URI: 
       # taz.de -- Rechtsextremismusforscher über Höcke: „Er ist kein eigenständiger Denker“
       
       > Björn Höcke ein Intellektueller? Unsinn, sagt Helmut Kellershohn. Der
       > Thüringer AfD-Spitzenkandidat sei vor allem ein Stimmungsmacher.
       
   IMG Bild: Schlüssige Ideologie? Fehlanzeige, Höcke klaubt sich zusammen was er brauchen kann
       
       taz am wochenende: Herr Kellershohn, am Sonntag wird in Thüringen gewählt.
       Umfragen sehen die AfD unter „Flügel“-Chef Björn Höcke bei 20 Prozent der
       Stimmen. Im Wahlkampf hat Höcke versucht, die AfD als konservative
       bürgerliche Partei darzustellen. Wo verorten Sie ihn? 
       
       Helmut Kellershohn: Höcke kommt aus einer völkischen Ideologietradition.
       Die Propheten der völkischen Bewegung waren, soziologisch betrachtet,
       Bürger. Sie kamen aus dem Mittelstand, waren Akademiker, Schriftsteller,
       Journalisten. Es hat im Bürgertum immer auch extremistische Tendenzen
       gegeben.
       
       Man darf Höcke mit Segen eines Gerichts inzwischen als Faschisten
       bezeichnen. Trifft dieser Begriff? 
       
       Ich bevorzuge den Begriff „völkisch“. Er beschreibt ein Grundelement der
       gesamten AfD. Höcke bringt dieses in besonders aggressiver Weise zum
       Ausdruck. Die völkische Bewegung hat sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts
       gebildet und wuchs nach dem Ersten Weltkrieg stark. Aus ihr stammen
       Begriffe wie „Umvolkung“ und „Lebensraum“, auf die sich Höcke bezieht. Der
       NS hat sich in diese Tradition gestellt. Nach der industriellen
       Massenvernichtung durch die Nazis konnte man diese Begriffe nicht mehr
       unbedarft benutzen. Durch die gezielt aktualisierte Verwendung zeigt
       Höcke, dass er über ein geistiges faschistisches Potenzial verfügt. In
       diesem Sinne trifft der Vorwurf zu.
       
       Teile des Flügels und auch die Zeitschrift Compact, die ein Sonderheft über
       Höcke herausgegeben hat, sind bemüht, ihn [1][als Vordenker zu
       inszenieren]. Auch Kritiker, zuletzt Grünen-Chef Robert Habeck, arbeiten
       sich gerne an seinem Gesprächsband ab. Aber ist er ein Vordenker? 
       
       Nein, Höcke ist kein eigenständiger, origineller Denker. Er ist eher ein
       Plagiator. Er setzt bestimmte Begrifflichkeiten, die er zusammenklaubt, in
       einer populistischen und aggressiven Weise ein. Er ist ein Stimmungsmacher,
       versucht, so Massen zu mobilisieren, auch aus dem neonazistischen Lager.
       
       Was klaubt er zusammen? 
       
       Einerseits natürlich die ganze völkische Ideologie des Instituts für
       Staatspolitik [IfS] um Götz Kubitschek. Aber auch ganz anderes. Der
       Begriff „solidarischer Patriotismus“ etwa ist keine Erfindung der Thüringer
       AfD oder Höckes. Er stammt von dem Bonner Politologen Volker Kronenberg.
       Oder der Begriff „Raubtierkapitalismus“ – den haben schon die
       Sozialdemokraten Schmidt und Müntefering benutzt.
       
       Ist das IfS Höckes ideologische Heimat, wie oft behauptet wird? 
       
       Das sagt er selbst. Ich würde eher sagen: Kubitschek hat sich Höcke als
       Repräsentanten des IfS in der AfD ausgeguckt. Höcke ist ja eine Art
       Emporkömmling.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Anders als [2][Andreas Kalbitz, der seit Jahrzehnten in der rechten Szene
       ist] und den ich für gefährlicher als Höcke halte, hat Höcke lange gesucht,
       wo er einsteigen kann. Kubitschek hat ihn dann gewissermaßen als Adlatus
       angenommen, dem er seine eigene Strategie einflüstern kann. Die Erfurter
       Erklärung ist ja fast O-Ton Kubitschek.
       
