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       # taz.de -- Rugby-WM in Japan: Duell der Narrative
       
       > England gilt vor dem Finale des Turniers als Avantgarde des Spiels.
       > Südafrika setzt dagegen auf Emotionen in einem wirklich multikulturellen
       > Team.
       
   IMG Bild: Vor dem Finale: Südafrikas Rugby-Team bei einer Trainingseinheit
       
       TOKIO taz | „Ein Sieg Südafrikas wäre furchtbar für das Spiel, deshalb bin
       zum ersten Mal in meinem Leben für England.“ Ausgerechnet ein Ire sagt das
       vor dem Finale der Rugby-WM in Yokohama (Sa., 2. 11., 10 Uhr/Pro7Maxx). Der
       heute 40-jährige Brian O’Driscoll war einer der größten Rugby-Spieler
       seiner Generation und zudem lange Jahre Kapitän der [1][irischen
       Nationalmannschaft].
       
       „Wer Rugby liebt, möchte immer, dass der Weltmeister das sehenswerteste
       Prunkstück dieses Sports ist. Und deshalb muss man am Samstag Eddie Jones
       und seinen Männern viel Glück wünschen. Sie spielen gerade den aufregenden
       Stil, den wir brauchen, um jüngere Spieler für Rugby zu begeistern.“
       
       Ein WM-Finale zwischen den Springboks aus Südafrika und den Red Roses aus
       England hatte es vor zwölf Jahren schon einmal gegeben. Damals war England
       als Titelverteidiger angetreten und wurde als „Zerstörer“ von der übrigen
       Welt leidenschaftlich gehasst. Schwergewichtig und einfallslos hatten sie
       die Gegner in Materialschlachten im Zentrum gezwungen und letztlich ihren
       Star, Kicker Johnny Wilkinson, immer wieder mit Drop Goals und Penalties
       zur Exekution antreten lassen. Am Ende gewann Südafrika. Es war „ein Sieg
       für alle, die das Spiel lieben“ wie die australische Fachzeitschrift
       Rugby Heaven damals schrieb.
       
       Die Vorzeichen haben sich geändert. Spätestens nach der [2][Demontage der
       All Blacks] aus Neuseeland im Halbfinale werden Eddie Jones und seine
       jungen Wilden als die Avantgarde des Rugby gefeiert – und die Springboks
       für ihr konservatives „Kicking Rugby“ verdammt. „Prickelnd“ und
       „erbarmungslos“ hatte die Fachwelt den Stil der Engländer beschrieben und
       dabei vor allem die WM-Novizen Tom Curry, Sam Underhill und Maro Itoje
       hervorgehoben. Alles Entdeckungen von Mastermind Eddie Jones, der den
       Schleudersitz des englischen Nationaltrainers nach dem desaströsen
       Vorrunden-Aus bei der Heim-WM 2015 nur übernommen hatte.
       
       ## Die Kamikaze-Kids
       
       Dass der nur 1,60 Meter große Australier ein besonderes Auge für Gewinner
       hat, bewies er jetzt vor allem mit Curry und Underhill, die er seine
       „Kamikaze Kids“ nennt, weil sie, „wenn sie zupacken, alles treffen, was
       sich bewegt“. Beide spielen als sogenannte Openside Flanker, beherrschen
       Tackling und Passspiel und sind vor allem dort Könige, wo die gegnerischen
       Angreifer getackelt werden, wo gerungen und getreten wird – in der
       sogenannten Breakdown Area.
       
       Tom Curry ist mit 21 Jahren der jüngste Stürmer, der England jemals bei
       einer Rugby-Weltmeisterschaft vertreten hat. Und Sam Underhill war vor vier
       Jahren, als sich England bei der Heim-WM nicht nur gegen Wales blamiert
       hat, noch Student der Wirtschaftswissenschaften in Cardiff. Als „Attentäter
       mit dem Babyface“ und „Slammin’ Sam“ bilden sie das Duo der „Kamikaze
       Kids“. Sie repräsentieren eine neue Generation global gefeierter Posterboys
       des Rugby-Sports. Aus dem Team mit Außenseiterchancen ist der Favorit für
       das Finale geworden.
       
       Und doch wollen sich die Südafrikaner nicht in die Schablone der
       ideenlosen Rugby-Einfaltspinsel pressen lassen. Immerhin verfolgen sie in
       Yokohama ihre eigene Mission. Worin diese besteht, das hatten die
       Springboks vor allem vor dem Viertelfinale gegen Japan gezeigt. Obwohl die
       Japaner schon mit voller Inbrunst ihre Hymne gesungen hatten, wurden sie an
       Hingabe noch von den Südafrikanern übertroffen: Kapitän Siya Kolisi mit
       geschlossenen Augen und dem Kopf tief im Nacken, eingerahmt von seinen
       Mitspielern Tendai Mtawarira, Bongi Mbonambi und Frans Malherbe, die
       äußerlich die Vielfalt der Regenbogennation präsentierten.
       
       ## Südafrikas schwarzer Kapitän
       
       Siyamthanda Kolisi ist seit vergangenem Jahr der erste schwarze Kapitän in
       der über 128-jährigen Geschichte der Springboks. Kolisi stammt aus einem
       bettelarmen Township bei Port Elizabeth, hatte minderjährige Eltern, die
       beide bereits tot sind, wurde aber schon mit zehn Jahren aufgrund seiner
       Rugby-Fähigkeiten von einer weißen Elite-Highschool aufgenommen. Er zählt
       etliche weiße Südafrikaner aus eher konservativen Kreisen zu seinen besten
       Freunden, darunter auch Eben Etzebeth, der 2016 zum Kapitän der Sprinboks
       gewählt worden war und den Siya Kolisi nun auf dieser Position abgelöst
       hat.
       
       Tendai Mtawarira‚ Mitspieler Kolisis, wie der Kapitän vom Volk der Xhosa
       und aufgrund seiner Statur nur „The Beast“ genannt, beschrieb dessen Rolle
       für Mannschaft und Land so: „Er macht auf seine Weise alle Südafrikaner
       stolz. Und als Kapitän hält er eine multiethnische Truppe zusammen, die
       erstmals wirklich ziemlich genau zur Hälfte aus Weißen und farbigen
       Spielern besteht.“
       
       Sollte Siya Kolisi am Samstag den Webb Ellis Cup in den Himmel heben,
       werden Südafrikas Helden nicht mehr nur Schalk, Bakkies oder Frik, sondern
       auch Makazole, Sbu oder eben Siyamthanda mit Vornamen heißen. Das ist
       gegen die Story von Eddie Jones und seiner junge „Kamikaze-Truppe“ auch
       kein schlechtes Narrativ.
       
       1 Nov 2019
       
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