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       > Mut zum Risiko: „Scheitern! Liebe! Hoffnung!“ im Jugendtheater Strahl
       
       Von Gloria Reményi
       
       Das Ziel ist anspruchsvoll. „Das wird der beste Theaterabend, den es jemals
       gegeben haben wird“, rufen drei Figuren in auffälligen, bunten Kostümen.
       Doch kaum haben sie den Satz ausgesprochen, ist schon die Angst da. Was,
       wenn es nicht klappt? Um nicht zu scheitern, sollten sie den Plan
       vielleicht lieber sein lassen. „Wer nicht wagt, der nicht verliert“, lautet
       hier das Motto.
       
       Die drei Figuren auf der fast leeren Bühne des Jugendtheaters Strahl heißen
       Herz, Kopf und Körper. Stellvertretend stehen sie für jede*n Zuschauer*in
       im Saal. Schließlich dürfte jede*r Anwesende*r schon mal im Leben
       gescheitert sein oder die Komfortzone aus Versagensangst nicht verlassen
       haben. An dieser Erkenntnis knüpfen Regisseurin Anna Vera Kelle und Autorin
       Hannah Schopf in ihrem Stück „Scheitern! Liebe! Hoffnung!“ an, das sich
       einem der größten Tabus der Leistungsgesellschaft widmet: dem Scheitern.
       Dass das Stück sich an Jugendliche ab 14 Jahren richtet, macht Sinn, denn
       mit Erfolgsdruck wird man spätestens durch das schulische Notensystem
       konfrontiert. Außerdem sind die jüngeren Generationen in sozialen
       Netzwerken verstärkt der Inszenierung von Erfolg ausgesetzt, die Fehler als
       No-go vollständig ausblendet.
       
       Die Intoleranz gegenüber dem Scheitern herrscht also in der realen und der
       virtuellen Welt. Dem setzt das Stück ein Plädoyer für den mutigen Versuch
       entgegen. So beschließen Herz, Kopf und Körper am Ende doch, das Risiko
       einzugehen, den perfekten Theaterabend gestalten zu wollen, denn – so die
       Selbstreflexion des Stücks – die Offenheit fürs Scheitern ist im Theater
       eine Voraussetzung. Die Schauspieler*innen stürzen sich somit in
       fiktionale Rollen, nehmen sich Herausforderungen vor und scheitern daran.
       Ein Weltmeister erlebt nach einem triumphalen Sieg das Ende seiner
       Liebesbeziehung. Ein König versucht chancenlos Katastrophen in seinem Reich
       zu verbieten. Eine Künstlerin plant eine Revolution, doch sie kann ihre
       Verbündeten nicht davon überzeugen, eine für den Erfolg entscheidende
       Allianz zu schließen.
       
       Die kollektive Ebene des Scheiterns steht im Stück deutlich im Vordergrund.
       Die Abneigung des Königs, sein Anti-Katastrophen-Gesetz als gescheitert
       anzuerkennen, bezieht sich offensichtlich auf die mangelhafte Fehlerkultur
       in der Politik. In den Revolution-Teil haben die Theatermacherinnen zudem
       eine umfangreiche Recherche zur Revolution 1989/90 sowie zur
       Fridays-for-Future-Bewegung einfließen lassen. Doch die Fülle an
       historischen und aktuellen Bezügen wird dem Stück am Ende eher zum
       Verhängnis, sind sie doch nicht genug ausgearbeitet und bleiben an
       einzelnen Worten hängen.
       
       So wirkt auch die plötzliche Rückkehr zum Persönlichen gegen Ende etwas
       erzwungen. Doch schön und befreiend ist es zuzuhören, wie Herz, Kopf und
       Körper ihre kleinen Alltagsniederlagen liebevoll aufzählen und das
       Scheitern als Teil des Lebens anerkennen.
       
       Wieder am 12./13./14./15. November
       
       26 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gloria Reményi
       
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