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       # taz.de -- Kollektiv für eine bessere Behandlung: Gesundheit von unten
       
       > Armut und Rassismus können krank machen. Ein Berliner Projekt will nicht
       > mehr nur Symptome behandeln, sondern soziale Ursachen bekämpfen.
       
   IMG Bild: Aufs das Ganze gucken: Nesrin Kosanke (links), Shao-Xi Lu, Patricia Hänel und Michael Janßen
       
       Berlin taz | Auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei im Berliner
       Stadtteil Neukölln haut im Sekundentakt ein Bagger mit Bohraufsatz in den
       Boden. Drei Bauarbeiter mit Lärmschutz an den Ohren wuseln auf der
       rechteckig abgezäunten Baustelle herum. Shao-Xi Lu, Physiotherapeutin und
       Kommunikationswissenschaftlerin, steht vor dem Zaun und zeigt auf zwei
       lieblos besprühte Brandwände, die in den bedeckten Berliner Himmel ragen:
       „Da wird rangebaut. Ein Gebäude mit fünf Geschossen, in der Mitte soll es
       einen Lichthof geben. Hier soll unser Gesundheitszentrum mit einziehen.“
       
       Dann läuft sie mit ihrer Pluderhose über die Brache, schüttelt den Kopf und
       sagt: „Es ist schon ein bisschen surreal.“ Es ist ein leise dahingesagter
       Satz, den man schnell vergessen könnte, wenn er nicht so treffend wäre für
       diese Situation: Es gibt da eine groß gedachte Idee und eine Baustelle.
       Aber was dazwischenliegt, ist noch so wenig begreifbar. Surreal, das
       bedeutet traumhaft-unwirklich.
       
       Auf dieser Baustelle in Neukölln will das Gesundheitskollektiv Berlin, ein
       Zusammenschluss von rund 25 Menschen, seine Vision umsetzen: Gesundheit
       nicht nur medizinisch denken, sondern größer. Viel größer sogar.
       Wissenschaftlich betrachtet ist es längst Konsens, dass viele Faktoren die
       Gesundheit eines Menschen beeinflussen.
       
       Beengte Wohnverhältnisse können krank machen, schlechte Arbeitsbedingungen,
       die Sorge, die Miete nicht zahlen zu können, Rassismus, Stress,
       abgasverseuchte Straßen. „Soziale Determinanten von Gesundheit“, nennt das
       Patricia Hänel, die seit fünf Jahren beim Gesundheitskollektiv mitmacht.
       
       Menschen mit niedrigem Einkommen, Berufsstatus und Bildungsniveau haben
       nicht nur ein erhöhtes Risiko für chronische Krankheiten und Beschwerden,
       sie sterben im Schnitt auch früher. Die Differenz in der Lebenserwartung
       zwischen der niedrigsten und der höchsten Einkommensgruppe wird in der
       Gesundheitsberichterstattung des Bundes im März 2018 auf fünf bis zehn
       Jahre beziffert.
       
       Doch obwohl seit 1995 jedes Jahr der Kongress Armut und Gesundheit
       stattfindet, bei dem sich Expert*innen genau zu diesem Thema austauschen,
       hat sich in der realen Gesundheitsversorgung wenig verändert. Hier kann es
       passieren, dass man wegen einer Eigenbedarfsklage zur Mieterberatung läuft
       und mit Stresssymptomen zum Arzt, ohne dass die beiden Situationen
       zusammengedacht werden.
       
       ## Viele Türen für viele verschiedene Probleme
       
       Patricia Hänel, die Ärztin ist, aber als Beraterin und
       Kommunikationstrainerin in der Gesundheitsbranche arbeitet, stellt sich das
       Zentrum deswegen so vor: „Ich wünsche mir, die Patient*innen kommen rein,
       und dann gibt es verschiedene Türen, durch die alle gehen können: ärztliche
       Versorgung, Sozialarbeit, Rechtsberatung, Wohnungsberatung. „Und wir fragen
       dann: Was ist das Hauptproblem dieser Person? Hat sie Asthma und kriegt
       beim Arzt ein Spray? Hat sie vielleicht Asthma, weil sie Schimmel in der
       Wohnung hat? Dann muss man ihr auch helfen, mit den Vermietern zu klären,
       den Schimmel zu beseitigen. Oder hat sie Asthma, weil sie an einer
       abgasbelasteten Straße lebt? Dann wollen wir politisch daran arbeiten,
       langfristig vielleicht eine Temporeduktion durchzusetzen. Es gibt also ein
       Problem, aber es gibt verschiedene Wege, es zu lösen.“
       
