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       # taz.de -- Südafrika ist Rugby-Weltmeister: Der Cup geht ans Kap
       
       > Mit 32:12 schlägt Südafrika im Finale der Rugby-WM England. Der dritte
       > Titel für die Springboks ist vielleicht noch wertvoller als der von 1995.
       
   IMG Bild: United Nation: Südafrikas Springboks holen den WM-Titel
       
       Yokohama taz | Manchmal tritt man im Sport nicht gegen mehr Kraft oder
       größeres Geschick, sondern einfach nur gegen eine bessere Geschichte an.
       Und man brauchte nach den 80 Minuten von Yokohama nur Südafrikas Kapitän
       Siya Kolisi zuzuhören, um einen Eindruck davon zu gewinnen, gegen welches
       Narrativ die Engländer an diesem Abend verloren hatten. Er hätte als Kind
       eigentlich nie davon geträumt, das Finale einer Rugby-WM zu gewinnen, so
       der 28-Jährige, „denn in meinen Träumen ging es eher darum, wann es wohl
       das nächste Mal was zu essen geben wird“.
       
       Genau daran wird Siya Kolisi wohl gedacht haben, als er Samstagabend im
       Tumult auf dem Siegerpodest ganz demütig die Augen schloss und noch Zeit
       für ein kurzes Gebet fand, bevor er als erster schwarzer Kapitän in der
       Geschichte der Rugby-WM den Webb Ellis Cup in den Himmel hob.
       
       Es war ebenjener Kolisi, der auch schon vor dem Spiel eine ziemlich genaue
       Prognose für die Dramaturgie von Yokohama abgegeben hatte: „Große
       Rugbyspiele werden in der Verteidigung gewonnen“, so der Kapitän der
       Springboks. Und weiter: „Es wird eine Linie im Sand geben, die sie
       versuchen zu überschreiten, und wir werden versuchen, sie daran zu hindern.
       Mit Disco-Beleuchtung ist dabei nicht zu rechnen.“ Später, als alles schon
       entschieden war, würde er noch hinzufügen: „Unser Coach hat es kurz und
       schön zusammengefasst, als er uns sagte: Setzt weiter auf Körperlichkeit
       und haltet die Engländer im Gedränge gefangen.“
       
       Und obwohl Finals der Rugby-WM traditionell eine zähe Angelegenheit sind,
       hatten die 70.000 im International Stadium von Yokohama doch gehofft, dass
       diese so begeisternde WM auf dem Rasen im Endspiel auch ihren mitreißenden
       Höhepunkt finden würde: [1][Das letzte Mal] liefen die Spieler also unter
       dem Dröhnen japanischer Trommeln ein, zum letzten Mal wurden lautstark die
       Hymnen gesungen.
       
       Auf den Rängen dominierte das Weiß der Engländer, unten auf dem Rasen
       hatten allerdings von der ersten Minute an die Springboks das Sagen, und
       das noch mehr, als einer der physisch stärksten Engländer im Gedränge, Kyle
       Sinckler, bereits nach drei Minuten mit einer Kopfverletzung vom Platz
       musste. Danach verwandelte das Match sich exakt in das, was Kolisi
       prophezeit hatte.
       
       ## Mit Holzkohle schön durchgegrillt
       
       Der englische [2][Guardian] fasste die erste Hälfte ganz gut zusammen, als
       er schrieb: „Diese Springbok-Rohlinge aßen unser Gedränge auf, als wäre es
       mit Holzkohle schön durchgegrillt und in einem Brötchen mit Senf und
       gebratenen Zwiebeln serviert worden.“ Mit ihrer seit jeher gefürchteten
       Physis hatten es die Südafrikaner geschafft, ähnlich wie beim japanischen
       Judo Englands größte Stärke in ihre größte Schwäche umzuwandeln. Und heraus
       sprangen immer wieder Penalties, die der Südafrikaner Handre Pollard selbst
       aus größten Entfernungen sicher verwandelte.
       
       Tatsächlich waren die Männer von England-Coach Eddie Jones in diesem Match
       von der zehnten bis zur letzten Minute einem Rückstand hinterhergelaufen.
       Nur einmal, da hatten nur wenige Zentimeter gefehlt, um diesem Spiel einen
       ganz anderen Swing zu geben. Nach einer halben Stunde stand es lediglich
       6:3 für die Südafrikaner, und die Männer in Weiß hatten es erstmals in die
       Endzone des Gegners geschafft. Der Ball wanderte durch zahlreiche Hände
       einmal von ganz links nach rechts und wieder zurück. Es fehlte nur wenig
       bis zum ersten und vielleicht entscheidenden Versuch, aber die grüne Wand
       erwies sich einfach als undurchdringlich an diesem Abend.
       
       Die Unterlegenheit im Gedränge erwies sich für die Engländer an diesem
       Abend als fatal. Am Ende waren es aber die pfeilschnellen Flügelstürmer
       Makazole Mapimpi und Cheslin Kolbe, die mit Versuchen in der 68. und 75.
       Minute den Männern in Weiß endgültig das Genick brachen. Beim Spielstand
       von 32:12 wurde schon Minuten vor Abpfiff der neue Titelträger in den
       Sockel des Webb Ellis Cups graviert, und auf den überwiegend weißen Rängen
       waren nur noch die „Bokke, Bokke“-Rufe zu hören.
       
       Die Dominanz der Südafrikaner an diesem Abend musste später selbst
       [3][Englands Mastermind Eddie Jones] zugeben: „Südafrika ist ein würdiger
       Weltmeister, weil sie uns in diesem einen entscheidenden Spiel wirklich
       dominiert haben.“
       
       Und vielleicht war es am Ende tatsächlich der Druck, mit dem das sehr junge
       Team der Engländer nicht umzugehen wusste. Spätestens nach der
       Halbfinaldemontage der All Blacks aus Neuseeland galten sie als Favoriten.
       Ein bisschen mehr Erfahrung in großen Turnieren hätte da gutgetan. Die
       hatten die Südafrikaner zwar auch nicht, aber offenbar die nötige
       Lockerheit.
       
       Auf den berühmten „Druck“ angesprochen, sorgte Südafrikas Trainer Rassie
       Erasmus für ein Highlight: „Wir haben uns als Team schon vorm Viertelfinale
       geschworen, das Wort Druck aus unserem Vokabular zu streichen. Druck heißt
       in Südafrika, keine Arbeit zu haben oder einen Freund durch einen Mord zu
       verlieren. Rugby sollte keinen Druck erzeugen. Rugby bringt Freude, und
       Rugby bringt vor allem Hoffnung.“ Und weiter: „Diese WM hat uns alle
       zusammengebracht. Zu wissen, dass Millionen von Menschen für ein paar
       Stunden gebannt vorm selben Drama sitzen, ist nicht wenig in unserer
       zersplitterten Welt.“
       
       Gewonnen hat in Japan mit Südafrika erstmals ein Team, das vorher ein
       Gruppenspiel verloren hatte. Und während im Presseraum gleichzeitig die
       ersten Bilder von einer gigantischen Jubelmenge aus Johannesburg
       herüberschwappten, machten sich Tausende englische Fans auf, um ihren
       Kummer in zahlreichen Pints in den Hafenbars von Yokohama zu ertränken.
       
       3 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=lD-mqVq4Kmc
   DIR [2] https://www.theguardian.com/sport/blog/2019/nov/02/south-africa-springboks-england-rugby-world-cup-victory-motivation
   DIR [3] https://www.theguardian.com/sport/2019/nov/02/eddie-jones-south-africa-worthy-winners-silent-on-future-rugby-world-cup
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Henkel
       
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