese Werke mit renommierten Stipendien
       und Preisen ausgezeichnet zu werden, um als deutscher Schriftsteller zu
       gelten?
       
       Offenbar nicht. Das zumindest könnte man meinen, wenn man am Montagabend um
       20 Uhr die „Tagesschau“ angeschaut hat. Nachdem Saša Stanišić [1][den
       Deutschen Buchpreis erhielt], berichteten die Kolleg*innen [2][der ARD]:
       „Sasa Stanisic erhält Deutschen Buchpreis“.
       
       Nicht nur die „Tagesschau“ hielt es für zweitrangig, den Namen des Autors
       korrekt zu schreiben. Auch die taz schrieb ihn falsch. Und im April
       [3][erklärte die Frankfurter Rundschau] sogar: „Vorweg sei bemerkt, dass
       das Schriftprogramm, über das wir für die Zeitung verfügen, leider nicht in
       der Lage ist, den Namen des Autors korrekt abzubilden.“ Zur Erinnerung: Es
       ist 2019, jedes Handy kann Stanišić korrekt schreiben.
       
       Vielleicht war es Nachlässigkeit. Vielleicht lag es auch daran, dass die
       ARD den Schriftsatz einfach nicht hat.* Oder es lag daran, dass Annika und
       Karsten von der „Tagesschau“ nicht wissen, wie es sich anfühlt, wenn der
       eigene Name falsch geschrieben wird, und deswegen nicht darauf achten. Wie
       auch immer: Es ist, [4][wie Jagoda Marinić twitterte], Zeit, dass die ARD
       ihr Buchstabensortiment der deutschen Literatur anpasst.
       
       ## Helena statt Jelena, Fernando statt Jihad
       
       Denn es ist zwar kein Problem, wenn man einen Namen falsch schreibt. Aber
       es ist ein Problem, wenn das einfach so hingenommen wird. Wenn man sich
       nicht einmal die Mühe macht, einen Namen richtig zu schreiben. Und es ist
       ein Problem, wenn die bekannteste Nachrichtensendung in Deutschland die
       Namen von Menschen, die in diesem Land das öffentliche Leben prägen,
       wissentlich falsch schreibt – nicht zuletzt, weil es die Aufgabe von
       Journalismus ist, korrekt zu berichten.
       
       Gleichermaßen beschämend und ironisch ist, dass ausgerechnet die Würdigung
       eines Buches über Identität, über Zugehörigkeit und Fremdsein dieses Werk
       als das markiert: anders. Aber es ist eben auch keine Überraschung. Nicht
       wenige migrantische Personen ändern ihren Namen oder die Schreibweise ihrer
       Namen, um in diesem Land richtig angesprochen und benannt zu werden, um
       weniger anders, um zugehörig zu sein: Sie nennen sich Helena statt Jelena,
       [5][Vanessa statt Hồng Vân], [6][Fernando statt Jihad].
       
       Die Lektüre von „Herkunft“ sei allen ans Herz gelegt, die das Problem nicht
       nachvollziehen möchten. Denn über seinen Namen, oder wie Stanišić sagt: die
       Häkchen in seinem Namen, schrieb er bereits in dem nun ausgezeichneten
       Buch. Stanišić empfand sie in Deutschland als „Hindernis“: „Sie stimmten
       Beamte und Vermieter skeptisch, an der Grenze dauerte die Passkontrolle
       länger als bei Petra vor und Ingo hinter dir.“ Es ist egal, was
       Migrant*innen in Deutschland tun, am Ende bleiben sie ein Sonderzeichen.
       
       * Bis zur Veröffentlichung des Beitrages am 15.10. um 16.11 Uhr gelang es
       nicht, eine Stellungnahme der ARD zum Thema zu bekommen. 
       
       * Update: Am 16.10. um 16:04 Uhr gab ein Sprecher des NDR folgende
       Stellungnahme der Redaktion weiter: „ARD-aktuell nutzt nur bei
       französischen, spanischen und portugiesischen Namen Akzente, Tilden u. ä. –
       sowohl bei Klein- als auch bei Großbuchstaben. Diese Sprachen sind weiter
       verbreitet als andere und werden über die jeweiligen Länder hinaus
       gesprochen (z.B. in Lateinamerika oder Afrika/Asien). Auch Agenturen
       arbeiten offensichtlich mit unterschiedlichen Richtlinien – dort sieht man
       bei Fällen wie diesem diverse Schreibweisen.“
       
       15 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutscher-Buchpreis-2019/!5633925
   DIR [2] https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3RhZ2Vzc2NoYXUvNDhmNGY2MDctZjBjZC00NWQ1LTk3ODgtMzhhZGUzZmZkMTlj/
   DIR [3] https://www.fr.de/kultur/literatur/abenteuer-buch-12049744.html
   DIR [4] https://twitter.com/jagodamarinic/status/1183809713353478145
   DIR [5] https://www.zeit.de/zeit-magazin/2017-10/asylbewerber-deutschland-abschiebung-freiheit-vietnam/komplettansicht
   DIR [6] https://www.br.de/puls/themen/leben/aus-muslim-wird-latino-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simon Sales Prado
       
       ## TAGS
       
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