       „Wir sind bio-psycho-sozial-politisch ausgerichtet“, erklärt Hänel. Das
       Kollektiv ist deshalb auch Teil des überregionalen Polikliniksyndikats: Mit
       der Soli-Klinik in Dresden und dem solidarischen Gesundheitszentrum Leipzig
       entstehen gerade ähnliche Projekte. Und in Hamburg hat das Schwesterprojekt
       Poliklinik Veddel bereits 2017 eröffnet.
       
       In der DDR waren Polikliniken fester Bestandteil der ambulanten
       Gesundheitsversorgung. Dort arbeiteten angestellte Ärzt*innen
       fachübergreifend zusammen, nur wurde dieses Modell im Zuge der
       Wiedervereinigung abgeschafft. Aber auch in der BRD gab es in den 1980er
       Jahren solidarische Bestrebungen, Alternativen zur profitorientierten
       Gesundheitsversorgung zu finden – viele Projekte aber scheiterten am Geld.
       
       Ob hier, in Nordneukölln auf dem Rollberg, zukünftig Pflegekräfte,
       Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen neben
       Kommunikationswissenschaftler*innen oder Sozialarbeiter*innen in der
       ambulanten Versorgung zusammenarbeiten werden, das hängt auch davon ab, ob
       das Gesundheitskollektiv es schafft, ein Finanzierungsmodell zu finden.
       Vier Säulen soll es geben: medizinische Versorgung, Beratung,
       Gemeinwesenarbeit und Forschung. Interdisziplinär soll das Ergebnis sein,
       basisdemokratisch und hierarchiearm – das ist jedenfalls der Anspruch.
       
       ## Der Grundriss ist schon mal fertig – auf Papier
       
       Um das genauer auszutüfteln, hat sich das Kollektiv übergangsweise einen
       kleinen Büroraum auf dem Kindl-Gelände angemietet, nicht weit von der
       Baustelle entfernt. Auf den ersten Blick hat es hier etwas von einer
       Studentenbude, Fotos und politische Plakate kleben an den Wänden, an einer
       Pinnwand hängen kreuz und quer etliche blaue und rosafarbene Zettel. Wer
       liest, was darauf steht, ahnt, wie kompliziert dieses Projekt werden wird:
       AG Bauplanung, AG Lohndebatte, AG Finanzen, Trägerstrukturen und
       Medizinisches Versorgungszentrum – um nur einige zu nennen. Immerhin hängt
       ganz klein noch ein weiterer Zettel dran: AG Spaß.
       
       Nesrin Kosanke, Patricia Hänel und Shao-Xi Lu sitzen nun an zwei
       zusammengeschobenen Tischen in diesem Büro, vor ihnen steht ein auf Pappe
       zusammengeklebtes Modell des Zentrums. Lu erklärt, wie die Raumaufteilung
       später genau aussehen kann: „Hier soll es ein Gemeinschaftscafé geben, da
       ist der Empfang, hier ein Gruppenraum, hier die Praxisräume.“ Langsam füllt
       sich die große Idee mit einer Vorstellung.
       
       Die drei Frauen, die beruflich unterschiedlich ausgebildet sind, eint eine
       Sache: die Unzufriedenheit mit dem hiesigen Gesundheitssystem. „Ich habe
       lange als Physiotherapeutin gearbeitet und habe bei Hausbesuchen gemerkt,
       dass es viele Patient*innen gibt, die vereinsamt sind. Ich hab mich dann
       gefragt: Warum kann das nicht mit sozialen Angeboten verknüpft werden?
       Meine Chefin hat das aber nicht so interessiert“, erzählt Lu. Als sie dann
       bei einem Kongress vom Gesundheitskollektiv erfuhr, war ihr klar, dass sie
       mitmachen möchte: „Ich wollte schon immer interdisziplinär arbeiten.“ Nun
       kümmert sie sich um Gemeinwesenarbeit und Gesundheitsförderung.
       
