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       # taz.de -- Bestrafung von Hassdelikten im Netz: Löschen und verfolgen
       
       > Wie soll die Anzeigepflicht für Hass im Internet künftig aussehen? Ihre
       > geplante Einbindung ins NetzDG wird wohl nicht alle Delikte abdecken.
       
   IMG Bild: Wo fängt Hass an?
       
       Freiburg taz | Der Terrorist Stephan B., [1][der in Halle eine Synagoge
       angegriffen hat,] war zwar – strafrechtlich gesehen – ein Einzeltäter. Er
       wurde aber durch eine hasserfüllte rechtsextremistische Szene im Internet
       radikalisiert, deren Beifall er auch erhoffte. Die [2][rechtspolitische
       Diskussion im Anschluss an den Fall Halle] dürfte sich also zumindest
       teilweise darauf konzentrieren, den strafbaren Hass im Internet künftig
       auch tatsächlich zu bestrafen.
       
       Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant bereits eine
       Anzeigepflicht für die Betreiber von sozialen Netzwerken wie Facebook,
       Twitter und Youtube. Hierzu will sie das 2017 eingeführte NetzDG
       verschärfen. Die Abkürzung NetzDG steht für „Gesetz zur Verbesserung der
       Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“. Das NetzDG fordert bisher von
       Facebook und Co, dass sie ein effizientes Beschwerdemanagement unterhalten.
       So müssen offenkundig rechtswidrige Inhalte nach einer Beschwerde binnen 24
       Stunden gelöscht werden.
       
       Wenn die geplante Anzeigepflicht ins NetzDG integriert wird, ist das für
       die Netzwerk-Betreiber erst mal eine gute Nachricht. Denn sie werden
       voraussichtlich nicht dazu verpflichtet, proaktiv auf ihren Seiten nach
       strafbaren Inhalten zu suchen. Vielmehr würde sich an die berechtigte
       Beschwerde eines Nutzers nur eine zweite Reaktion anschließen. Der
       rechtswidrige Post würde nicht nur gelöscht, sondern auch den Behörden
       gemeldet, also angezeigt.
       
       Auch bisher durften Netzwerke einen strafbaren Hasspost schon anzeigen,
       faktisch taten sie dies aber nicht. Letztlich blieb die Anzeige
       Privatpersonen oder Organisationen überlassen. Wer auf Facebook
       Volksverhetzung entdeckte, hätte den entsprechenden Post also nicht nur bei
       Facebook, sondern auch bei der Polizei melden müssen. Das war bisher
       selten. Immerhin sieht das NetzDG aber auch jetzt schon vor, dass strafbare
       Inhalte von den Netzwerken nicht einfach entfernt werden, sondern „zu
       Beweiszwecken“ zehn Wochen lang zu speichern sind.
       
       ## Auch bei Beleidigung?
       
       Aus der Integration der Anzeigepflicht ins NetzDG ergibt sich auch, für
       welche Delikte die Meldepflicht vermutlich gelten wird. Das NetzDG erfasst
       bisher nicht alle strafbaren Handlungen, sondern nur rund zwanzig Delikte,
       vom Verbreiten von NS-Kennzeichen über Beleidigung und Verleumdung,
       Volksverhetzung, Beschimpfung von Religionsgemeinschaften bis hin zur
       Verbreitung von Kinderpornografie.
       
       Lambrecht hat inzwischen eingeschränkt, dass die Anzeigepflicht nur für
       „Offizialdelikte“ gelten soll. Das sind Delikte, bei denen die
       Staatsanwaltschaft stets ermitteln muss, weil kein Strafantrag des
       Betroffenen erforderlich ist. Damit wären Beleidigungen von der
       Anzeigepflicht ausgenommen, weil bei solchen Fällen in der Regel ein
       Strafantrag erforderlich ist. Hier müsste der Betroffene also weiter selbst
       entscheiden, ob er eine strafrechtliche Verfolgung will. Allerdings schlägt
       die schwarz-grüne hessische Landesregierung vor, künftig auch die
       Beleidigung zum Offizialdelikt zu machen.
       
       Das NetzDG gilt bisher nur für soziale Netzwerke (mit mindestens zwei
       Millionen Nutzern), die zum Teilen „beliebiger Inhalte“ bestimmt sind.
       Game-Portale wie Steam wären trotz Problemen mit rechtsextremistischen
       Inhalten von der Anzeigepflicht nicht erfasst, da sie „spezifische Inhalte“
       verbreiten. Die CDU/CSU hat aber bereits gefordert, auch Game-Portale
       generell ins NetzDG einzubeziehen.
       
       Doch auch bei [3][Facebook] würde die geplante Anzeigepflicht nach
       derzeitiger Praxis weitgehend leerlaufen. Facebook löscht zwar
       hunderttausendfach problematische Inhalte, die von Nutzern gemeldet werden,
       aber in der Regel stützt sich Facebook dabei auf eine Verletzung seiner
       Community-Standards. Nur ganz selten beruht die Löschung auf dem NetzDG.
       
       ## Vieles ist derzeit im Fluss
       
       Der Grund ist banal: Eine „Flagging“-Meldung wegen Verletzung der
       Facebook-Richtlinien ist einfach, eine Meldung nach dem NetzDG ist
       kompliziert, weil das entsprechende Formular nur schwer zu finden ist. Im
       ersten Halbjahr 2019 gab es laut Facebook-Transparenzbericht nur 674
       NetzDG-Beschwerden. Bei einer ins NetzDG integrierten Anzeigepflicht hätte
       Facebook also nur in diesen 674 Fällen die Behörden informieren müssen.
       
       Allerdings ist die Sache auch hier im Fluss. Das Bundesamt für Justiz, das
       für die Umsetzung des NetzDG zuständig ist, hat im Juli 2019 ein Bußgeld in
       Höhe von 2 Millionen Euro gegen Facebook verhängt, weil der NetzDG-Meldeweg
       „zu versteckt“ sei.
       
       Angesichts dieser zahlreichen Probleme verwundert es nicht, dass die
       Bundesregierung bisher noch keine konkreten Pläne zur Verschärfung des
       NetzDG vorgelegt hat.
       
       16 Oct 2019
       
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