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       # taz.de -- Krimimarathon Berlin-Brandenburg: Jede Menge Tatorte
       
       > Die Krimiszene kennt für jedes Pläsierchen ein eigenes Subgenre. Beim am
       > Montag startenden Krimimarathon wird entsprechend bunt gemordet.
       
   IMG Bild: Nun, Hauptsache spannend!
       
       Ohne Krimi tut’s die Mimi leider nicht“, beklagte sich 1962 der
       amerikanischdeutsche Sänger Bill Ramsey, „und es brennt die ganze Nacht das
       Licht.“ Im Schlager „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ wird das
       lyrische Song-Ich vom Dauerlesen der Gattin wachgehalten und schlägt sich
       deshalb die Nächte bei „ein paar Klaren“ in der Bar an der Ecke um die
       Ohren. So wie Krimi auf Mimi reimt sich im Songtext Interpol auf Alkohol.
       Lang ist’s her.
       
       In der Zwischenzeit ist sowohl Netflix erfunden worden, das uns vom Lesen
       abhält, als auch der E-Reader, der uns sozialverträgliche Bettlektüre
       erlaubt, wenn andere Personen schlafen wollen. An einem aber hat sich
       nichts geändert: Krimis sind auf dem Buchmarkt immer noch ein Dauerbrenner.
       Mehr noch: Würde Mimi aus den sechziger Jahren in die Jetztzeit
       katapultiert, bräche sie überfordert zusammen angesichts der mitunter viele
       Meter langen Krimiregale in den Buchhandlungen. Eine Qual der Wahl müsste
       sie überstehen, denn heutige LeserInnen können sich entscheiden zwischen so
       vielen Subgenres, dass Mimi einen Einführungskurs belegen müsste, um sich
       einen Überblick über die Szene zu verschaffen.
       
       Die Zeiten, in denen das Genre einigermaßen eindeutig zwischen den Polen
       „Whodunit“ und „hard-boiled“ aufgeteilt werden konnte, sind vorbei. Zum
       einen hat sich die Szene immer weiter aufgefächert. Der Thriller als
       Spannungsroman, der nicht notwendigerweise immer mit kriminalistischen
       Inhalten verbunden ist, hat zwischen den Polen an großer Bedeutung
       gewonnen. Unzählige Zwischenformen sind entstanden, und der genrehungrige
       deutsche Buchmarkt absorbiert immer mehr auch das, was in anderen Ländern
       im Krimisegment geschrieben wird.
       
       Darin spiegeln sich auch ganz allgemeine kulturelle Verbindungen und
       Interessen. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ging die
       steigende Bedeutung des skandinavischen Kriminalromans einher mit der
       zunehmenden Begeisterung für den europäischen Norden als Urlaubsregion.
       (Inzwischen ist es umgekehrt sogar so, dass etliche skandinavische
       AutorInnen ihre Krimiproduktion überhaupt erst mit Blick auf den deutschen
       Buchmarkt anwerfen.) Heute, in der Internet-und-Billigflieger-Welt, liegen
       sowohl die Reiseziele insgesamt weiter weg als auch die kulturellen
       Interessen. So haben sich zum Beispiel koreanische und japanische
       Kriminalromane in den letzten Jahren einen schönen Platz in gut sortierten
       deutschländischen Bücherregalen erobert.
       
       ## Neue Form des Heimatromans
       
       Auf der anderen Seite gibt es den sagenhaften Boom der Regionalkrimis, die
       im Grunde auch als neue Form des Heimatromans betrachtet werden können,
       also je nach individueller Ausrichtung nicht nur ein Subgenre, sondern
       sogar ein Zwittergenre repräsentieren. Ebenso verhält es sich mit dem
       Humorkrimi, dem Gruselkrimi, dem kulinarischen Krimi und solchen
       Kriminalromanen (man könnte sie als „Mädchenkrimi“ bezeichnen), die von
       Frauen für Frauen geschrieben werden, weil es darin ziemlich unverhüllt vor
       allem um weibliche Sehnsüchte geht.
       
       Wohlgemerkt: Auf all diesen wild umeinander wuchernden Seitentrieben können
       schöne Blüten wachsen, die ihre RezipientInnen auch außerhalb der
       unmittelbaren Zielgruppe finden. Die Alpenkrimis eines Jörg Maurer lassen
       sich durchaus im Strandkorb an der Ostsee lesen, während die Hamburger
       Mädchenthriller einer [1][Simone Buchholz] auch einem älteren Mann im
       Allgäu gefallen mögen. Schreiben müssen die Leute halt können. Auf der
       Website des Berlin-Brandenburger Krimimarathons finden sich unter
       „Schlagwörter“ einundzwanzig verschiedene Subkategorien. Die Qual der
       Lesungswahl lässt sich da vielleicht am ehesten anhand des
       Veranstaltungsorts entscheiden.
       
       Die zeitreisende, orientierungslose Krimi-Mimi übrigens würde man sicher
       erst mal zur Lektüreberatung in eine einschlägig spezialisierte
       Fachbuchhandlung schicken – auch etwas, das zu ihrer Zeit vermutlich noch
       nicht existierte.
       
       In Berlin gibt es neben der als Veranstaltungsort auf dem Marathon
       vertretenen Buchhandlung Miss Marple natürlich vor allem Hammett. Klein und
       fein, ist sie eine Kreuzberger Kiezinstitution und mittlerweile seit 24
       Jahren in der Friesenstraße direkt neben der Marheineke-Markthalle
       ansässig. Von dort wurde in der letzten Woche ein besorgniserregender
       Newsletter versandt. Die einst sehr rumpelige Friesenstraße hat nämlich vor
       Kurzem einen Belag aus Flüsterasphalt erhalten. Eine an sich gute Sache,
       die aber eine knapp eineinhalbjährige Baustelle vor dem Hammett mit sich
       brachte, was die Umsätze während dieser Zeit um 20 Prozent einbrechen ließ,
       wie es heißt. Weitere, kleinere Probleme kamen hinzu. Nun soll bis Ende des
       Jahres entschieden werden, ob der Laden weitergeführt werden kann. Das wird
       natürlich davon abhängig sein, ob sich der Umsatz in den nächsten beiden
       Monaten entscheidend erholt. Immerhin: Bald ist Weihnachten.
       
       3 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Regionalkrimi-aus-Hamburg/!5282844
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Granzin
       
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