       ## „Endlich mal einen anderen Weg gehen.“
       
       Bei Nesrin Kosanke, medizinische Fachangestellte, war es ähnlich. Beim
       Surfen im Internet stieß sie auf eine Stellenanzeige der bereits
       bestehenden Kinderarztpraxis in Neukölln, die später in das
       Gesundheitszentrum verlegt werden soll: „Diesen politischen Anspruch kannte
       ich davor gar nicht. Aber ich dachte gleich: Endlich mal einen anderen Weg
       gehen.“
       
       Kosanke bewarb sich und fing im März den neuen Job an. Sie hatte vorher
       schon in verschiedenen Praxen gearbeitet, nicht unglücklich, wie sie
       erzählt; aber das, was sie bis dahin kannte, lief oft so ab: „Der Patient
       kommt kurz rein, bekommt ein Rezept und ist zack, zack wieder raus. Aber
       hier wollen wir auf das Ganze gucken. Wie geht es den Patient*innen –
       physisch, psychisch, aber auch finanziell.“ So wie jetzt habe sie davor
       noch nie gearbeitet, auch innerhalb des Teams: Entscheidungen werden
       zusammen gefällt, sie arbeitet auf Augenhöhe mit dem Arzt und sie verdient
       dort übertariflich.
       
       Dass Lebensumstände für das Wohlbefinden wichtig sind, weiß Kosanke auch
       aus eigener Erfahrung: „Ich war früher selbst alleinerziehend und kannte
       viele Hilfsangebote nicht – dabei bin ich hier aufgewachsen. Wenn du aus
       einem anderen Land kommst, die Sprache nicht sprichst und dann lebst du zu
       fünft in einer Einzimmerwohnung, so etwas ist erschreckend. Und das hängt
       dann ja auch wieder zusammen mit den Mieten.“ Sprachbarrieren seien oft
       eine große Hürde, das finge ja schon mit dem Ausfüllen eines Anamnesebogens
       an. „Ich spreche auch Türkisch, da kann ich helfen. Aber rumänische oder
       bulgarische Mütter sind mit vielem alleine.“
       
       Patricia Hänel nickt zustimmend. „Dabei gibt es ja viele gute Angebote in
       Neukölln. Aber wenn man sagt, geh mal zur Sozialberatung im Bezirksamt,
       dann weißt du, die gehen da nicht hin, wenn man sie nicht an die Hand nimmt
       und sagt, da passiert nichts Schlimmes, niemand nimmt dir die Kinder weg.
       Und selbst wenn sie die vier Straßen weitergehen und eine Wartenummer
       ziehen, Rumänisch kann da auch keiner.“ Hänel erfuhr über einen Freund vom
       Gesundheitskollektiv: „Ich hatte schon immer einen politischen Anspruch.
       Dann habe ich mich einfach gefreut, dass sich hier ein Projekt
       manifestiert, bei dem man ganz konkret, vor Ort, etwas umsetzen kann.“
       
       Der Standort des geplanten Zentrums ist nicht zufällig gewählt. Die
       Baustelle befindet sich zwischen dem Berliner Rollberg und dem
       Flughafenviertel, beides Gegenden, die vom Bund-Länder-Programm Soziale
       Stadt gefördert werden. In der Umgebung stehen viele Sozialbauten aus den
       1970er Jahren, die Gesundheitsversorgung ist schlecht, die Arbeitslosigkeit
       hoch. Um sich nicht von außen in einen fremden Bezirk zu drängen, in dem es
       schon viele Hilfsangebote gibt, setzt das Kollektiv auf Vernetzung.
       
       Mittels eines eigens konzipierten und mehrsprachigen Fragebogens, der in
       den Haushalten der Umgebung verteilt wurde, ermittelte man den Bedarf der
       zukünftigen Patient*innen. Seit Dezember 2017 gibt es zudem in
       Zusammenarbeit mit verschiedenen Initiativen im Viertel die mobile
       Gesundheitsberatung. Mitglieder des Kollektivs gehen dafür in Bibliotheken,
       in Schulen oder ins Einkaufszentrum, um über unterschiedliche Themen zu
       informieren: Das kann die Stärkung des Beckenbodens für Frauen sein oder,
       in der kalten Jahreszeit, das Thema Erkältung.
       