       Die Erfurter Erklärung war 2015 die Kampfansage an den damaligen AfD-Chef
       Lucke, sie ist quasi die Gründungserklärung des [3][„Flügels“]. 
       
       Darin wird die Idee einer fundamentaloppositionellen Bewegungspartei
       angedeutet, also rechte Bewegungen wie Pegida oder die Identitären mit dem
       Auftritt in den Parlamenten zu verbinden. Höcke hat das dann
       weiterverfolgt.
       
       Ist das Völkische der zentrale Gedanke, wenn man die Ideologie von
       Kubitschek und Höcke verstehen will? 
       
       Das stimmt bei Kubitschek nur halb, Höcke hat gar keine schlüssige
       Ideologie über die benutzten völkischen Versatzstücke hinaus. Kubitschek
       kommt aus der Tradition der Jungkonservativen, wie die völkische Bewegung
       ein Teil der so genannten Konservativen Revolution in der
       Zwischenkriegszeit. Auch die Jungkonservativen haben völkische
       Grundgedanken, wie sich am Beispiel des Begriffs Umvolkung zeigen ließe.
       Aber noch wichtiger ist für sie der Staat, der das Volk zuallererst formt
       und erzieht. Kubitschek geht es um den Umbau des Staates, der
       Institutionen, der Verfassung.
       
       Was heißt das genau? 
       
       Karlheinz Weißmann, ein ehemaliger Weggefährte Kubitscheks, hat mal gesagt,
       man muss den Staat und die Verfassung aus der „Gefangenschaft“ von Linken
       und Liberalen befreien. Wie das genau aussehen soll, darüber hält man sich
       bedeckt. Aber klar ist: Es geht um einen autoritären Staat.
       
       Höcke wird immer wieder – zum Beispiel von AfD-Chef Gauland – als
       „Nationalromantiker“ beschrieben, er kultiviert dieses Image auch. Wie ist
       das einzuordnen? 
       
       Die völkische Bewegung geht auf die politische Romantik zurück, bis zu
       Fichte und Arndt. Dieses romantische Element fließt auch in die
       Heimatideologie ein, die Höcke pflegt. Aber das darf nicht über seine
       aggressive Tonlage und seine antisemitischen Konnotationen hinwegtäuschen.
       Letztlich hat er ja ein simples Weltbild.
       
       Welches? 
       
       Die Welt werde vom Raubtierkapitalismus beherrscht, für den das
       internationale Finanzkapital verantwortlich sei. Höcke spricht von einem
       „internationalen Geldmachtkomplex mit seiner krakenhaften Machtstruktur“ –
       ein klassisch antisemitisches Bild. Dieser Komplex führt Krieg gegen die
       Völker, der zur Zerstörung von „Staat, Volk, Recht, Religion, Sicherheit,
       Sitte und Anstand“ führt. Erst also Verfall und Dekadenz, dann Apokalypse,
       schließlich die Erlösung.
       
       Welche Rolle spielt die Kapitalismuskritik? 
       
       Vieles ist Rhetorik, die Eigentumsverhältnisse will Höcke nicht angreifen.
       An dem Rentenkonzept kann man gut sehen, wie das funktioniert: Da schlägt
       er antikapitalistische Töne an, kritisiert etwa die Privatisierung der
       Rente, sagt, die AfD müsse den sozialistischen Auftrag übernehmen, den die
       Linke verraten habe. Aber dann kommt über die sogenannte Staatsbürgerrente,
       die nur für Deutsche gedacht ist, das Völkische rein.
       
       Höckes Reden und sein Buch sind voll Geraune über Widerstand und Umsturz.
       „Ich weise euch einen langen und entbehrungsreichen Weg, aber es ist der
       einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt“, sagt er etwa. Oder:
       „Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland.“ 
       
       Es ist viel Geraune dabei, ja. Und es wird nicht genau gesagt, was das Ziel
       ist. Kubitschek unterscheidet neuerdings zwischen minimalistischer
       Realpolitik und dem metapolitischen Maximum. Wenn er sagt, zu dem
       realpolitischen Minimum gehöre auch die Anerkennung der Demokratie, wäre es
       interessant, zu erfahren, was dann das Maximum ist.
       
       Höcke spielt mit dem Führergedanken. Dazu gehört der Personenkult auf dem
       letzten Kyffhäusertreffen des „Flügels“; in dem Gesprächsband spricht er
       von der Demokratie „im letzten Degenerationsstadium“ und legt mit
       Machiavelli nahe, dass ein starker Mann es richten muss. 
       
       Führerideologie offeriert Höcke schon mit dem Kyffhäusermythos: Es bedarf
       einer geschichtlichen Figur, die die „Zerrissenheit“ des Volkes wieder
       heilt. Das bedient Höcke stark. Das ist ein faschistisches Element, auch
       wenn die Führerideologie älter ist als der NS. Und Höcke offeriert sich
       selbst als Erlöser. Da ist auch Größenwahn dabei.
       
       Und doch: Liest man diesen Gesprächsband, trifft man auch auf viel Banales,
       auf viel Pathos und Kitsch, auf viele, viele Namen – so als müsste er sich
       durch all die Verweise aufwerten … 
       
       Ja, stimmt alles. Aber es gibt eben auch viel Unerträgliches. Wenn er etwa
       von der „deutschen Unbedingtheit“ spricht: „Wenn einmal die Wendezeit
       gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen“. Oder wenn er
       von einem groß angelegten „Remigrationsprojekt“ spricht, bei dem man „um
       eine Politik der ,wohltemperierten Grausamkeit' “ nicht herumkommen werde.
       Da zitiert er Sloterdijk, stellt aber einen ganz falschen Bezug her.
       
       Höckes Einfluss in der AfD ist begrenzt, manche bezeichnen ihn als
       Posterboy oder als Maskottchen. Wie gefährlich ist er? 
       
       Als einzelne Person genommen, würde ich ihn nicht als gefährlich
       bezeichnen. Aber man muss ja die ganze Szenerie sehen. Das Umfeld bringt
       ihn in diese Rolle, und er füllt sie bereitwillig aus. Um es mal zugespitzt
       zu sagen: Man ist nicht Führer, sondern man wird zum Führer gemacht.
       
       26 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-Rechte-Intellektuelle/!5573764
   DIR [2] /Brandenburgs-AfD-Spitzenmann-Kalbitz/!5615669
   DIR [3] /Parteitag-der-NRW-AfD/!5628357
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Der Flügel
   DIR Björn Höcke
   DIR Rechtsradikalismus
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Reaktion auf Nazi-Terror: Der Staat gegen Rechts
       
       Von „Hasspostings bekämpfen“ bis „Behörden aufstocken“: Was steht im
       Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus?
       
   DIR Thüringens Wirtschaftsminister Tiefensee: Populär, aber erfolglos?
       
       Wolfgang Tiefensee wollte eigentlich nie ganz nach oben. Als
       Wirtschaftsminister in Thüringen fühlte er sich aber sichtlich wohl. Bleibt
       er im Amt?
       
   DIR Vor der Wahl in Thüringen: Klein, schön und radikal
       
       Unsere Autorin stammt aus Thüringen. Sie liebt Omas Klöße, die Städte und
       den Wald – und fragt sich, warum Ramelow und Höcke erfolgreich sind.
       
   DIR Wahlkampfendspurt in Thüringen: Knappes Ergebnis erwartet
       
       Die Thüringer entscheiden am Sonntag über einen neuen Landtag. Den letzten
       Umfragen zufolge wird es spannend. Rot-Rot-Grün könnte die
       Regierungsmehrheit verlieren.
       
   DIR Reden über die AfD: Die Wahrheit ist schlimm genug
       
       Thüringens CDU-Kandidat Mohring nennt Höcke einen Nazi – eine erfreulich
       klare Abgrenzung. Doch ein rhetorischer Überbietungswettbewerb verbietet
       sich.
       
   DIR taz-Forum zur Landtagswahl in Thüringen: Nicht mit Nazi-Höcke
       
       Wird Thüringen mangels Mehrheit unregierbar? Beim taz-Gespräch überraschen
       die Kandidaten mit Freundlichkeit – und scharfer Abgrenzung nach rechts.
       
   DIR Landtagswahl in Thüringen: Thüringen ist nicht wurscht
       
       Wie viel hält die Demokratie aus, wenn es kompliziert wird? Warum die Wahl
       in Deutschlands Mitte so wichtig ist – und warum sie spannend wird.