       ## Das Geld bleibt knapp, der Einheitslohn wohl ein Traum
       
       Bis 2020 wird das Gesundheitskollektiv durch die Robert-Bosch-Stiftung
       gefördert. Konkret werden damit drei Stellen finanziert – was aber auch
       bedeutet: das Gros der Arbeit wird durch ehrenamtliches Engagement
       gestemmt. Im wöchentlichem Wechsel treffen sich die einzelnen AGs und dann
       das gesamte Plenum. „Dieses Projekt ist bereichernd, aber auch
       anstrengend“, erzählt Hänel. Als sie etwas amüsiert hinzufügt, dass es auch
       immer wieder so ein „kollektives Burn-out gibt“, lachen die drei gemeinsam.
       „Wir achten schon sehr aufeinander“, fügt Kosanke hinzu. „Und alle sechs
       Wochen haben wir eine Supervision“, sagt Lu.
       
       Wenn alles gut läuft, dann soll das Gebäude, das den Namen Alltag trägt,
       Ende 2020 fertig sein. Neben dem Gesundheitszentrum werden auch andere
       soziale und kulturelle Akteure einziehen, auch betreutes Wohnen für
       geflüchtete Jugendliche ist geplant. Noch ist auf der Baustelle allerdings
       wenig zu sehen: nur Bauschutt, ein schwarzer Container, Rohre, eine
       Schubkarre und der Bagger. Es ist so laut, dass es in den Ohren wehtut.
       „Wir versuchen hier seit drei Wochen, eine 1,7 Meter dicke Betonschicht zu
       durchschlagen“, erklärt einer der Bauarbeiter mit erhobener Stimme, weil er
       gegen den Lärm anspricht. „Ich hoffe, Sie haben einen guten Lärmschutz“,
       ruft dann Michael Janßen über den Zaun. Janßen ist auch Teil des Kollektivs
       und ist eben in der Mittagspause vorbeigekommen, um sich kurz vorzustellen.
       
       Der Bauarbeiter winkt ab und lacht, bevor er sich wieder seiner Arbeit
       widmet. Das scheint gerade nicht sein Hauptproblem zu sein. Janßen hat eine
       Hausarztpraxis in der nicht weit entfernten Karl-Marx-Straße. Wenn das
       Gebäude bezugsbereit ist, soll ein Kassenarztsitz hierher verlegt werden.
       „Ich hoffe, dass das mit der Betonschicht keine Bauverzögerung bedeutet“,
       murmelt er, kurz darauf ist er auch schon wieder weg.
       
       ## Im Konflikt mit der Gesetzeslage
       
       Im übertragenen Sinn muss das Kollektiv das auch: eine Betonschicht
       durchschlagen. Denn wenn die Gruppe im Plenum zusammenkommt, dann trifft
       Utopie auf Gesetzeslage. Allein die Idee, interdisziplinär unter einem Dach
       zusammenzuarbeiten, ist gar nicht so leicht umzusetzen. Das, was im
       stationären Bereich, etwa in Krankenhäusern, kein Problem ist, nämlich,
       dass unterschiedliche Berufsgruppen zusammenarbeiten, ist in der ambulanten
       Versorgung viel schwieriger. Hier ist es regelrecht verboten, dass
       Ärzt*innen und sogenannte Heilmittelerbringer*innen in einer gemeinsamen
       Einrichtung arbeiten. Zu Letzteren gehören zum Beispiel
       Physiotherapeut*innen oder Logopäd*innen. Diese arbeiten meist vorbeugend,
       heilend oder nachsorgend und – das ist das Entscheidende – auf Verordnung
       von Ärzt*innen.
       
       „Deshalb ist dieses Verbot eigentlich auch sinnvoll“, erklärt Hänel, „das
       soll Ärzt*innen und Therapeut*innen unabhängig machen und Korruption
       verhindern. Aber wir möchten uns ja nicht bereichern, sondern nur
       kooperieren. Wir hätten gern einen gemeinsamen Server, wo die Daten der
       Patient*innen liegen, und gemeinsame Fallkonferenzen, um sich austauschen
       zu können.“
       
       Für das Kollektiv bedeutet das Kooperationsverbot nun konkret, dass sie auf
       Physiotherapie im Gesundheitszentrum verzichten werden. Denn sonst hätten
       sie auf dem Gelände neue Mauern hochziehen müssen. „Wir bräuchten einen
       extra Empfang, extra Wartezimmer, man müsste alles doppelt machen. Für uns
       war es letztlich auch eine finanzielle Frage, dass wir das nicht doppelt
       stemmen können“, erklärt Lu.
       
       „Unser Gesundheitssystem ist viel zu ärztezentriert“, kritisiert die Ärztin
       Patricia Hänel. Die Kooperation mit nichtmedizinischen Berufen oder mit
       Heilmittelerbringer*innen gibt es im ambulanten Bereich nur in den
       Sozialpädiatrischen Zentren, die sich auf die Versorgung von sehr kranken
       Kindern und Jugendlichen spezialisiert haben, und den Medizinischen
       Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren
       Mehrfachbehinderungen. Beide Zentren sind allerdings auf bereits schwer
       erkrankte Personen ausgerichtet.
       
       „Schön wäre es, wenn es gesetzlich möglich wäre, auf ähnliche Weise ein
       sozial-lokales Zentrum mit einem klaren Einzugsgebiet aufzubauen. Und wenn
       dieses Zentrum pro Bewohner*in eine Pauschale erhielte, die es
       selbstbestimmt verwalten könnte – und sei es für einen Graffitikünstler,
       wenn man damit die Kids vom Kiffen abhält.“ Im derzeitigen System wäre so
       etwas nicht möglich, weil dieser Ansatz sich nicht über die Krankenkassen
       abrechnen ließe.
       
       Das Gesundheitszentrum wird sich deshalb so strukturieren: Ein
       Medizinisches Versorgungszentrum, ein sogenanntes MVZ, wird den
       medizinischen Bereich abdecken und soll sich finanziell selbst tragen.
       Beratung, Gemeinwesen und Forschung sind durch einen gemeinnützigen Verein
       verbunden und werden auf Drittmittel und Spenden angewiesen sein. Damit
       sich die verschiedenen Berufsgruppen dann tatsächlich auch vernetzen und
       Fälle gemeinsam besprechen können, müssen Patient*innen eine
       Einverständniserklärung unterzeichnen, damit ihre Daten geteilt werden
       können.
       
       Hänel, die sich im Gesundheitskollektiv um die Trägerstruktur und die
       Finanzierung kümmert, ärgert sich: „Wir wollen eine multiprofessionelle und
       sozial integrierte Versorgung, das ist der Appell der Politik und der
       Wissenschaft, aber im realen Leben ist das kaum umzusetzen.“
       
       Auch die Idee eines Einheitslohns, die das Kollektiv eigentlich
       befürwortet, um gleichberechtigter zusammenarbeiten zu können, wirft viele
       Fragen auf. Wenn Ärzt*innen auf einen Großteil ihres Lohns verzichten, um
       die sonst schlechter bezahlten Berufsgruppen besser zu honorieren, hätte
       das einen klaren Effekt. „Wenn man als Ärzt*in draußen viermal so viel
       verdient, warum sollte man dann im Gesundheitskollektiv arbeiten?“, fragt
       Hänel. Und auch Lu gibt zu bedenken: „Ich würde dann zwar mehr verdienen
       als außerhalb, aber ich wäre damit abhängig vom Gönner, der sich bereit
       erklärt, sein Gehalt an mich weiterzugeben.“
       
       Die Frauen verlieren sich in einer Diskussion, wie sie eine Finanzierung
       hinbekommen könnten. Kosanke erzählt, dass sie noch heute nach Kanada
       fliegen wird, um sich dort die schon etablierten „community health centres“
       anzuschauen, die einen ähnlichen Ansatz haben. „Es ist keine Utopie, was
       wir hier wollen. Das kanadische Modell wurde staatlich unterstützt“, sagt
       Hänel. Wie genau das Zentrum aber hierzulande funktionieren soll, ist eine
       Frage, die nicht heute und nicht morgen geklärt werden wird. In einer
       Tischecke liegt ein Sticker des Polikliniksyndikats. Darauf steht: „Es gibt
       kein gesundes Leben im kranken System.“
       
       11 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
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